Thomas Bührke: "Die Verfolgten"

Auf den Spuren geächteter Forschender

07:44 Minuten
Buchcover mit historischen Personen, unter anderem mit Albert Einstein
© Klett Cotta

Thomas Bührke

Die Verfolgten. Geniale und geächtete Wissenschaftler von Giordano Bruno bis Alan TuringKlett-Cotta, Stuttgart 2022

297 Seiten

22,00 Euro

Von Eike Gebhardt · 01.11.2022
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Seit es Wissenschaft gibt, nutzen Herrschende ihre Macht, um unliebsame Forschende mundtot zu machen. Thomas Bührke stellt in seinem Buch sieben von ihnen vor - die Auswahl scheint etwas willkürlich, lesenswert ist sie trotzdem.
Wissenschaft ist wertfrei, das wissen wir oder glauben es zumindest. Trotzdem haben sich Machthaber immer wieder an der freien Ausübung von Wissenschaft gestört und jene verfolgt, die es trotzdem wagten. Solche "genialen und geächteten Wissenschaftler" nimmt der Wissenschaftsjournalist Thomas Bührke in seinem Buch in den Blick und beleuchtet die verschiedenen Gründe für die Verfolgung.
Oft sind das bestimmte Inhalte: Wenn etwa Stalin die Quantenphysik ächtet, weil sie im Widerspruch zum Materialismus steht. Manchmal reichen aber auch ein vermeintlich unorthodoxer Lebensstil, wie im Fall von Alan Turings Homosexualität, oder die bloße Herkunft der Forschenden, wie bei der Schmähung jüdischer Wissenschaft durch die Nationalsozialisten.

Infragestellung kirchlicher Autorität

Als Einstieg wählt Bührke den frühneuzeitlichen Astronomen Giordano Bruno. Schärfer noch als Galilei griff Bruno das kirchlich dekretierte Weltbild der Erde als gottgewollter Mittelpunkt des Kosmos an: Es gebe so unendlich viele Welten, womöglich gar bewohnte, da könne ja jeder behaupten, er sei der Mittelpunkt, wandte der universell gelehrte Bruno ein - eine Beleidigung und Demütigung der religiösen Autoritäten.
Bronzestatue des Universalgelehrten Giordano Bruno auf einem Platz in Rom.
Heutzutage erinnert eine Bronzestatue auf einem Platz in Rom an den Universalgelehrten Giordano Bruno.© picture alliance / Pacific Press / Matteo Nardone
Bührke zeichnet Brunos Fluchtwege durch halb Europa und deren jeweilige Gründe nach, die seiner Verfolger sowie Brunos eigene - und auch die Wertschätzung durch Roms Feinde, bei denen er mitunter Schutz und Anstellung fand.

Vergessene Forscherinnen

Auf den Spuren politischer Unliebsamkeit folgt Bührke neben Bruno noch sieben weiteren verfolgten Forscherinnen und Forschern wie Albert Einstein, Lise Meitner, Antoine Laurent de Lavoisier und Alan Turing. Darunter befinden sich auch weniger bekannte wie die brillante Mathematikerin Emmy Noether, die wie so viele Frauen mit herablassender Diskriminierung zu kämpfen hatte.
Dieses Schicksal teilte Noether etwa mit Meitner, der trotz ihrer entscheidenden Rolle bei der Entdeckung der Kernspaltung - und obwohl viele männliche Kollegen sie nachdrücklich unterstützten - der Nobelpreis versagt blieb, der fraglos einen gewissen Schutz vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten bedeutet hätte. Stattdessen galt sie nur als "Mitarbeiterin" von Otto Hahn, obwohl beider Anteil ununterscheidbar war, wie Hahn selbst betonte.
Nachkolorierte Aufnahme von Otto Hahn mit Lise Meitner sitzend im Labor um 1910.
1944 wurde Otto Hahn mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt, Lise Meitner wurde nicht bedacht.© picture-alliance / akg-images / akg-images
Ähnlich erging es Noether, die wie Meitner zunächst nur vor dem Verlust ihrer Existenzgrundlage floh, nicht aber aktiv verfolgt wurde. Obwohl mehrere mathematische Theoreme später sogar nach ihr benannt wurden, bleibt ihr Name bis heute weithin unbekannt: die typische unheilige Allianz von misogyn-patriarchalischer Politik und kulturgeschichtlicher Blindheit.

Politische Beurteilung von Wissenschaft

Den roten Faden des Buches bildet die wiederkehrende Beobachtung, dass die Wertschätzung oder Ablehnung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern immer wieder auch politisch motiviert ist. Dass Bührke den vielleicht schlagendsten Beleg dafür gar nicht anspricht, ist dann aber doch verwunderlich: Den mit nationalistischen Vorurteilen gespickten Schlagabtausch sogar unter hochseriösen Wissenschaftlern während des Ersten Weltkrieges, zu dem sich selbst Paul Ehrlich oder Henri Poincaré nicht zu schade waren.
Überhaupt scheint Bührkes Auswahl der Fallbeispiele willkürlich. Es fehlt ein klares Kriterium: etwa bisher unbekannte Fälle, oder die Ausgrenzung bestimmter Forscherinnen und Forscher durch die eigenen Kollegen, wofür die Wissenschaftssoziologie einen Schatz von unappetitlichen Beispielen bietet. Aber als Einführung in eine weithin abgeschottete soziale Landschaft, in der es bei allem Anspruch auf Sachlichkeit oft zugeht wie in einer (auch politisch) giftstrotzenden Schlangengrube, bietet der Band solide recherchierte, aufklärerische Unterhaltung.

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