Hannover, die Südstadt am Morgen: Im frischen Dezemberwind werden Kleinkinder, im Kinderwagen dick eingemuckelt, ausgeführt. Ein Vater studiert mit finsterer Miene das Plastikschild, das mit deutlichen Trampelspuren am Boden liegt. Offenbar hat es jemand in Rage vom Metallgitter heruntergerissen, das seit einigen Tagen den Zugang zur kleinen, sandigen Spielfläche unmöglich macht. „Bolzplatz gesperrt!“ – die wenigen Anwohner, derer der Reporter habhaft wird, verstehen die Botschaft wohl, allein ihnen fehlt der Glaube:
„Ich find´s übertreiben – definitiv! Weil ich sage mal, ich gehe hier auch und da sind auch kleine Löcher. Ich glaube, da muss jeder auf sich selber mal aufpassen!
Ein „Niveauunterschied“ von sieben Zentimetern
Wo in besseren Zeiten Kinder lachend über Sand rutschen, einander in die Beine grätschen, das Runde ins Eckige klotzen – nur Ödnis, Leere, miese Stimmung seit Tagen schon. Hier wie an vielen Orten in der Stadt.
„Ich find´s nicht gut eigentlich, für die Kinder finde ich es schade!“
Zugetragen hat sich das so: Ein Mann, damals 39 Jahre alt, tritt beim Fußballspielen auf dem städtischen Bolzplatz in Limmen in ein Loch, verletzt sich und klagt. Das Kreuzband gerissen, der Meniskus beschädigt, das Schienbein geprellt – im Prozess vor dem Oberverwaltungsgericht Celle in diesem Sommer räumt der Kläger ein, dass Mitspieler ihn bereits vor einer „Vertiefung“ gewarnt hatten. Loch, Pfütze, Mulde? Einen „Niveauunterschied“ von immerhin 7 Zentimetern stellt der Senat höchstrichterlich fest – und das Gericht entscheidet, dass die Stadt ungeachtet des erheblichen Mitverschuldens des Klägers ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht nachgekommen sei. 850 Euro Schmerzensgeld und ein Drittel aller Kosten, die als Folge des Unfalls entstehen könnten sind dem Verletzten zugesprochen. Die Stadt Hannover trage eine Mitschuld, befindet der Richter, weil Mulden nun mal als gefährlich einzustufen seien.
Stadtverwaltung hat 244 Bolzplätze und Spielflächen geprüft
„Durch das Urteil sind wir angehalten strengere Maßstäbe bei der Beurteilung von Verkehrssicherheit auf Bolzplätzen anzulegen. Das heißt, dass nicht nur Löcher als verkehrsgefährdend, sondern unter Umständen entsprechend auch Mulden als Risiko bewertet werden müssen.“
Sagt Dennis Dix – und der Pressesprecher der Landeshauptstadt betont ausdrücklich, dass die Spielflächen schon vor dem einschlägigen Urteil sorgsam und regelmäßig auf mögliche Gefahrenquellen hin überprüft worden seien. Die Verwaltung habe bereits alle 244 Bolzplätze und Schulspielflächen untersucht.
„Im Zweifel wurde zunächst einmal abgesperrt. Wir bedauern diese Einschränkungen auch für die Nutzer, insbesondere für die Kinder, die gerne auf dem Bolzplatz spielen. Wir bitten einfach um Verständnis, dass wir aus Verkehrsrssicherungsgründen und aus Haftungsgründen erst mal so reagieren müssen.“
Rund 50 Plätze vor allem mit Asphaltflächen und losem Belag sind für's Erste gesperrt. Fußballspielen verboten!
„Wir werden jetzt aber so schnell wie möglich zum einen schauen, inwiefern nicht doch die Plätze jetzt unter den gegebenen Bedingungen nicht doch wieder geöffnet werden können – oder eben mit relativ geringfügigen Maßnahmen dann schnell wieder spielbar gemacht werden können.“
Amerikanische Verhältnisse vor Gericht?
Bis Weihnachten soll das an vielen Orten möglich sein, bei einigen Arealen aber könnte die Sanierung sich bis zum Frühjahr hinziehen, sagt Dix.
„Ich kenne natürlich den konkreten Fall nicht, aber ich sehe hier schon eine starke Mitschuld desjenigen, der zu Schaden gekommen ist. Er hat ja wahrscheinlich gesehen, das der Platz in keinem guten Zustand ist. Wenn er sich entscheidet, dort trotzdem zu spielen, nimmt er ein Verletzungsrisiko in Kauf – und wenn sich das dann verwirklicht, hat er selber schuld“
Wundert sich unterdessen, Anja Möhring, Fachanwältin für Verwaltungsrecht, über den Urteilsspruch. Stehen uns nun amerikanische Verhältnisse bevor, Millionenforderungen wegen eines undichten Kaffeebechers? Die Anwältin hält das wegen der doch sehr unterschiedlichen Rechtslage für wenig wahrscheinlich. Gleichwohl:
„Es droht uns natürlich, dass vermehrt öffentliche Einrichtungen nicht genutzt werden können, wenn sie in keinem guten Zustand sind, weil die Haushaltsmittel vielleicht auch nicht ausreichen, um sie zu sanieren.“
Die Freiheit der Anderen
„Weil es offensichtlich Menschen gibt, die aus unvermeidlichen Störungen der Stadtgestaltung einen persönlichen Vorteil ziehen wollen, wird hunderten Anderen die Freiheit zum Aufenthalt auf unseren Erholungsflächen genommen“, kommentiert Pat Drenske, umweltpolitischer Sprecher der Grünen Ratsfraktion in einer schriftlichen Erklärung.
Wer lebt, der lebt gefährlich, sagt der Vater vom Stephansplatz – und das sei auch gut so:
„Und wenn da ein Löchlein ist, oder auch eine Mulde – und wenn ich drauf hingewiesen worden bin, muss ich da selber drauf achten. Und deswegen sollte man nicht alle Bolzplätze schließen, damit die Kinder nur noch zuhause sitzen!“