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Bolivien
Zum Silberberg von Potosí

Die Stadt Potosí liegt mitten im Nirgendwo der bolivianischen Anden und doch war sie einst wichtiger als Paris oder London. Denn hier lag das größte Silbervorkommen der Welt. Die Mine des Cerro Rico ist längst ausgebeutet - doch auch heute steigen Minenarbeiter in den mörderischen Berg hinab.

Von Thomas Becker | 14.07.2019
Stadtansicht mit Silberberg Cerro Rico, Potosí, Provinz Tomas Frías, Bolivien, Südamerika.
Der Berg, der Menschen frisst - so nennen die Einheimischen den Cerro Rico (imago / Peter Giovannini )
Die Straßen von Potosí sind am Montagvormittag wenig befahren. Zum Glück - auf 4.000 Metern fällt das Atmen schon schwer genug. Bereits die wenigen rostigen Busse und knattrigen Mofas, die sich die schmalen Straßen hochquälen, machen das Atmen zur Qual. Ständig fehlt Sauerstoff.
Der Himmel über dem zentralen Platz ist strahlend blau und die Farben der Häuser sind intensiv: Karmesinrot, Erdbraun, blendendweiß. Die Straße fällt etwas ab und ein wuchtiges Gebäude mit einem sechs Meter hohen, eisenbeschlagenen Holztor wirft seinen Schatten auf eine Gruppe von Schülerinnen aus der fünften Klasse. Sie sitzen auf dem Bürgersteig, Zeichenblöcke auf den Knien, Stifte in der Hand.
Gebäude bei der Silbermine bei Cerro Rico de Potosi in Bolivien.
Eine Mondlandschaft: Der Abbau hat seine Spuren hinterlassen (imago / Alimdi)
"Ich heiße Frida Delgado Condori. Ich bin Kunstlehrerin und habe meine Schüler zur Casa de Moneda gebracht, zum "Haus des Geldes", weil es Weltkulturerbe der UNESCO ist - historisch sehr bedeutend, denn hier wurde das erste Silbergeld erfunden, mit dem man in der ganzen Welt bezahlen konnte."
Einst die reichste Stadt der Welt
Die Mädchen übertragen das riesenhafte Portal mit den antikisierenden Säulen und dem Steingiebel aufs Papier. Ein Dach aus gebrannten, roten Ziegeln bildet den Abschluss. Es wirkt mediterran und elegant wie eine kleine spanische Burg: die Fenster mit daumendicken Eisenstäben gesichert. Potosí, hoch oben im Alti Plano, der Hochebene Boliviens, war einst die wohlhabendste Stadt der Welt. Und das verdankt sie dem "Cerro Rico", dem reichen Berg, der seit 500 Jahren das Schicksal der Stadt und seiner Menschen bestimmt.
"Wir arbeiten zu Gruppen von zehn Leuten zusammen in drei Schichten. Immer von Montag bis Samstag und immer in der gleichen Besetzung. Denn Du musst Dich auf Deine Kameraden unter Tage hundertprozenig verlassen können. Da unten in der Mine willst du keine Überraschungen erleben."
Kapelle der Mine Candelaria, in der die Kumpel um den Beistand der Mutter Maria bitten (Potosi / Bolivien)
Geschenke für die Mutter Gottes, Blut für den Geist des Berges (Deutschlandradio / Solange de Becker)
Fast 1.000 Meter höher, über der Casa de Moneda: Das Sonnenlicht ist auch hier oben glasklar, der Himmel weiterhin strahlend blau, doch die Gegend rostig-braun oder mit grauem Staub bedeckt. Überall. Eine Mondlandschaft. Mario ist 54 Jahre alt. Mit 20 ist er zum ersten Mal in die Mine gestiegen. Wie jeder seiner Kumpel, besucht er die kleine Kapelle am Mineneingang. Sie bitten um den Beistand der Mutter Maria, ihren Schutz, indem sie alles teilen, was sie zur Arbeit in den Berg mitnehmen: Alkohol, Zigaretten und Coca-Blätter.
"Hier das sind die Geschenke: Bier, Wein, Cocoblätter und Zigarretten. Dann hast Du Glück unter Tage. Die Mutter Maria hat die Krone auf und ein hübsch geschmücktes Kleid. Und daneben, das ist der Tata Casito, das ist Jesus. Aber auf Quechua, der Sprache, die wir hier sprechen."
Blut für den Geist des Berges
Fast zwei Drittel der Bewohner von Potosí beherrschen noch das Quechua, die Sprache, die auch die Inka sprachen. Man hört es unter den Mineros, auf ihrem Weg in die Mine. Doch gesprochen wird wenig, gelacht kaum. Es herrscht eine ernste Stille vor dem Eingang zur Mine Candelaria, was so viel wie Kerzenleuchter bedeutet. Es ist eine der ältesten Minen des mächtigen Berges und der Eingang und die kleine Kapelle sind über und über mit Blut bespritzt.
