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Kritik an Russland-Sanktionen
"Tsipras möchte Stärke zeigen"

Ministerpräsident Alexis Tsipras hat die EU-Sanktionspolitik gegenüber Russland attackiert. "Er möchte zeigen, dass jetzt ein anderer Ton aus Athen kommt", sagte Julian Rappold von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Damit wolle er sich eine bessere Situation für die Verhandlungen über Griechenlands Schulden verschaffen.

Julian Rappold im Gespräch mit Silvia Engels | 28.01.2015
    Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras bei seiner ersten Kabinettssitzung.
    Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras bei seiner ersten Kabinettssitzung (dpa / Pantelis Saitas)
    Silvia Engels: Dass den Euro-Finanzministern harte Verhandlungen mit der neuen griechischen Regierung bevorstehen, um deren Forderung eines Schuldenschnitts zu diskutieren, das ist ja allgemein bekannt. Für Überraschung in Brüssel hat aber nun wohl gesorgt, dass Ministerpräsident Tsipras auch keine Zeit verliert, um die europäische Sanktionspolitik gegenüber Russland zu attackieren.
    Am Telefon mitgehört hat Julian Rappold. Er ist derzeit Leiter des Europaprogramms der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und er beschäftigt sich intensiv mit Griechenland. Guten Tag, Herr Rappold.
    Julian Rappold: Guten Tag.
    Engels: Bleiben wir beim gerade besprochenen Thema. Rechnen Sie denn damit, dass Tsipras hart bleibt und dadurch die gemeinsame Linie der EU-Sanktionspolitik gegenüber Moskaus am Ende ist?
    "Außenpolitik als wichtiger Hebel für Verhandlungen"
    Rappold: Ich glaube, Tsipras möchte als erstes mal Stärke zeigen. Er möchte den europäischen Partnern zeigen, dass er nicht ein Juniorpartner ist, dass jetzt ein anderer Ton aus Athen kommt. Und er möchte sich nun eine komfortable Situation auch verschaffen für die anstehenden Verhandlungen über die Zukunft der griechischen Schulden. Ich glaube, das ist tatsächlich ein zentraler Aspekt. Denn man muss sehen: Wir befinden uns momentan in einer anderen Phase als wir uns noch vor zwei, drei Jahren befunden haben in der Europäischen Union, als die EU komplett noch mit sich selbst beschäftigt war. Jetzt haben wir zusätzlich Instabilität und Konflikte an den EU-Außengrenzen, und da spielt die Außenpolitik zunehmend eine wichtigere Rolle, und wie wir eben gehört haben besteht ja auch das Einstimmigkeitsverfahren, und da ist die Außenpolitik ein sehr wichtiger Hebel für die anstehenden Verhandlungen.
    Engels: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, Sie sehen, dass Tsipras hier versucht, diplomatisches Material zu sammeln, das er dann in den Gesamtverhandlungen mit der EU, wenn es auch um die griechischen Finanzen geht, in die Waagschale wirft, aber er ist jetzt nicht ideologisch so festgelegt, dass er auf jeden Fall die EU-Sanktionspolitik gegenüber Moskau stoppen will?
    Rappold: Genau. Ich denke, er möchte jetzt erst mal zeigen, dass er hier eine starke Position hat. Er möchte zeigen, dass mit ihm nicht so leicht Kirschen zu essen ist. Und was die Verhandlungen dann tatsächlich mit Blick auf das Sanktionsregime angeht, da würde ich sagen, da wird er sich noch bewegen, aber das wird dann Teil eines größeren Paketes sein, was dann auch mit den europäischen Geldgebern zu verhandeln ist.
    "Tsipras will soziale Krise abmildern"
    Engels: Dann wechseln wir jetzt etwas die Perspektive und schauen auf das, was Tsipras mit Blick auf die griechische Innenpolitik schon angekündigt hat. Er will konkret werden, indem er Projekte der Privatisierung stoppt. Den Sparkurs will er ohnehin stoppen. Und er will wieder Beschäftigte im öffentlichen Dienst einstellen. Ist das alles darauf gerichtet, um die Klientel der beiden Parteien, die jetzt koalieren, zu bedienen?
