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Neues Sarrazin-Buch
Sarrazin: Medien folgen "fehlgeleitetem Gleichheitsgedanken"

Dass Zigeuner nun Roma und Sinti genannt werden, würde "an den Problemen nichts ändern", sagte Thilo Sarrazin im DLF über eine These seines Buches "Der neue Tugendterror". Wenn er dabei Handlungen im sachlichen Ton kritisiere, sei auch härteste Kritik keine Beleidigung.

Thilo Sarrazin im Gespräch mit Friedbert Meurer | 24.02.2014
    Thilo Sarrazin stellte in Berlin sein neues Buch "Der neue Tugendterror" vor.
    Demonstrant: Sarrazin provoziert mit seinen Thesen viel Widerspruch. (picture-alliance/dpa /Maurizio Gambarini)
    Friedbert Meurer: Thilo Sarrazin ist Ex-Finanzsenator Berlins, Vorstand der Bundesbank gewesen, Bestsellerautor. Mit dem Sachbuch "Deutschland schafft sich ab" hat er heftige Diskussionen in Deutschland ausgelöst. Heute erscheint sein neues Buch, und das trägt den Titel "Der neue Tugendterror: Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland". Mit Thilo Sarrazin bin ich jetzt in Berlin verbunden. Guten Morgen, Herr Sarrazin!
    Thilo Sarrazin: Guten Morgen, Herr Meurer!
    Meurer: Wo bitte gibt es Grund, in Deutschland über fehlende Meinungsfreiheit zu klagen?
    Sarrazin: Formal gilt das Grundgesetz: Jeder darf seine Meinung in Wort und Schrift und in den Medien frei äußern. Tatsächlich gibt es in jeder Gesellschaft informelle Grenzen der Meinungsfreiheit, die sind mal enger, mal weiter, mal haben sie die einen Themen, mal die anderen. Und der Wächter des Korridors der Meinungsfreiheit ist das, was in den Medien als erwünschte, unerwünschte, zulässige oder unzulässige Meinung dargestellt wird. Insoweit ist der Meinungskorridor des in einer Gesellschaft tatsächlich Sag- oder Denkbaren und die Frage, wie die Medien in dieser Gesellschaft verfasst sind und wie sie sich verhalten, untrennbar miteinander verbunden.
    Meurer: Also allein, wenn ich morgens bei uns die "Presseschau" höre, höre ich verschiedene Ansichten und Meinungen aus Zeitungen. Wo wird das eingeschränkt?
    Sarrazin: Ja. Also was ich getan habe: Wenn ich mir so die durchschnittliche Medienberichterstattung anschaue und sie mit der Wirklichkeit vergleiche, dann sehe ich in manchen Punkten eine deutliche ideologische Verzerrung. Die Tendenz dieser Verzerrung habe ich in 14 sogenannten Axiomen des Tugendwahns, so habe ich sie genannt, dargestellt. Und das betrifft ganz unterschiedliche Themen. Ich will eins nennen, eines dieser Axiome: Männer und Frauen haben keine Unterschiede außer denen nach den äußeren Merkmalen ihres Geschlechtes. Das ist die allgemein grassierend, nach der Gendertheorie. Ein anderes ist, um im Bereich ...
    Sprache als Instrument des "Tugendterrors"
    Meurer: Da würde ich einwenden. Wer sagt das heute noch, dass es keine Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt außer ihrem Aussehen?
    Sarrazin: Das sagt die herrschende ... nach der Gendertheorie, die auch immer mehr in die tatsächliche Politik eindringt. Und das können Sie in der "taz" oder woanders auch glatt lesen. So. Und nur darum ist ja der Furor darüber, dass es zu wenig weibliche Ingenieure gibt und ...
    Meurer: ... umgekehrt, dass es mehr Männer in den Kitas geben soll.
    Sarrazin: Ja, genau. Das ist alles Teil dieses Furors. Und ein damit eng verwandtes Axiom, was ich auch habe, ist: Kinder brauchen nicht Vater und Mutter, sie können ebenso gut oder sie können mit ebensolch gutem Ergebnis auch anders aufwachsen.
    Meurer: Wieso ist das ein Furor, um bei den Beispielen zu bleiben, Herr Sarrazin? Warum ist das ein Furor, dass mehr Männer in die Kitas sollen? Das werden Ihnen alle Eltern sagen, dass sie das gerne hätten.
