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Eiskalt und gletschergrün

Jeden Sommer gehen Zehntausende Berner ins Wasser. Sie erfrischen sich in der Aare, die die Altstadt von Bern umfließt. Schon seit rund 200 Jahren wird der längste Fluss der Schweiz als öffentliches Schwimmbad genutzt. Anke Ulke hat sich treiben lassen und festgestellt: Aareschwumm macht glücklich!

Von Anke Ulke | 01.09.2013
    Die Band Züriwest hat es auch gewusst: Ein Sommertag im Marzilibad, am Ufer der Aare, ist wunderbar. Vorausgesetzt, die Sonne scheint und lädt ein zum Aareschwumm!

    Doch mitten im Hochsommer empfängt mich die Aare wie ein reißender Gebirgsbach nach Sturzregen! Strudel, Wirbel, schlammig-braune Wellen, die immer wieder dicke Äste und kleinere Baumstämme mit sich reißen. Manche verkeilen sich in den Ufergeländern, versperren Stiege und Stufen. Nicht mal als Ente wagt man sich da in den Fluss!

    Doch schon am nächsten Morgen hat sich die Aare beruhigt. Die Farbe hat von Schlammbraun zu Gletschergrün gewechselt, ein erstes Schwimmen könnte möglich sein. Doch Bernhard Fleuti von der SLRG, der Schweizerischen Lebensrettungsgesellschaft, winkt ab. Die Strömung meint er, ist für Aare-Neulinge zu schnell:

    "Zurzeit mit dem hohen Wasserstand haben wir vermehrt Strömung, die wir sonst nicht so kennen, man sieht hier sogenannte Wasserpilze. Da ist Wasser, das vom Grund aufsteigt und dann an der Oberfläche wie ein Tisch wegfließt. Wir haben dann auch Wirbel, so kreisrunde Strömungen, die dann kurz einen Zug nach unten gibt, und dazwischen hat’s Querströmungen, wo es dann einen Schwimmer auf die Seite wegspült."

    Die Fließgeschwindigkeit der Aare ist mit drei Kubikmetern pro Sekunde fast doppelt so schnell wie üblich im Sommer. Das Wasser, normalerweise um diese Jahreszeit klar und grün mit Sicht bis auf den Grund, ist noch trüb. Doch plötzlich kommt eine Schwimmerin - im Eiltempo trägt die Aare sie an uns vorbei. Bernhard Fleuti ist nicht amüsiert:

    "Leichtsinnig ist es wegen der Wasserfarbe. Man sieht nicht, was unter der Wasseroberfläche daherkommt und das ist das Gefährliche am Flussschwimmen, wenn man nichts sieht. Die Strömung und die Wassergeschwindigkeit ist das Andere. Ein guter Schwimmer kann das schaffen, aber es braucht die nötige Vorsicht und Erfahrung."

    Erfahrung ist genauso wichtig, wie das Einhalten der Baderegeln. Denn immer wieder ertrinken unerfahrene Schwimmer in der Aare. Der Fluss kann nichts dafür - meist sind es Touristen, die im Sommer hocherhitzt auf schnelle Kühlung hoffen und ohne jede Wassergewöhnung untertauchen. Ein Sprung, den das Herz manchmal nicht mitmacht … Doch Emil Merkli hat Erfahrung. Seit fünf Jahren ist der Pensionär passionierter Aare-Schwimmer, kommt gerade tropfnass aus dem Fluss.

    "Es ist etwas Schönes, das mache ich das ganze Jahr. Auch im Winter. 3,2 Grad habe ich den letzten Winter gesehen."

    Meist steigt er flussaufwärts, oberhalb vom Eichholz ein, einem Campingplatz mit Flussanschluss. Emil Merkli:

    "Ich gehe ein bisschen weiter, da ist eine Treppe, da kann ich schön in den Fluss reingehen und rausschwimmen. Und dann nimmt es mich gleich auf die rechte Seite der Aare. Jetzt heute hatte ich neun Minuten in der Aare und etwa eine knappe halbe Stunde zum Laufen."

    Heute war die Tour drei Minuten kürzer als sonst - gefährlich, meint der Pensionär - war’s nicht:

    "Sie hat keine Wirbel, also nur ganz kleine Wirbel, dass Sie am Bauch etwas gekitzelt werden."