"Das machen wir einmal im Jahr, um den Geist des Berges zu befrieden. Es ist eine Feier, dass wir auch viele Rohstoffe finden. Wir opfern dafür ein Lama für die pacha mama - unsere Mutter Erde - und bespritzen alles mit dem Blut des Tieres. Dann feiern wir gemeinsam. So machen wir das in unserer Mine."
Der Bergarbeiter Mario im Gespräch mit dem Autor vor dem Eingang zur Candelaria.
Das Geld reicht kaum, die Familie zu ernähren, erzählt Mario dem Autor (Deutschlandradio / Solange de Becker)
Durch eine Phalanx von Wellblechhütten und losen Bretterverschlägen führen in das schwarze Loch Schienen. Auf ihnen wird der Schutt von zwei Mineros in schweren Karren herausgefahren. Alle fünf Minuten rast einer halsbrecherisch schnell aus der Mine heraus. Am Ende der Woche macht das eine ganze Lkw-Ladung Abraum, der in der Fabrik nach Rohstoffen gesiebt wird. Der Lohn reiche trotzdem kaum, um seine vierköpfige Familie zu ernähren, erzählt Mario.
"Nach der Eroberung Perus wurde 1545 das Silber in Potosí entdeckt."
Sagt Artur Leyton, der in der Innenstadt die Casa de Moneda, das "Haus des Geldes" leitet, die ehemalige Silberschmiede der Spanier, die heute ein Museum ist.
"Im ersten Jahr nach der Entdeckung hatte die Stadt 8.000 Einwohner, im zweiten schon unglaubliche 25.000. In den ersten nur 80 Jahren wuchs die Stadt weiter zu einer größten und wichtigsten im ganzen spanischen Imperium und wurde größer als fast alle Städte in Europa. Das Silber aus Potosí löste weltweit die ökonomische Bewegung aus, die Basis des Merkantilismus wurde, und machte die Spanier reich."
Eichmann hinterließ einen Nazi-Adler
Aus der Zeit der spanischen Besetzung, die bis ins frühe 19. Jahrhundert andauerte, stammen noch die meisten Häuser. Viele nur zwei Stock hoch, mit herrschaftlichen Toren, Balustraden oder hölzernen Balkonen. Außerhalb des Zentrums sind die Häuser auch aus Ziegeln im sogenannten Adobe-Stil - ungebrannte, leichte Ziegelsteine, die mit Lehm und Tierdung vermischt sind und lediglich von der Sonne getrocknet werden. Die 20.000-Einwohner-Stadt hat ein schönes kleines Zentrum. Doch an vielen Ecken bröckelt der Putz, die Dächer sind löchrig, Mauern stürzen ein. Viele Besucher von Außerhalb sieht man nicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings zog ein bekannter Nazi-Verbrecher hierher:
"Adolf Eichmann war ab 1946 oder 47 hier und ist in seiner schwarzen SS-Uniform umhergewandelt - die Nazi-Symbole hatte er allerdings vorher entfernt. Er hat für die Stadtverwaltung gearbeitet und seine Spuren hinterlassen: In dem Säulengang am Marktplatz zum Beispiel hat er einen Adler anbringen lassen. Die Menschen hier laufen also täglich an einem originalen Reichsadler vorbei, den er aus Deutschland mitgebracht hatte. Nur das Hakenkreuz hat er entfernen lassen. So wie er sich verhalten hat, wurde schnell bekannt, dass er sich hier aufhält. Er ist dann vor dem israelischen Geheimdienst nach Buenos Aires geflohen."
Coca-Blätter schützen vor Lungenschäden
Unter dem Eichmann-Adler auf dem Marktplatz sitzen ein halbes Dutzend Männer. Alles Rentner, alles ehemalige Mineros. Und sie kauen alle Coca-Blätter. Jeder hat einen fast faustgroßen Ball aus Blättern in seinen Wangen. Auch Daniel Coro Rollando, 63 Jahre alt - er sieht allerdings aus wie 80. Gelernt hat er das Coca-Kauen unter Tage. Aber eine Sucht sei das nicht, betont er.
