Nosthoff/ Maschewski: "Die Gesellschaft der Wearables"

Gefährliche Verführung durch smarte Begleiter

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Buchcover "Die Gesellschaft der Wearables" von Anna-Verena Nosthoff und Felix Maschewski vor einem grafischen Hintergrund
Die Philosophin Anna-Verena Nosthoff und der Kulturwissenschaftler Felix Maschewski beschreiben die Gefahren des Booms der "Wearables". © Nicolai Publishing & Intelligence GmbH
Von Vera Linß  · 08.01.2020
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Immer mehr Menschen vermessen sich mithilfe kleiner digitaler Geräte selbst - etwa um ihre Gesundheit zu verbessern. Die Autoren von "Die Gesellschaft der Wearables" warnen vor den negativen Nebenwirkungen, von Überwachung bis sozialer Normierung.
"Wearables" erobern die Welt: Fast eine Viertelmilliarde Smartwatches, Brillen und Kleidungsstücke, in die kleine tragbare Computersysteme integriert sind, gingen im letzten Jahr über den Ladentisch. Sie alle erfassen verbrannte Kalorien, gelaufene Schritte, die Pulsfrequenz oder den Herzschlag - und die Hersteller versprechen Freiheit durch Selbsterkenntnis.
Für Anna-Verena Nosthoff und Felix Maschewski hingegen sind "Wearables" zuallererst Einfallstore für Überwachung und soziale Gleichschaltung.

Kontinuierliche Selbstunterwerfung

Die Praktiken der Vermessung zielten auf eine neue Form der Vorschrift, die zur gesellschaftlichen Norm werden könnte, so die These der Autoren. Ausführlich klären sie deshalb über die Möglichkeiten des Missbrauchs von "Wearables" auf. Und die gibt es durchaus, wie die Philosophin und der Kulturwissenschaftler am Beispiel der Apple Watch zeigen.
Diese dokumentiert nicht nur einfach Körperdaten, sondern setze den Nutzer auch ständig unter Leistungsdruck. Die Aufforderung zur stetigen Selbstoptimierung – das Schließen so genannter Aktivitätsringe – gehöre ebenso dazu wie der geforderte Leistungsvergleich mit Freunden. Zudem landeten die so gesammelten Daten natürlich in der Cloud.
"Kontinuierliche Selbstunterwerfung" nennen die beiden Wissenschaftler dieses Non-Stop-Monitoring, das über "Wearables" läuft. Die versprochene Freiheit werde mit permanenter Kontrolle synchronisiert, der Wunsch nach smarter Selbstkontrolle in das Werteverständnis der Nutzer eingeschliffen.
Dass dies tatsächlich von den Entwicklern genau so beabsichtigt ist, legen die Strategien nahe, die derzeit in der Tech-Branche erdacht und erprobt werden.

Erschreckende Einblicke

Das Buch liest sich spannend und gruselig zugleich, denn Nosthoff und Marschewski haben zahlreiche Experimenten und Ideen zusammengetragen, etwa die von MIT-Professor Alex Pentland, auch "Großvater der Datenbrille Google Glass" genannt.
Der Informatiker theoretisiert über die Steuerung der Gesellschaft durch die Vorhersage von Sozialverhalten – auf Grundlage der aus "Wearables" gewonnenen Daten. Dazu passend: Die Studie "Fun Fit", in der Pentland getestet hat, ob Gruppen aktiver sind, wenn sich alle gegenseitig wie in einem Panoptikum überwachen.
Dass Anna-Verena Nosthoff und Felix Marschewski angesichts all dessen eine starke demokratische Gestaltung von Technik anmahnen, überrascht nicht - und ist auch absolut richtig. Umso mehr ärgert es, dass für beide ausgemacht scheint, die Nutzerinnen und Nutzer würden selbstverständlich den Verführungen von "Wearables" komplett erliegen.
Sie argumentieren allein aufgrund der Tatsache, dass die Verkaufszahlen steigen. Belege für ein spezielles Nutzungsverhalten, das zur bestimmenden Norm werden könnte, liefern sie aber nicht.
Damit bleibt die wichtige Frage unbeantwortet, wo genau angesetzt werden muss, um einen überlegten Umgang mit "Wearables" zu erreichen. Allen Nutzern von vornherein mangelnde Urteilskraft zu unterstellen, ist der nötigen Gefahrenabwehr nicht dienlich.

Anna-Verena Nosthoff, Felix Maschewski: "Die Gesellschaft der Wearables. Digitale Verführung und soziale Kontrolle"
Nicolai Verlag, Berlin 2019
120 Seiten, 18 Euro

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