Der Dosenmensch

Von David Siebert · 16.07.2013
Der Kongo gilt laut UN-Angaben als das ärmste Land der Welt. Trotzdem ist dort eine junge und rebellische Kunstszene entstanden. Der Künstler Eddy Ekete ist einer ihrer Protagonisten. Derzeit lebt er in Frankreich und sorgt unter anderem mit seiner Performance als "Dosenmensch" für Aufsehen.
Auf dem Place Kléber, dem zentralen Innenstadtplatz von Straßburg mit pittoresken historischen Gebäuden, tauchen zwei bizarre Gestalten auf – behängt mit unzähligen Getränkedosen.

Zuschauer scharen sich um sie herum, Kinder tasten neugierig an den Dosen. Die Metallwesen beginnen einen afrikanischen Tanz, ein tranceähnlicher Rhythmus hallt über den Platz.

"L´homme canette" – Der Dosenmensch – nennt Eddy Ekete seine Kunstaktion. Jedes Kostüm besteht aus rund 700 Dosen und wiegt 25 Kilo.

"Nach der Performance schmerzt dein ganzer Körper, Kopf und Ohren dröhnen von dem Lärm. Dann erinnert du dich an die Reaktionen der Zuschauer: Manche freuen sich, andere haben richtig Angst oder regen sich fürchterlich auf."

Eddy Ekete hat die Figur eines Basketballspieler und trägt Dreadlocks. Ein dünner Bart umspielt sein breites, dunkles Gesicht. In Straßburg ist er meist in der SemenceRIE anzutreffen:

Ein ehemaliges Getreidedepot, eingezwängt zwischen zwei Bahntrassen. Ekete hat es 2008 entdeckt und in eine Oase für moderne Kunst verwandelt:

"Wir haben eine günstige Miete ausgehandelt, jetzt arbeiten hier 25 Künstler. Wir zeigen Ausstellungen und veranstalten ein alljährliches Kunstfestival."

Aus dem Laptop in Eketes Atelier scheppern neueste Hits aus dem Kongo. 1978 wurde er dort geboren. Er studierte noch unter der Herrschaft von Diktator Mobuto an der Kunsthochschule von Kinshasa. 2003 gründete er dort die Künstlergruppe "Eza possibles" - übersetzt: "Alles ist möglich!"

"Wir waren alle Absolventen der Kunsthochschule. Aber weil es im Kongo weder Galerien, noch Museen gibt, hatten wir keinerlei Arbeit. Wir hatten buchstäblich nichts zum Leben, konnten höchstens mal ein Werbeplakat malen – davon hatten wir die Schnauze voll!"

"Kinshasa Wenze Wenze" – Kinshasa im Chaos – nannten sie ihre erste Kunstaktion: Sie türmten 54 Schrottautos auf einem Fußballfeld auf – ein Sinnbild für den Verfall des Landes:

"Die ehemaligen Reichen, die sich früher noch Autos leisten konnten, lassen sie nun vor ihren Häusern verrotten, weil es keine Schrottplätze mehr gibt. Die ganze Stadt ist voll davon!"

Eza Possibles malten die Wracks knallbunt an, bearbeiteten sie mit dem Schweißgerät und fertigten daraus ein Miniaturabbild des Acht-Millionen-Molochs am Kongo-Fluss:

"Die Leute haben es geliebt: 'Oh schau, da ist das Fußballstadion von Kinshasa, da ist das Ehrendenkmal!' Aber alles war rostig, schmutzig und bizarr. Die Aktion wurde auf drei Monate verlängert, es gab ein riesiges internationales Medienecho!"

Später entwickelte sich ein enger Austausch zwischen der Kunsthochschule von Kinshasa und der "Art Deco", der Kunsthochschule von Straßburg.

Ekete zog 2007 nach Frankreich und setzte dort sein Studium fort. In seinen Gemälden mischt er traditionelle Formen und Muster Zentralafrikas mit westlicher abstrakter Kunst und Pop Art.

Die bunten Farben stehen für die Lebensfreude, sagt Ekete. Seine Gestalten machen hingegen Angst: Düstere, dunklen Visagen – mit leeren Augen und grotesken Mündern. Häufig stellen sie Soldaten dar – Erinnerungen an die Bürgerkriegsdramen im Kongo.

"Ich habe viele Soldaten gesehen, die mit amputierten Beinen und Armen aus dem Krieg heimkehrten. Sie wurden mit Blumen geschmückt, als Helden gefeiert – aber ihr Leben war zerstört und den Sold blieb man ihnen schuldig."

Seine Soldatenmotive gestaltet Ekete aus alten Kaffee- und Kakaoverpackungen – ein Verweis auf die koloniale Ausplünderung des Kongo – und eine Anspielung auf die eigene Familiengeschichte:

"Ich bin als Sohn eines hochrangigen Miltärs aufgewachsen. Aber statt mit Nintendos und Comics zu spielen, wie die Kindern der anderen Generäle und Majore, hat mich das Spiel auf der Straße gereizt: Da waren wir frei, konnten die wildesten Dinge anstellen, Autos aus Konservendosen und Draht basteln, Akrobatik machen, Fußball spielen."

Der kreative Umgang mit Alltagsmaterialien von der Straße – Verpackungsmüll, Holz oder Blechdosen – macht auch heute noch seine Kunst aus. Eketes Arbeiten wurden bereits vom Goethe Institut und der Focus 09, einer Ausstellung afrikanischer Kunst im Umfeld der Art Basel, präsentiert. Seine Heimat hat er aber nicht vergessen:

"Nächstes Jahr gehen wir mit der Kunsthochschule Straßburg wieder in den Kongo um Workshops anzubieten: Performance, Fotografie, Video, Neue Medien. Bisher lernt man da nur Bildhauerei und so etwas, der Kunstunterricht dort unten ist noch viel zu traditionell!"