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Umweltmediziner zu Coronavirus
"Desinfektionsmittel für Normalbürger im Grunde verzichtbar"

Hamsterkäufe von Desinfektionsmitteln hält der Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin Günter Kampf "für potenziell schädlich". Wenn Mitarbeiter des Gesundheitswesens dadurch nicht genug Präparate zur Verfügung hätten, wäre das eine "unglückliche Entwicklung", sagte er im Dlf.

Günter Kampf im Gespräch mit Uli Blumenthal | 03.03.2020
Eine Person hält eine große blaue Flasche Desinfektionsmittel in den Händen und kippt die Flüssigkeit in die linke Hand.
In der Regel werden Desinfektionsmittel nicht gegenüber Coronaviren geprüft (imago / Max Rühle)
Wer in diesen Tagen in einen Drogeriemarkt geht, sieht bei Desinfektionsmitteln, Handgels und feuchten Tücher reihenweise leere Regale und selbstgedruckte Hinweise auf Lieferschwierigkeiten. Die Apotheken in Nordrhein-Westfalen haben in der vergangenen Woche so viel Desinfektionsmittel verkauft wie sonst in zwei Jahren, so der Chef des Apothekerverbands Nordrhein. Professor Doktor Günter Kampf vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Universität in Greifswald äußert sich zur Nutzung und zur Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln gegen das Coronavirus.
Coronavirus
Uli Blumenthal: Herr Kampf, wie sinnvoll ist der Einsatz von Desinfektionsmitteln im Hinblick auf die Ausbreitung des neuen Coronavirus überhaupt?
Günter Kampf: Die Anwendung von Desinfektionsmitteln für den Normalbürger ist im Grunde verzichtbar. Wenn man die Grundregeln der Hygiene einhält, beispielsweise das gründliche Händewaschen nach dem Nachhausekommen, dass man sich möglichst nicht in die Hände niest, sondern in die Ellenbeuge, wenn man diese Grundregeln einhält, dann besteht keine Notwendigkeit, im Alltag Händedesinfektionsmittel zu verwenden. Das macht höchstens in den Situationen Sinn, wo man keinen Zugang hat zu Wasser und Seife.
Coronaviren auf unbelebten Flächen mehrere Tage nachweisbar
Blumenthal: Nun gibt es aber die Sorgen vor einer Übertragung mit dem neuen Coronavirus beispielsweise über Türklinken, Armlehnen bis hin zu Bargeld. Ist diese Sorge dann unberechtigt?
Kampf: Ein Stück weit wahrscheinlich ja. Wir wissen natürlich einerseits, dass die Coronaviren auf unbelebten Flächen mehrere Tage nachgewiesen werden können. In dieser Zeit nimmt die Zahl der Viren immer weiter ab. Das heißt, wenn ich anfangs beispielsweise eine Million Viren habe, dann habe ich nach vier oder fünf Tagen praktisch keine mehr, und im Laufe dieser Zeit werden es immer weniger. Natürlich kann ich durch das Berühren dieser Flächen einen Teil dieser Viren auf meine Hände bekommen, und wenn ich dann mit den kontaminierten Händen meine Schleimhäute berühre, beispielsweise die Nase, den Mund oder die Augen, dann kann so natürlich auch eine Übertragung theoretisch stattfinden. Deshalb ist es ja so wichtig, sich immer wieder auch nach solchen Kontakten die Hände zu waschen.
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Blumenthal: Nun gibt es in den Drogerieketten Desinfektionsmittel, feuchte Tücher, wo dann draufsteht: zur Handdesinfektion geeignet. Aber sind sie wirklich geeignet, um das Coronavirus zu beseitigen von bestimmten Oberflächen?
Kampf: Ja, die Mehrzahl der Produkte wird dafür geeignet sein. In Apotheken findet man häufig Produkte, die auch im Gesundheitswesen verwendet werden, und wenn man da auf das Etikett schaut, dann gibt es einen Begriff, der heißt: begrenzt viruzid. Dieser Begriff beschreibt die Wirksamkeit gegenüber behüllten Viren. Das Coronavirus ist ein behülltes Virus, und dann kann der Anwender drauf vertrauen, dass bei richtiger Anwendung dieses Händedesinfektionsmittels auch Coronaviren inaktiviert werden. Bei Drogerieprodukten ist die Deklaration nicht immer so klar. Von daher sollte der Interessent oder Käufer hier sehr genau drauf achten, was auf dem Etikett steht. Wenn dieser Begriff, begrenzt viruzid, nicht zu finden ist, dann bleibt eine gewisse Unsicherheit. Von daher lieber in der Apotheke dann die Präparate kaufen, die auch im Gesundheitswesen Verwendung finden. Wenn man sie kaufen will – also ich möchte das gerne noch mal betonen, dass es sie eigentlich ja nicht braucht.
