Handeln in der Coronakrise

Improvisationstalente gesucht

08:49 Minuten
Pixel-Art-Illustration von einer Menschenmenge, die einen Ausweg aus einem Irrgarten sucht.
Philosophieprofessor Georg Bertram meint, in der Coronakrise brauchen wir mehr Mut zur Improvisation. © imago / Ikon Images
Georg Bertram im Gespräch mit Marietta Schwarz · 27.03.2021
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Wer improvisieren könne, sei klar im Vorteil, meint der Philosoph Georg Bertram. Das zeige sich jetzt auch in der Coronakrise. Vorbereitung brauche es trotzdem, denn Improvisation komme nicht aus dem Nichts.
Angesicht der Coronakrise mag sich manch einer mehr Flexibilität wünschen – beispielsweise bei der Vergabe von Impfterminen. Brauchen wir also vielleicht mehr Mut zur Improvisation anstelle von starren Regeln? Ja, meint Georg Bertram, Professor für Philosophie an der FU Berlin. Er sieht unsere Gesellschaft angesichts der Pandemie in einer "Situation der gesellschaftlichen Improvisation". Denn den genauen Verlauf einer Pandemie könne man nicht antizipieren.
Dabei sei zu sehen, dass manche gesellschaftlichen Bereiche besser, andere schlechter flexibel reagieren können. "Und dass wir viele, insbesondere auch administrative Bereiche sehen, die im Grunde zu strikt eingerichtet sind, wo wir zu sehr auf festgefahrene Muster setzen." Man poche weiterhin auf bestimmte Vorschriften. "Und es gibt im Grunde zu wenig Fähigkeit, solche Vorschriften dann auch mal grundsätzlich zu hinterfragen, in solchen Situationen."

Improvisation braucht Vorbereitung

Zu improvisieren bedeute allerdings nicht, unvorbereitet in eine Situation hineinzugehen, betont Bertram. Improvisation komme nicht aus dem Nichts. "Weil aus meiner Sicht Improvisation ganz wesentlich damit zu tun hat, dass man tatsächlich in der Lage ist, auf etwas Unerwartetes zu reagieren. Und das lässt sich im Grunde aus der Not nicht gebären." Stattdessen brauche es Vorbereitung – in der Coronakrise beispielsweise Pandemiepläne.
"Was dem Improvisieren grundsätzlich eigen ist, ist, dass wir Vorbereitung brauchen, und zwar Vorbereitung darauf, irgendwie Reaktionen hervorzubringen, die passen. Das können wir nicht, wenn wir einfach nur in eingespielten Mustern agieren."

Mit Unsicherheiten umgehen können

Als Beispiel nennt Bertram eine beliebige Gesprächssituation. Hier könne sich der Teilnehmer zwar auf das Thema des Gesprächs vorbereiten, wisse dann aber nicht genau, welche Fragen gestellt werden. "Insofern kann ein gutes Gespräch nur gelingen in dem Maße, in dem man Fähigkeiten hat, auf Unerwartetes zu reagieren."
Die Fähigkeit zu Improvisieren und flexibel zu reagieren ist aus Sicht Bertrams ein ganz klarer Pluspunkt – und Wesenszug des Menschen: "Der Mensch sollte sich eigentlich als ein Wesen verstehen, dessen Stärke genau darin liegt, sich in produktiver Weise Unsicherheit geben zu können und sich verunsichern zu können, sich fragen zu können: Mache ich das eigentlich richtig? Sollte ich nicht irgendetwas ganz anders machen? Und hier genau kommen wir in den Bereich der Improvisation."
(lkn)
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