    Die Sonne strahlt, die Hitze flirrt, die Aare ruft! Am Nachmittag wage ich es doch, trotz hoher Fließgeschwindigkeit und nicht ganz klarer Sicht. Martin König, Schwimmmeister im Marzilibad, dem bekanntesten Flussbad der Aare, begleitet mich. Wir gehen zuerst an zwei, drei Treppen vorbei, legen die Vorletzte als Ausstieg fest. Denn es kann passieren, dass ich zu weit vom Ausstieg bin und vorbei getrieben werde. Dann kann ich an der nächsten Treppe immer noch festhalten und aussteigen. Martin König:

    "Und beim Landen ist sehr sehr wichtig, dass man sich in flacher Bauchlage befindet, die Beine so lange wie möglich hoch und mit dem ufernäheren Arm ausstrecken und das Geländer fassen und dann von der Strömung wird man automatisch in die Strömung genommen und dann erst mit den Beinen Stand oder Boden suche."

    Vor dem Einstieg checken wir den Fluss. Ein Blick, flussaufwärts, wie beim Straße queren: Kommt Treibholz? Andere Schwimmer? Nichts und niemand ist in Sicht, es kann losgehen! Die Füße ins Wasser, es ist frisch, 18 Grad, eine Temperatur, über die alte Aare-Hasen nur lachen! Martin König geht vor. Wichtig ist das Annetzen - vor allem, wenn man erhitzt ist. Martin König:

    "Beine netzen, Arme, Nacken, Gesicht, Oberkörper. Normalerweise sollte das genügen, dass man dann gefahrlos, ohne dass man Schwierigkeiten bekommt, wenn man überhitzt gewesen ist, kann man sich dann in die Fluten stürzen. Netzen und rein!"

    Hinterher, wenn ich nicht allein bleiben will! Eine Stufe, zwei, die Strömung zieht und zerrt an den Füßen, an den Waden, rasch annetzen und eintauchen!

    Die kühle Aare reißt mich mit, trägt mich in wenigen Sekunden zum festgelegten Ausstieg. Heranschwimmen, linken Arm ausstrecken, die Strömung drückt mich mit Schwung direkt vor die Treppenstufen. Einmalig! Unbeschreiblich! Schön! Kein Wunder, dass die Aare-Schwimmer und -Schwimmerinnen fast ausnahmslos mit einem Lächeln aus dem Fluss steigen, so wie Yves Schott und Miriam Körschi.

    "Es gibt nicht so viel Städte, wo man so lange Strecken laufen kann, 1,2, km und dann alles runterschwimmt natürlich in hervorragender Wasserqualität und man kommt da runter und sieht auf den Hausberg und sieht das Bundeshaus, das ist schon was ganz Spezielles."

    "Erfrischend ist das eine, das andere ist, dass wir an Fluss haben zuhause, der nicht schmutzig ist, den man normalerweise bis auf den Grund sieht, die Steine hören unter Wasser. Ich finde es superschön!"

    Die Steine hören? Aarerauschen nennen das die Berner. Geografen sagen "Geschiebe" dazu. Zu der Bewegung der unzähligen Kiesel im Fluss. Andi Jacomet, der seit 20 Jahren in der Aare schwimmt und mit dem ich am nächsten Tag zu einem längeren Aareschwumm verabredet bin, hat es vor einigen Jahren sogar aufgenommen:

    "Das erste Mal als ich in der Aare war, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, was das für ein wunderschönes, beruhigendes Geräusch ist, geht in die Kategorie Katzengeschnurre, es hat etwas sehr Beruhigendes, Mystisches, Schönes und ich fand dann, das muss man konservieren."

    Ich möchte es auch hören, das Aarerauschen! Da die Strömung aber noch zu stark ist, verzichten wir auf die Altstadtumrundung, lassen das Bärengehege am Flussufer, die Nydeggbrücke und vor allem die Untertorbrücke zu Fuß hinter uns. Die Untertorbrücke ist die älteste Brücke der Stadt und um ihre Pfeiler haben sich nach dem Unwetter starke Strudel gebildet. Selbst erfahrene Aare-Schwimmer bekommen dann Probleme. Andi Jacomet:

    "Wenn man in so einem Strudel mal drin ist, und zurückgetragen wird, in eine sogenannte Gegenströmung gerät, dann bleibt man da in der Regel, außer jemand holt einen raus, oder man betreibt ziemlich viel Aufwand, wenn man Pech hat, zieht es dann einen runter. Wenn das passiert, ist die Faustregel, sich runterziehen lassen, vom Wirbel, unten abstoßen und schräg raus, dann hat man sich gerettet."

    Auf keinen Fall möchte ich als Aare-Anfängerin in so einen Strudel geraten! So steigen wir erst danach in den Fluss, der hier deutlich langsamer fließt und uns gemächlich in Richtung Lorrainebad trägt. Ich strecke die Füße nach vorn, breite die Hände aus und lege den Kopf aufs Wasser, so dass die Ohren untertauchen. Und dann kann ich es hören - das Aarerauschen.


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