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NSA-BND-Affäre
"Jetzt ist die Stunde der Aufklärung"

In der BND-Affäre sieht die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Christine Lambrecht, weiterhin Aufklärungsbedarf. Noch sei es nicht an der Zeit, personelle Konsequenzen zu fordern, sagte Lambrecht im DLF. Außerdem sei die Zusammenarbeit zwischen BND und NSA weiterhin nötig.

Christine Lambrecht im Gespräch mit Jasper Barenberg | 07.05.2015
    Christine Lambrecht, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion.
    Christine Lambrecht, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion. (imago/IPON)
    Lambrecht warnte im Interview mit dem Deutschlandfunk davor, "eine Schieflage in die Bewertung der Zusammenarbeit" der beiden Geheimdienste zu bringen. Dass NSA und BND zusammenarbeiten, sei nach den Anschlägen vom 11. September 2001 im Interesse der Bürger vereinbart worden. Die Kooperation bleibe weiterhin nötig, allerdings müssten dabei die jeweiligen Rechtsvorschriften eingehalten werden.
    Lambrecht wandte sich gegen Vorschläge, das Amt eines Geheimdienst-Beauftragten zu schaffen, um die Dienste besser kontrollieren zu können. "Das ist Aufgabe des Parlaments", so die SPD-Politikerin.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Thomas de Maizière war von 2005 bis 2009 Chef des Bundeskanzleramtes und damit dafür zuständig, die Arbeit des BND zu kontrollieren. In dieser Zeit sollen in seinem Amt Hinweise auf unerlaubte Spionageziele der NSA eingegangen sein. Hat der jetzige Bundesinnenminister davon damals gewusst und später das Parlament darüber belogen? Thomas de Maizière hat diese Vorwürfe von Anfang an zurückgewiesen und meint nach seinem Auftritt gestern, dass er sie nun aus der Welt schaffen konnte.
    Thomas de Maizière sieht sich also vollständig entlastet. Ist er das auch? Das habe ich Christine Lambrecht, die erste parlamentarische Geschäftsführerin der SPD im Bundestag, vor einigen Minuten gefragt.
    Christine Lambrecht: Ich konnte an der Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums nicht teilnehmen, aber ich glaube, es ist jetzt noch mal zu verifizieren anhand von Unterlagen, die den Mitgliedern des Ausschusses, des Gremiums vorgelegt wurden, ob diese Einlassung auch mit den Unterlagen übereinstimmt. Da wird es jetzt weiter darum gehen. Das ist sicherlich der nächste Schritt, der jetzt im Parlamentarischen Kontrollgremium nachvollzogen werden wird.
    Barenberg: Sie sind noch nicht überzeugt, dass der damalige Kanzleramtsminister Thomas de Maizière von unrechtmäßigen Spionageversuchen nichts wusste?
    Lambrecht: Uns geht es darum aufzuklären. Uns geht es darum, nicht Vorwürfe zu erheben, sondern aufzuklären, insbesondere die zeitlichen Abläufe, denn es geht ja hier über einen sehr langen Zeitraum, die zeitlichen Abläufe zu klären, und da ist sicherlich noch mal Nachfragebedarf. Aber wie gesagt: Es geht nicht in dieser Situation momentan darum, Vorwürfe zu erheben, sondern aufzuklären. Das ist das Gebot der Stunde.
    "Wir befinden uns in einer Phase der Aufklärung"
    Barenberg: Dass die Vorsitzende der Jusos bereits den Rücktritt von Thomas de Maizière gefordert hat, war das aus Ihrer Sicht ein Fehler?
    Lambrecht: Das war eine Entscheidung der Juso-Chefin. Ich persönlich und die SPD-Fraktion befindet sich momentan in einer Phase der Aufklärung. Uns ist daran gelegen, Vorwürfe, die im Raum stehen, aufzuklären, zu wissen, was ist geschehen, was ist tatsächlich geschehen. Deswegen drängen wir darauf, dass in allen Gremien, die möglich sind, vom Parlamentarischen Kontrollgremium über den NSA-Untersuchungsausschuss - es ist ja auch gestern im Rechtsausschuss darüber gesprochen worden -, dass aufgeklärt wird. Erst dann kann bewertet werden und Konsequenzen gezogen werden und dann wird entschieden, beispielsweise ob in Bezug auf Rahmenbedingungen oder in Bezug auf BND-Gesetz Veränderungen vorgenommen werden müssen. Aber das ist zu einer anderen Zeit geboten. Momentan ist geboten aufzuklären.
