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Jonathan Lethem über „Fear of Music“
Jedem Song ein Kapitel

Jonathan Lethem ist ein Kind der Popkultur und ein gefeierter Autor seiner Generation. Sein Groß-Essay über das bahnbrechende Album der New Yorker Band Talking Heads ist nun auf deutsch erschienen. „Fear of Music“ ist für den Autor ein Markstein seiner persönlichen Entwicklung und markiert die Schwelle zu den 80er-Jahren.

Von Klaus Walter |
    Jonathan Lethem
    Der Schriftsteller Jonathan Lethem (dpa / picture alliance / Horst Galuschka)
    „Im Sommer 1979, in New York, saß ein 15-jähriger Junge in seinem Zimmer und lauschte einer Stimme, die aus dem Radio zu ihm sprach.“
    Radiowerbung: „The Talking Heads have a new album, it's called ‚Fear of Music‘, The Talking Heads have a new album, it's called ‚Fear of Music‘, The Talking Heads have a new album, it's called ‚Fear of Music‘.“
    „Es war die Stimme von David Byrne, dem Sänger der Band Talking Heads.“
    Und wer war der 15-jährige Junge in seinem Zimmer in New York?
    „Ja, klar, der Junge bin ich und als ich mich mit 46 Jahren entschieden habe, über diese Musik zu schreiben, da war das auch die Entscheidung für ein autobiografisches Thema.“
    Kind der Pop-Musik
    Jonathan Lethem heißt der Junge von damals, inzwischen ist er 50 und einer der meist gefeierten Autoren seiner Generation. Und ein Kind der Popmusik. So verarbeitet Lethem in seinem Roman „Festung der Einsamkeit“ die Lebensgeschichte des Soul-Sängers Marvin Gaye. Jetzt also die Talking Heads.
    „Ich schrieb das Buch in dem Bewusstsein, dass es da etwas Seltsames oder Perverses gab an meiner Beschäftigung mit mir selbst an diesem speziellen Kreuzweg meines Lebens, mit 14, 15 Jahren. Meine Mutter war gerade gestorben, ich stand vor dem Problem, ein weißer Junge in Brooklyn zu sein, zu einer Zeit, als hier vor allem Schwarze lebten. Ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut, nicht auf der Straße und nicht in der Schule. Es war aufregend aber auch erschreckend, denn ich spürte, dass die Straßen nicht für mich gedacht waren. Die Stadt war nicht für mich gemacht, so fühlte ich mich zu dieser Zeit. Und begann, das zu akzeptieren. So wurde ich zu einem nervösen Außenseiter, fremd in der eigenen Haut, fremd in der eigenen Community.“
    Talking Heads als Sinnbild für Lethems Problem
    Der Teenager aus einem linken Intellektuellenhaus denkt sich Geschichten aus, er malt und zeichnet Comic-Bücher. Er sucht nach Auswegen aus seinem Dilemma: als weißer Junge im schwarzen Brooklyn der späten 70er. Die Rettung kommt aus dem Radio.
    „Die Talking Heads waren das perfekte Sinnbild für mein Problem. Unbeholfen, peinlich, neurotisch und: Weiß – so sehen sie aus, so führen sie sich auf. Und sie gehen ironisch damit um. Sie wissen, dass sie irgendwie komisch sind und ein bisschen uncool. Sie haben ein großes Faible für Disco und Funk und sie sagen: Wir können das auch! Wir sehen vielleicht seltsam aus auf dem Dancefloor, aber wir machen das mit einer solchen Intensität, dass ihr bald aufhören werdet zu lachen und so tanzen wollt wie wir.“
    Jedem Song ein Kapitel
    Jonathan Lethems Buch hat eine klare Gliederung. Er widmet jedem Song ein Kapitel, in der Reihenfolge der Langspielplatte. Unterbrochen wird diese Chronologie durch Kapitel, die eine Frage stellen:
    „Ist ‚Fear Of Music‘ eine New York Platte?“
    Antwort:
    „Die Talking Heads waren die definitive New-York-Rockband. Oder Manhattan-Band, wenn man die äußeren Bezirke an die Ramones abtritt.“
    Nächste Frage:
    „Ist ‚Fear Of Music‘ eine Paranoia Platte?“
    Antwort: Teils, Teils.
    „Es könnte der Eindruck entstehen, als hätten sie Paranoia bloß als eine zeitweilige Laune oder Stilrichtung ausprobiert, als Legitimation dafür, dass sie ihre Frisur nun schon so oft geändert haben. Sag mal: Seh ich mit dieser Frisur nicht paranoid aus?“
    Fan-Buch
    Für solche Sätze, möchte man Jonathan Lethem die Füße küssen. Der Starautor hat ein Fan-Buch geschrieben. Popmusik wird ja erst durch diejenigen zu Pop-Musik, die Popmusik hören, aufnehmen und sich aneignen, mitunter auch gegen die Gebrauchsanweisung. Das hat Jonathan Lethem mit „Fear Of Music“ getan. Am Ende informiert er noch über den aktuellen Beziehungsstatus:
    „Wir sind Exfreunde, das Album und ich.“
    „Talking Heads – Fear Of Music. Ein Album anstelle meines Kopfes“
    Tropen Verlag, 17,95 Euro.