"Die Leute denken immer, dass wir alle Süchtige sind, weil wir Mineros immer Coca kauen. Aber das stimmt nicht. Coca ist ein Filter! Mein Vater hat mir das schon beigebracht: Alle zwei Stunden musst Du Deine Coca-Blätter unter Tage wechseln! Und das stimmt! Wenn Du die Blätter ausspuckst, kannst du da drin den ganzen gefilterten Staub der Mine sehen. Aber die jungen Leute heutzutage nutzen es nicht mehr wie wir damals, sondern kauen viele Stunden, manchmal den ganzen Tag die gleichen Blätter. Aber wenn Du sie nicht wechselst, dann spuckst Du schnell Blut und dann kommen die Jungen mit Lungenschaden ins Krankenhaus."
Unerträgliche Arbeitsbedingungen
So gefährlich die Arbeit ist - es gibt hier keine andere. Auf 4.000 Metern Höhe wächst fast nichts, Landwirtschaft existiert nicht. Die Stadt lebt von dem Berg, der über den kolonialen Ziegeldächern thront. Die Mineros nennen ihn "la montaña que come hombres" - der Berg, der Menschen frisst.
Minenarbeiter mit Karren am Cerro Rico bei Potosí.
Harte Arbeitsbedingungen: Minenarbeiter auf 5.000 Metern Höhe (Deutschlandradio / Solange de Becker)
Wen man auch fragt - man hört immer wieder die Zahl von unglaublichen acht Millionen Toten, die der Berg angeblich seit der spanischen Eroberung verschlungen haben soll. Verlässliche Zahlen dazu gibt es natürlich nicht. Und noch heute fahren, laufen oder kriechen sie von allen Seiten wie die Ameisen in ihn hinein, um Zink und Zinn zu fördern. Silber gibt es kaum noch. Der 37 Jahre alte Tomas Prokop aus der Tschechischen Republik hat an einer Führung teilgenommen.
"Das war furchtbar da drin! Da unten arbeiten die immer noch mit bloßen Händen! Das ist, als ob die im 15., 16. Jahrhundert stehen geblieben sind: Das ist noch Handarbeit: das einzige, was sie benutzen, sind Hämmer und sie haben Karren, um das Material abzutransportieren. Ich habe versucht, die gleiche Arbeit zu machen wie die Jungs da unten, nur für fünf oder zehn Minuten. Das ist unerträglich, weil wir hier auf fast 5.000 Metern sind. Außerdem ist das da unten heiß - mindestens 35 Grad. Die Jungs haben einen unglaublich schweren Job!"
So schaffen die Männer in der Mine Candelaria seit fast 500 Jahren. Tag für Tag. Und fördern mit ihrem Leben und ihrer Gesundheit die Schätze des Berges, die doch nur andere reich machen.
Zwei Minenarabeiter mit schwerem Karren an am Cerro Rico, im Hintergrund liegt Potosí.
Silber gibt es kaum noch - heute wird Zink und Zinn abgebaut (Deutschlandradio / Solange de Becker)
Auf dem Marktplatz probt eine lokale Musikgruppe. Einige der Musiker sind schon recht angeheitert. Alle bereiten sich auf das jährliche Stadtfest vor und die Mädchen und Frauen machen sich hübsch - die Schneidereien sind übervoll mit Kunden, die in der letzten Minute noch die traditionelle Tracht kaufen wollen.
"Früher war die Kleidung sehr kostbar und die Frauen trugen Ohrringe aus Silber und auch aus Gold. Diese Hüte mit schwarzem Band und die weißen Kleider sind typisch für unsere Stadt, mit geschnürten Lederschuhen. Das werden alle tragen und stolz vorzeigen und auf den Straßen tanzen. Aber es ist nicht mehr so prächtig wie früher, als wir noch reich waren - da war fast alles an der Tracht aus Silber oder Gold."
Das Potosí-S wurde zum Dollarzeichen
Die Münzen aus Potosí, die von ihrer Qualität und vom Silbergehalt so verlässlich waren, wurden in der ganzen Welt akzeptiert. Jede Münze hatte ein Prägezeichen, das die Herkunft aus Boliviens Silberberg bewies. Und daraus hat sich das Zeichen entwickelt, das heutzutage weltweit für Geld und Vermögen steht - das Dollarzeichen.
"Das Silber aus dem alten Inka-Reich hatte Europa schon erreicht, aber die Münzen aus Potosí hatte noch einen viel größeren Einfluss: Von Anfang an hatte jede Münze den Namen Potosí aufgeprägt. Und das wird später zum Dollar-Zeichen, denn im Laufe der Zeit bleibt von dem Namen Potosí lediglich das "S" übrig. Die beiden Striche von oben nach unten symbolisierten auf den Münzen die Säulen der spanischen Herrschaft und befanden sich rechts und links neben dem Namen. Die fallen nun mit dem S zusammen. Das Zeichen für Reichtum, das man heutzutage überall auf der Welt versteht, hat seine Wurzeln in dem Silberberg von Potosí."