    Barenberg: Es ist ja wirklich auch für den Laien nicht einfach, überhaupt durchzusteigen durch die verschiedenen Informationen, die herausgekommen sind. Steht denn für Sie fest, dass der BND der NSA geholfen hat, befreundete Regierungen und europäische Institutionen gezielt auszuspähen?
    Lambrecht: Dieser Vorwurf steht im Raum. Aber es geht darum, ihn anhand von Fakten, von Unterlagen zu überprüfen. Ich persönlich kann das momentan nicht einschätzen, denn wie gesagt: Es sind Vorwürfe, die im Raum stehen, die aber noch nicht belegt wurden. Deswegen drängen wir ja auch darauf, dass in den Gremien die Möglichkeiten geschaffen werden, dass aufgeklärt werden kann. Uns ist wichtig, dass die Zusammenarbeit BND/NSA auch aus diesem Geruch herauskommt, dass hier solche Vorgänge erfolgt seien. Es ist wichtig, dass deutlich wird, dass hier zusammengearbeitet wurde, um auch Gefahren von der Bevölkerung abzuwenden in Sicherheitsfragen. Deswegen ist es wichtig aufzuklären. Das ist momentan das Wichtigste, um was es geht.
    Barenberg: In der "Süddeutschen Zeitung" kann man aus einem Testat Zitate des BND für den Deutschen Bundestag lesen, wo das eingeräumt wird, dass es Hilfe des BND für die NSA gegeben hat, gezielt Persönlichkeiten der europäischen Politik beispielsweise oder Dienststellen europäischer Mitgliedsstaaten auszuspähen.
    Lambrecht: Diese Unterlagen liegen mir nicht vor und es ist richtig, dass man in möglich zu verhandelnden Räumen diese Unterlagen auch einsehen kann. Das ist momentan ja noch nicht der Fall. Deswegen ist es wichtig, dass Unterlagen auch den Mitgliedern vom Parlamentarischen Kontrollgremium und zum NSA vorgelegt werden. Wir reden momentan viel über Vorwürfe, die wabern, aber wenig über gefestigtes, über verifizierte Kenntnisse, und das ist ein schwieriger Zustand. Den gilt es, jetzt aufzulösen, damit auch nicht eine Schieflage in die Bewertung der Zusammenarbeit auf Dauer reinkommt.
    "Listen müssen zugänglich gemacht werden"
    Barenberg: Von der Bundesregierung hören wir jetzt, dass sich die Konsultationen mit der Regierung in Washington dem Ende zuneigen, dass in den nächsten Tagen mit einer Entscheidung in Washington gerechnet wird, was diese umstrittene Liste mit den Suchkriterien angeht. Braucht die Bundesregierung die Erlaubnis aus Washington?
    Lambrecht: NSA und BND arbeiten zusammen. Das ist eine Vereinbarung, die getroffen wurde im Interesse auch der deutschen Bürgerinnen und Bürger, um in Sicherheitsfragen hier zusammenzuarbeiten. Deswegen ist es ein üblicher Vorgang, dass in solchen Fragen, wenn es dann um die Herausgabe solcher Listen geht, Konsultationsverfahren durchgeführt werden. Es ist also nichts Besonderes. Es muss aber klar sein, dass am Ende, wenn Aufklärung möglich sein soll - und wir alle drängen auf Aufklärung -, diese Listen vorgelegt werden. Deswegen ist es richtig, dass diese Verfahren durchgeführt werden. Am Ende des Tages muss aber klar sein, diese Listen müssen zur Aufklärung im Parlamentarischen Kontrollgremium und auch im NSA-Untersuchungsausschuss zugänglich gemacht werden.
    Barenberg: Diese Zusammenarbeit zwischen BND und NSA wurde ja nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 von Seiten der rot-grünen Bundesregierung vereinbart. Damals war Frank-Walter Steinmeier Chef im Kanzleramt. Ist es deshalb ebenso wichtig, jetzt ihn auch noch mal ganz genau im Bundestag danach zu befragen, welche Regeln für die Zusammenarbeit damals vereinbart wurden?
    Lambrecht: Frank-Walter Steinmeier hat schon angekündigt, dass er, wenn er geladen wird, jederzeit auch zur Verfügung stehen wird, um über dieses Agreement, das damals getroffen wurde, zu berichten. Es war ein Agreement, sie haben es beschrieben, das aus der besonderen Situation dieser Anschläge heraus dann auch getroffen wurde, in dem aber klare Regeln festgelegt wurden für die Zusammenarbeit, die rechtsstaatlichen Voraussetzungen entsprechen, und Frank-Walter Steinmeier wird hierzu, so hat er sich eingelassen, jederzeit dann auch entsprechend informieren.