    Rappold: Mit Sicherheit wurde Tsipras deswegen gewählt. Die griechische Bevölkerung setzt große Hoffnungen in ihn, dass er die soziale Krise in Griechenland zumindest abmildert. Und sein Ziel ist es, nun möglichst schnell schon mit konkreten Politikvorschlägen und Implementierungen dann zu liefern und seine Wählerschaft damit auch schon zufriedenzustellen.
    Engels: Seine Wählerschaft wird das wahrscheinlich begeistert annehmen. Aber trifft dieser harte Kurs, den Tsipras da anschlägt, auch auf Zustimmung der großen Mehrheit der griechischen Bevölkerung?
    Rappold: Das muss man sicherlich abwarten. Ich glaube, in Griechenland gibt es schon einen Konsens, dass es Reformen geben muss. Aber die soziale Krise dort ist auch über die Zeit, die letzten vier, fünf Jahre, so intensiv und so sichtbar, in den Straßen sichtbar, dass jetzt so eine leichte Linderung doch ein positives Gefühl verschafft.
    "Tsipras muss Quadratur des Kreises schaffen"
    Engels: Dann die praktische Umsetzbarkeit. Streit mit Brüssel ums Geld ist ein Punkt. Streit mit Brüssel um die Russland-Politik ist ein zweiter. Dazu radikal ein innenpolitischer, wirtschaftspolitischer Kurswechsel. Kann eine Regierung das überhaupt umsetzen?
    Rappold: Sicherlich hat Alexis Tsipras an allen Fronten sehr viel zu tun, und er muss sehr schnell liefern, und so wie es aussieht befindet er sich auf Konfrontationskurs mit den europäischen Geldgebern, was die Situation nicht unbedingt erleichtert. Hinzu kommt, dass er unter enormem Zeitdruck auch steht. Er muss möglichst schnell einerseits seine Wähler befriedigen, zweitens muss er aber gleichzeitig auch einen Kompromiss mit den europäischen Geldgebern herbeiführen, um auch die Nachhaltigkeit der griechischen Schulden zu sichern und die Finanzierung Griechenlands zu sichern, und das ist wirklich eine Quadratur des Kreises, die er schaffen muss, und da hat er nicht sehr viel Zeit.
    Engels: Zu dieser Quadratur des Kreises kommt ja auch noch, dass sein Bündnis ja nun extrem versucht, Dinge zu verankern, die eigentlich nicht zusammenstehen, nämlich Positionen von links und von rechts. Wie stabil ist dieses Bündnis überhaupt?
    Rappold: Das Bündnis hält eigentlich ein zentrales Ziel zusammen, und das ist die Beendigung der Austeritätspolitik und die Neuverhandlung der Kreditkonditionen. Alle anderen Politikfelder, insbesondere gesellschaftspolitische Felder, sind diesem gemeinsamen Ziel untergeordnet. Man könnte sagen, eigentlich einigt beide Parteien nur, dass sie uneinig sind in diesen Feldern. Was die Stabilität dieser Koalition tatsächlich angeht, hängt es sehr stark davon ab, inwieweit die griechische Regierung einen für sie positiven Deal aushandeln kann mit den europäischen Geldgebern, wie weit sie das innenpolitisch an die eigenen Wähler verkaufen kann und dadurch dann Legitimität beibehält, oder ob es ein schlechter Deal wird oder mit einem möglichen Grexit-Szenario, das dann quasi den Boden unter den Füßen der Koalitionspartner wegzieht.
    Engels: Julian Rappold, derzeit Leiter des Europaprogramms der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Vielen Dank für Ihre Einschätzungen zur Entwicklung in Griechenland.
    Rappold: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.