Begriff: "begrenzt viruzid"
Blumenthal: Sie haben in einer Studie die Ergebnisse von 22 anderen Studien über Coronaviren und deren Inaktivierung zusammengestellt. Welche Mittel eigenen sich denn eigentlich für eine professionelle Desinfektion? Welche Möglichkeiten gibt es?
Kampf: Wir haben in dieser Literaturrecherche im Grunde drei Wirkstoffe gefunden, von denen es wissenschaftliche Daten gibt mit Coronaviren. Das war einerseits Ethanol, das war Wasserstoffperoxid und Natriumhypochlorit. All das sind Wirkstoffe, die man auch zur Flächendesinfektion einsetzen kann. In der Regel werden Desinfektionsmittel nicht gegenüber Coronaviren geprüft, sondern gegenüber anderen behüllten Viren, sodass man dann für dieses Präparat auch eine Wirksamkeit gegenüber behüllten Viren untersuchen kann. Von daher kommen deutlich mehr Produkte infrage, die dieses Spektrum der Wirksamkeit erfüllen, und hier sollte man darauf achten, dass der Begriff begrenzt viruzid vom Hersteller auch ausgewiesen wird.
Blumenthal: Wie unterscheiden sich diese drei Präparate, diese drei Lösungen, die Sie angesprochen haben, in der Wirkung gegen Coronaviren?
Kampf: Wie sie sich unterscheiden, ist schwer zu sagen. Alkohole kann man eigentlich nur für kleinere Flächen nehmen, weil der Alkohol dann auch in die Luft verdunstet und auf diesem Wege dann natürlich auch vom Anwender oder anderen Personen inhaliert werden kann. Wasserstoffperoxid ist eine Verbindung, die auch sich selbst relativ schnell zersetzen kann, sodass die Konzentration im Laufe der Zeit relativ schnell nachlassen kann. Natriumhypochlorit, das ist die gute alte Chlorbleichlauge, die wird eigentlich in Deutschland kaum noch eingesetzt.
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Einwirkzeit gegenüber behüllten Viren
Blumenthal: Und wie lange brauchen diese drei Mittel, um wirksam zu sein?
Kampf: Die Daten, die wir gefunden haben, beschreiben eine Wirksamkeit in einer Minute. Ich halte auch eine kurze Einwirkzeit für angemessen. Sie werden in den Desinfektionsmittellisten oder bei den Herstellerangaben Produkte finden, die eine Einwirkzeit gegenüber behüllten Viren von einer Stunde ausweisen. Ich halte es gerade, um Infektketten schnell zu unterbrechen, für sinnvoll, hier vorzugsweise auf Rezepturen zu setzen, die innerhalb von ein bis fünf Minuten ihre Wirksamkeit gegenüber behüllten Viren entfalten.
Blumenthal: Sie sprechen immer von behüllten Viren. Es gibt auch unbehüllte Viren. Nun würde man sich vorstellen, dass gerade Viren, die keine Hülle haben, doch eigentlich leichter zu desinfizieren und zu bekämpfen sind als behüllte Viren. Warum ist es genau andersrum?
Kampf: In der Tat ist es genau andersrum. Die Hülle suggeriert erst mal einen gewissen Schutz für das Virus, aber im Grunde macht die Hülle das Virus leichter angreifbar für die Wirkstoffe, die wir in Desinfektionsmitteln kennen. Das ist also eine Struktur, die auf der Außenseite des Virus zu finden ist, die dann auch relativ leicht beispielsweise durch Alkohole verklumpen kann, und dadurch reduziert sich dann die Infektiosität eines solchen Virus.
Blumenthal: Wie sinnvoll erachten Sie denn dann nun jetzt diese Hamsterkäufe in Apotheken und in Drogerien von diesen Handdesinfektionsmitteln?
Kampf: Ich halte es für wenig sinnvoll. Ich halte es sogar für potenziell schädlich, weil die Präparate auch in der Versorgung von Kranken gebraucht werden, und wenn es irgendwann dazu führt, dass die Mitarbeiter in den Krankenhäusern und vielleicht auch in den Arztpraxen nicht mehr genug Händedesinfektionsmittel für sich selber zur Verfügung haben, dann wäre das eine ausgesprochen unglückliche Entwicklung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.