    "Erst im zweiten Schritt Bewertungen vornehmen"
    Barenberg: Berichtet wird heute in den Medien ja auch, dass es im Moment Gespräche gibt, diese Zusammenarbeit neu zu ordnen, auf eine neue Grundlage zu stellen. Wenn das so ist, ist das nicht ein weiteres Anzeichen dafür, dass man wohl nicht so genau hingeguckt hat, wer was darf?
    Lambrecht: Das sind alles mögliche Konsequenzen, die sinnvollerweise erst dann getroffen werden, wenn man weiß, was wirklich geschehen ist in dieser Zusammenarbeit, welche Abhörmaßnahmen erfolgt sind. Wenn das alles geklärt ist, dann kann ich in einem zweiten Schritt die Bewertung vornehmen und da darf es natürlich keine Denkverbote geben. Aber das kann ich ja erst dann machen, wenn ich wirklich weiß, was passiert ist. Deswegen sage ich noch mal: Momentan ist die Stunde der Aufklärung und danach müssen wir uns alle auch daran machen, die entsprechende Bewertung vorzunehmen und die Konsequenzen daraus zu ziehen.
    Barenberg: Es gab ja schon in den vergangenen Jahren eine lebhafte Debatte über die Regeln für die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste. Es gab auch schon Veränderungen. War das bisher nur Stückwerk aus Ihrer Sicht, jetzt wo klar wird, dass eine parlamentarische Kontrolle beispielsweise der Arbeit des BND doch sehr, sehr schwierig überhaupt zu leisten ist?
    Lambrecht: Parlamentarische Kontrolle gegenüber den Diensten ist sehr schwierig, weil einzelne Abgeordnete dann natürlich einem riesigen Apparat gegenüberstehen, und deswegen war es wichtig, dass das Parlamentarische Kontrollgremium jetzt in dieser Legislaturperiode schon mal in einem ersten Schritt aufgestockt wurde in Bezug auf Mitarbeiter, dass hier eine Zuarbeit erfolgen konnte, um zu gewährleisten, dass man wenigstens einigermaßen auf Augenhöhe arbeiten kann. Aber das reicht nicht aus. Die Abgeordneten, die in diesem Gremium arbeiten, haben ja nebenbei auch noch ihre Abgeordnetenaufgaben zu erfüllen. Deswegen müssen wir uns schon dann in diesem weiteren Schritt überlegen, wie wir das Parlamentarische Kontrollgremium stärken können, beispielsweise durch weitere Aufstockung von Mitarbeitern, dass die zuarbeiten können, dass die Akten sichten können, dass die den Abgeordneten auch die entsprechende Vorarbeit schon leisten können. Wogegen ich mich aussprechen würde wäre ein einzelner Beauftragter, der dann quasi diese Arbeit für die Abgeordneten übernimmt. Das ist Aufgabe des Parlaments, die Dienste zu kontrollieren, und deswegen sollte auch in diesem Parlamentarischen Kontrollgremium dann die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass diese Kontrolle auch wirksam durchgeführt werden kann.
    Barenberg: Die Bundeskanzlerin, Frau Lambrecht, hat ja zuletzt eingeräumt, dass die deutschen Dienste den Schutz der Bürger allein gar nicht sicherstellen können, sondern auf die Zusammenarbeit mit anderen Diensten angewiesen sind, insbesondere mit den USA und der NSA eben auch. Wie sehr sind unsere Sicherheitsbehörden auf die USA angewiesen, wenn es um die Aufklärung von digitaler Kommunikation geht?
    Lambrecht: In diesem Feld bedarf es schon gemeinsamer Anstrengungen, gemeinsamer Arbeit. Das wird immer wieder deutlich, dass das von einem Dienst nicht alleine geleistet werden kann. Das ist auch gar nicht zu bemängeln. Die Frage ist ja nur, in welchem Rechtsrahmen. Werden hierbei Rechtsvorschriften eingehalten, die auch ein Staat vorgibt, der bestimmte Standards setzt? Das ist die Frage, die zu klären ist. Ansonsten ist in einer Zusammenarbeit ja nichts Vorwerfbares zu sehen, solange Rechtsvorschriften des einen Staates eingehalten werden und die Belange anderer Staaten ebenfalls berücksichtigt werden.
    Barenberg: Christine Lambrecht, die erste parlamentarische Geschäftsführerin der SPD im Bundestag. Ich bedanke mich für das Gespräch.
    Lambrecht: Ich bedanke mich bei Ihnen und einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.