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Grüne vor Leipziger Bundesparteitag
„Das Problem ist ja nicht Herr Merz“

Geschichtsgedenken, Industriepolitik, Europa – die Grünen wollen sich mit dem Parteitag in Leipzig auf 2019 vorbereiten. Mit ihren Kernthemen Umwelt und Klimaschutz zieht die Partei in den Europawahlkampf. Koalitions-Planspiele sind tabu – und Friedrich Merz (CDU) wird vorab nicht direkt kritisiert.

Von Barbara Schmidt-Mattern |
    Grünen-Bundesvorsitzende Annalena Baerbock und Robert Habeck
    Grünen-Bundesvorsitzende Annalena Baerbock und Robert Habeck (picture alliance / Bernd von Jutrczenka/dpa)
    Dass Starpianist Igor Levit heute Nachmittag die Grüne Bundesdelegiertenkonferenz eröffnet, darauf ist Bundesgeschäftsführer Michael Kellner ganz besonders stolz. Levit entstammt einer jüdisch-russischen Familie und tritt ein gegen Rassismus und Fremdenhass.
    Deshalb, sagt Kellner, „freu ich mich sehr, dass Igor Levit spielen wird. Der sehr öffentlich, sehr prononciert auch politisch auftritt. Das schmückt uns und freut mich“.
    Feilen am frischen Image
    Politik trifft Kultur – das passt zum frischen Image, an dem das neue grüne Führungsduo Habeck und Baerbock emsig feilt. Offiziell wollen die rund 850 Delegierten bis Sonntag ihr Wahlprogramm verabschieden und ihre Kandidaten für die Europawahl wählen. Doch viel mehr noch zählen innenpolitische Botschaften, etwa die: Die Grünen als geschichtsbewusste und staatspolitisch verantwortungsvolle Partei:
    „Dieser Tag, dieser 9. November steht ja für die dunkelsten und hellsten Stunden deutscher Geschichte. Wir werden daran erinnern: 80 Jahre Reichspogromnacht. Und eben auch die friedliche Revolution in der DDR. Wir sind ganz bewusst nach Leipzig gegangen. Weil auch vor 25 Jahren der Zusammenschluss von Bündnis 90/ Die Grünen war.“
    Michael Kellner denkt bereits an die Landtagswahlen kommendes Jahr in Ostdeutschland, wo die Grünen traditionell schwach sind. Längst fischen sie zudem im Gewässer der SPD, siehe Gästeliste: Auch IG-Metallchef und Sozialdemokrat Jörg Hofmann kommt nach Leipzig.
    „Hat aber nix mit der SPD zu tun“, beteuert der Co-Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck: „Also hat was damit zu tun, dass wir den industriellen Kern Deutschlands weiter entwickeln wollen, um ihn zu verteidigen, oder um ihn zu behalten. Und wenn Herr Hofmann die Einladung annimmt, mit uns in die Debatte zu treten, dann ist das ein gutes Zeichen.“
    Mit ihren Kernthemen Umwelt und Klimaschutz ziehen die Grünen in den Europawahlkampf, Ferner will die Partei mehr Chancengleichheit für Frauen erreichen und ein europäisches Bahnsystem mit mehr Nachtzügen aufbauen. „Die Zukunft ist nicht national, die großen Herausforderungen unserer Zeit lösen wir eben nur europäisch.“
    Bloß keine Spekulationen
    Doch es gibt auch europapolitische Streitthemen: Asyl und Migration, Kindergeld, Außen- und Verteidigungspolitik – hier driften Realos und Linke auseinander, obwohl Habeck und Annalena Baerbock gerne die neue grüne Einheit beschwören.
    Spekulationen über eine Neuwahl oder eine Neuauflage der Jamaika-Planspiele lehnt die Parteispitze hingegen ab.
    Auffällig ist allerdings, dass Annalena Baerbock sich direkte Kritik an Friedrich Merz und dessen Tätigkeit in der Finanzbranche verkneift: „Das Problem ist ja nicht Herr Merz. Sondern das Problem ist in Europa. Wir haben keine vernünftige Regulierung des Finanzsystems. Und das ist wirklich eine zentrale Aufgabe, endlich für eine absolute Regulierung der Banken in Europa zu sorgen.“
    Obwohl „nur“ ein Arbeitsparteitag, wird diese Bundesdelegiertenkonferenz vor allem innenpolitisch spannend werden, denn der Wettbewerb um den Parteivorsitz bei der CDU elektrisiert auch die Grünen.