Harvey-Weinstein-Urteil

Das ist erst der Anfang

04:42 Minuten
Frauen protestieren und singen, mit erhobenen Fäusten, vor dem Gerichtsgebäude
Die Stimmen von #metoo sind noch nicht verstummt - und der Weg zu einer diskriminierungsfreien Gesellschaft ist noch weit. © Getty Images / Kena Betancur
Von Eva Marlene Hausteiner · 01.03.2020
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Der Skandal um Harvey Weinstein hatte die internationale Diskussion um sexuelle Gewalt gegen Frauen angestoßen. Geht #metoo mit der Verurteilung des Filmmoguls zu Ende? Ganz im Gegenteil, kommentiert Eva Marlene Hausteiner.
Mehr als zwei Jahre sind vergangen, seit sich #metoo aus den Twittersphären in die Offline-Welt ausbreitete. Für die Ereignisse seitdem existieren mindestens zwei Interpretationen.
Die eine lautet: Endlich wurde aufgeräumt in Politik, Kultur und Medien; die wenigen schwarzen Schafe wurden bloßgestellt und zur Rechenschaft gezogen. Das Problem ist aufgearbeitet, die Gesellschaft einen Schritt weiter.
Eine zweite Interpretation behauptet genau das Gegenteil: #metoo war demnach ein Tropfen auf den heißen Stein. Dank vehementer Gegenreaktionen blieb der Erfolg der Bewegung oberflächlich und punktuell auf wenige Bereiche des gesellschaftlichen Lebens beschränkt.
Weinsteins Fall war der Auslöser der Bewegung, und er gehört nun auch zu den ersten, denen seitdem gerichtlich der Prozess gemacht wurde. Seine Verurteilung passt in gewisser Weise zu beiden Erzählungen: Ist das Anliegen von #metoo erfüllt, wenn sein Hauptanlass hinter Gittern sitzt und das Justizsystem gezeigt hat, dass es Verbrechen an Frauen bestraft? Oder verstärkt das Urteil – das auch Freisprüche in mehreren Punkten umfasste – nur die Illusion, der Geschlechterdiskriminierung könne man in einer Art großem Frühjahrsputz ein schnelles Ende bereiten?

Floskeln wie "Metoo-Kontroverse" verdecken das Problem

Dieser zweite Einwand wiegt schwer. Dennoch: Das Urteil ruft ins Gedächtnis, welch gravierende Vorwürfe hinter dem Hashtag stehen: Rohe Gewalt, schlimmster Machtmissbrauch, zerstörte Biographien.
Das zu benennen ist wichtig, denn #metoo ist zuletzt immer schwammiger verwendet worden, ganz so, als beschreibe der Begriff eine vorübergehende Mode. Wenn sich verharmlosende Floskeln einschleifen – dass etwa der notorisch übergriffige Präsident Trump ein "Metoo-Problem" habe oder die Vorwürfe an den Regisseur Roman Polanski nur eine "Metoo-Kontroverse" darstellen – dann vermeiden wir es, das wirkliche Problem beim Namen zu nennen.
Eva Marlene Hausteiner 
Eva Marlene Hausteiner arbeitet am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.© David Elmes
Und dieses Problem ist, wie die feministische Theorie seit Jahrzehnten zeigt, gigantisch. Zuletzt hat zum Beispiel die Philosophin Kate Manne in ihrem eindrucksvollen Buch "Down Girl" beschrieben, dass Belästigung und Gewalt in der Tat Bestandteile einer breiteren "Logik der Misogynie", einer Logik der Frauenverachtung sind.
Frauen, die sich ihrer sorgenden, untergeordneten, sexuell verfügbaren Rolle gegenüber Männern verweigern, also: Frauen, die zu viel Macht wollen, werden immer noch häufig bestraft. Wird in der Arbeitswelt anzüglich gewitzelt, abgewertet, zugegriffen oder Schlimmeres, so geht es im Kern nicht um sexuelles Begehren, sondern um Machtausübung, um das Zurechtweisen von Personen, die sich mit der bestehenden Geschlechter-Hierarchie nicht abfinden.

Für einen Kulturwandel braucht es mehr als Gerichtsurteile

Die Kritik an diesem Machtgefälle und seinem perfiden Sanktionsregime ist daher nicht allein feministisch. Das Anliegen ist ein breiter emanzipatorisches. Nicht umsonst haben auch Männer, die Opfer sexualisierter Machtausübung am Arbeitsplatz wurden, sich der #metoo-Bewegung angeschlossen; und mit gutem Grund ist in den letzten Jahren auch gefragt worden, ob die besondere Diskriminierung von nicht-weißen Personen angemessene Sichtbarkeit erfährt.
In letzter Konsequenz ist die Machtkritik, die von dieser jüngsten Debatte ausgeht, eine intersektionale – sie benennt ganz unterschiedliche Machthierarchien und deren Verschränkungen.
Das heißt auch: So wichtig das Weinstein-Urteil ist – als Ermutigung für Frauen, dass ihnen manchmal geglaubt wird, als Signal an Verbrecher, dass sie nicht mehr ohne Weiteres davonkommen, als Öffentlichmachung der besonders grausamen Seiten des Sexismus –, so sehr gilt auch: Es ist nur ein Anfang.
Die "Logik der Misogynie" wird nicht vor Gericht abgeschafft werden, sondern durch eine breitere gesellschaftliche Bewegung, von der sich alle angesprochen fühlen – dafür werden wir noch mehr Hasthags brauchen.
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