Illustratorin Nora Krug

Die Zeichnerin als Zeugin

32:00 Minuten
Zwei Buchseiten aus "Heimat" von Nora Krug (Collage)
Nora Krug taucht in ihren Zeichnungen nicht nur tief in ihre Familienchronik ein, sondern erzählt auch amüsant von ihrer Liebe zur neuen Heimat Amerika. © Nora Krug / Collage: DLF Kultur
Moderation: Ulrike Timm  · 09.07.2019
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Sie lebt seit Jahren in New York, ist mit einem amerikanischen Juden verheiratet und spürt ihre deutschen Wurzeln stärker als je zuvor. “Was ist Heimat?“, fragte sich Nora Krug und zeichnete ein spektakuläres Album – über ihre Familie in der NS-Zeit.
Um herauszufinden, was "Heimat" für sie bedeutet, ging die Illustratorin Nora Krug auf Spurensuche in der Vergangenheit ihrer Familie. Und entdeckte: Im Dritten Reich waren die Krugs eine durchschnittliche Mitläuferfamilie.
Nora stellte Fragen, denen ihre Eltern bislang aus dem Weg gegangen waren – etwa: Was hatte die Fahrschule des Großvaters mit dem jüdischen Unternehmer zu tun, dessen Chauffeur er vor dem Krieg gewesen war? Aus den Antworten formte sie ihr "Deutsches Familienalbum" mit gezeichneten und handgeschriebenen Bildergeschichten – ein Appell gegen das Vergessen.
Kritik am deutschen Schulwesen
"Es ist meine Verantwortung, diese Geschichten am Leben zu erhalten", sagt Krug. "Das Ziel meines Buchs ist nicht, auf der alten Schuld rumzureiten und mich gelähmt dadurch zu fühlen, sondern meine Familiengeschichte ganz konkret zu konfrontieren. Und mich dadurch von dieser Lähmung zu befreien. Nicht von der Vergangenheit, sondern von der Lähmung."
Die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus ist nach Ansicht von Nora Krug an unseren Schulen nicht gut gelöst. Die mehrfach ausgezeichnete Illustratorin fände es wichtig, junge Menschen stärker zu persönlicher Verantwortung zu erziehen.
Diesen Ansatz vermisste sie schon in ihrer eigenen Schulzeit: "Wir wurden zwar mit Fakten bombardiert, aber wir wurden nicht besonders stark ermutigt, dieses geschichtliche Wissen dann zu konkretisieren – indem wir etwa gesagt bekommen hätten: ‘Jetzt geht nach Hause und interviewt eure Großeltern!‘ Oder: ‘Überlegt euch mal, wie ihr in unserer jetzigen Gesellschaft Toleranz üben und Demokratie verfechten könnt!‘ Bei solchen Fragen hätte man das Gefühl gehabt: Ich kann was tun, ich kann aus dem Wissen lernen."
Die Zeichnerin und Autorin Nora Krug.
Die Zeichnerin und Autorin Nora Krug setzt sich mit der Geschichte ihrer Familie während der NS-Zeit auseinander.© Nina Subin / Penguin Verlag München
Nora Krugs 2018 erschienenes Buch "Heimat – Ein deutsches Familienalbum" ist mittlerweile ein internationaler Bestseller – es wurde in 16 Sprachen übersetzt, hat viele Auszeichnungen erhalten und ist für den Deutschen Jugendbuchpreis 2019 nominiert. Sie taucht darin nicht nur tief in ihre Familienchronik ein, sondern erzählt auch amüsant von ihrer Liebe zur neuen Heimat Amerika – und von den Nöten einer Auswanderin.

Die positiven Seiten Amerikas

Denn gelegentliches Heimweh nach Deutschland überfällt Nora Krug bis heute. Seit mittlerweile 17 Jahren lebt sie in New York – und erlebt immer wieder Momente, in denen sie sich nach dem alten Zuhause sehnt.
Im "Familienalbum" findet sich denn auch ein "Katalog deutscher Dinge", die sie in den USA vermisst. Heftpflaster, Brötchen und Tannenöl-Badezusatz etwa gehören dazu.
Zwei Buchseiten aus "Heimat" von Nora Krug (Collage)
Nora Krugs "Deutsches Familienalbum" mit gezeichneten und handgeschriebenen Bildergeschichten ist ein Appell gegen das Vergessen. © Nora Krug / Collage: DLF Kultur
Doch wirklich zurück nach Deutschland will die Auswanderin nicht. Denn es gebe eben auch viel Gutes in den Vereinigten Staaten:
"Dieses positive Denken. Das Nach-vorne-Schauen, die Offenheit für neue Ideen! Wenn ich nach Deutschland zurückkomme, fällt mir außerdem immer auf, dass es – im Vergleich zu Amerika – relativ wenig Gemeinschaftsgefühl gibt. Das kommt sicher daher, dass sich der Staat in Deutschland um sehr Vieles kümmert. In Amerika ist es umgekehrt. Dadurch, dass der Staat wenig leistet, im Vergleich, gibt es einen stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und das ist etwas Wunderschönes."
(tif/sus)
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