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Aufregung um Chimären

Biologie. - In der vergangenen Woche empfahl die US-amerikanische Nationale Akademie der Wissenschaften, in der Stammzellforschung menschliche Stammzellen nicht auf Primaten zu übertragen. Jetzt wurde indes bekannt, dass deutsche Wissenschaftler derartiges bereits unternahmen.

02.05.2005
    In der vergangenen Woche veröffentlichte die Nationale Akademie der Wissenschaften neue Empfehlungen zur Erforschung von Stammzellen. Unter anderem empfehlen die US-Experten in dem Papier, auf die Transplantation menschlicher Stammzellen auf Menschenaffen zu verzichten. Allerdings hat die Richtlinie keinen bindenden Charakter, sondern ist eher als Aufruf zur freiwilligen Selbstkontrolle zu verstehen. Wie das Magazin "Der Spiegel" am Montag berichtet, führten aber deutsche Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen genau solche Experimente bereits durch. Experten schätzen, dass die Göttinger dabei keineswegs die einzigen sind - auch in den USA würden vermutlich ähnliche Versuche unternommen. Doch was auf den ersten Blick nach "Frankenstein"-Praxis klingt, ist indes seriöse und wichtige Grundlagenforschung. So zeigt gerade das Göttinger Projekt, warum zunächst an Primaten die Implantation von Stammzellen in das Gehirn untersucht werden muss, bevor an ihren heilenden Einsatz im Menschen gedacht werden kann. Denn die Zellen mit der Fähigkeit, sich in nahezu jedes Gewebe entwickeln zu können, bildeten Tumore, an denen die Versuchstiere später starben. Dieser fatale Ausgang belegt eindrücklich, dass Stammzellen nur nach gründlicher Erforschung praktisch eingesetzt werden dürfen, um ähnliches bei Patienten ausschließen zu können.

    Die vielfach als Versuchstiere verwendeten Mäuse oder Ratten eignen sich indes kaum als Alternative zu Primaten, denn sie unterscheiden sich genetisch allzu sehr vom Menschen. Dass auch menschliche Stammzellen im Menschen selbst unvorhersehbare Folgen zeitigen können, belegen etwa Experimente vor einigen Jahren, bei denen Parkinson-Patienten fetale Stammzellen erhielten, um damit der Degeneration des Gehirngewebes entgegenzuwirken. In der Folge entwickelten die Patienten unkontrollierbare Bewegungen, die sich jeder weiteren Therapie entzogen. Empört über solche Experimente von deutschen Forschern zeigte sich Professor Spiros Simitis, Vorsitzender des Nationalen Ethikrates. Ein derartiges Vorgehen sei absolut inakzeptabel, unterstrich Simitis und kündigte an, diese so genannte Chimärenforschung in einer Sitzung Ende Juni diskutiert werden. Als Chimären werden Organismen verstanden, nicht allein aus eigenen Zellen bestehen, sondern daneben auch Anteile artfremder Lebewesen enthalten - so geschehen im Versuch des Max-Planck-Institutes. Doch es erscheint fraglich, ob die Wissenschaft - so sie nicht auf das viel versprechende Potenzial von Stammzellen verzichten möchte - ohne Chimären-Experimente auskommen kann. So muss etwa geklärt werden, wie sich die zellulären Alleskönner verhalten, wenn sie in ebenfalls noch in der Entwicklung stehendes Gewebe von Embryonen eingebracht werden. Auch solche Versuche wurden weltweit bereits unternommen. Experten ordnen daher die aktuellen, empörten Reaktionen hierzulande auf diese und ähnliche Experimente als durchaus verspätet ein, betrachtet man die fortgeschrittene Entwicklung auf dem Gebiet.

    Dass auf Chimärenversuche kaum verzichtet werden kann, um eine Grundlage für Stammzelltherapien zu erarbeiten, schätzt grundsätzlich auch die US-amerikanische Nationale Akademie der Wissenschaften. Allerdings empfiehlt die Institution dabei drei Ausnahmen. So sollen menschliche embryonale Stammzellen nicht in die sexuelle Keimbahn von Tieren eingebracht werden, da sich so in den Tieren menschliche Ei- und Samenzellen entwickeln würden. Eine eventuelle Paarung solcher Exemplare hätte nicht vorstellbare Folgen. Zweitens sei von einem Einsatz menschlicher Stammzellen im Gehirn von Tieren abzusehen, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass bei ausreichender Menge an so erzeugtem Gehirngewebe möglicherweise Vorstufen von Bewusstsein geschaffen werden könnten. Und schließlich fordern die US-Forscher, embryonale Stammzellen nicht in Embryonen zu transplantieren, da so Grundlagen für eine genetische Modifikation von Menschen geschaffen würden. Fachleute drängen angesichts des Positionspapiers aus den USA und den aktuellen Reaktionen hierzulande auf eine entschlossene Diskussion, in welchen Grenzen, aber auch Freiheiten Grundlagenforschung an Stammzellen in Deutschland unternommen werden darf.

    [Quelle: Grit Kienzlen]