    Sarrazin: Ja. Richtig ist – das ist ja gerade der Punkt der Ungleichheit in diesem Punkt: Männer und Frauen haben unterschiedliche berufliche Präferenzen. Und diese Präferenzen sind auch offenbar recht stabil. Und wenn sich aufgrund dieser unterschiedlichen Präferenzen es eben ergibt, dass es mehr weibliche Kindergärtnerinnen gibt, aber deutlich mehr männliche Ingenieure, ist aus meiner Sicht dagegen überhaupt, überhaupt gar nichts zu sagen.
    Meurer: Nehmen wir mal ein anderes Ihrer Axiome des Tugendwahns, Herr Sarrazin, 14 an der Zahl, eins haben wir genannt, Männer und Frauen. Zweites Beispiel: Für Armut und Rückständigkeit in anderen Teilen der Welt tragen westliche Industriestaaten die Hauptverantwortung, sagen Sie, das sei ein Axiom. Wir reden doch, wenn es um Entwicklungshilfe geht, ausführlichst über gute Regierungsführung, Good Governance. Ist das ein Axiom vielleicht aus den 70er-Jahren, aber doch nicht von heute?
    Sarrazin: Das ist absolut von heute. Ich erinnere mich an einen Kommentar im "Tagesspiegel" über das Lager der Asylanten am Oranienplatz, wo der Kommentator schrieb, es geschehe doch den Berlinern dort ganz recht, mal zu sehen, dass hier der Wohlstand auf dem Buckel anderer letztlich entstehen würde. Das ist genau dieses Denken. Und dieses Denken ist extrem weit verbreitet. Tatsache aber ist, dass die relative Rückständigkeit der meisten afrikanischen Länder mit der Kolonialzeit gar nichts zu tun hat, sondern ausschließlich mit der schlechten Governance in diesen Ländern. Und Tatsache ist auch, dass in der Summe die Entwicklungshilfe diesen Ländern mehr schadet als nutzt.
    Meurer: Muss, Herr Sarrazin, Meinungsfreiheit da eine Grenze finden, wo ich den anderen beleidige?
    Sarrazin: Da muss man die Natur der Beleidigung genau kennzeichnen. Wenn jemand einen Dieb einen Dieb nennt, mag der sich beleidigt fühlen, aber zu Unrecht. Wenn ich jemanden für Eigenschaften, für die er nichts kann, behäme und kränke, dann ist das etwas anderes. Wenn ich Menschen für ihre Handlungen kritisiere und dies im sachlichen Ton tue, dann kann auch die härteste Kritik keine Beleidigung sein.
    Meurer: Wenn Roma nicht Zigeuner genannt werden wollen, wenn dunkelhäutige Menschen in Deutschland nicht Neger genannt werden können – kann man sich darüber hinwegsetzen, darf man sich darüber hinwegsetzen?
    Sarrazin: Also, ich habe ja dem Kapitel, also Sprache und dem Thema der Sprache und Tugendterror ja ein eigenes Kapitel gewidmet. Natürlich ist es absolut klar: Wenn die Roma in Deutschland oder die Sinti in Deutschland dann nicht Zigeuner genannt werden sollen, wird man sie auch nicht so nennen. Wenn Schwarze lieber Schwarze genannt werden, wird man sie so nennen. Man wird in den Benennungen immer dem Wunsch der Gruppe folgen. Nur wird dies an den Problemen, weshalb man einen Benennungswechsel wünscht, nichts ändern.
    Meurer: Aber es begleitet einen Wechsel. Ein anderes Beispiel, was Sie in Ihrem Kapitel beschreiben "Die Sprache als Instrument des Tugendterrors", das sind die heutigen Förderschulen. Die hießen früher Hilfsschulen und Sie hätten gerne, dass die wieder Hilfsschulen heißen?
    Sarrazin: Nein, gar nicht, das habe ich gar nicht ...
    Meurer: Ich habe das Kapitel gelesen, aber die Pädagogen und die Kinder dort und die Eltern sagen: Nein, Hilfsschule halten wir für abwertend.
    Sarrazin: Ich habe die nach der Begriffshistorie des Suffixes "Hilfs" analysiert: Vom Hilfswilligen über den Hilfsarbeiter über den Hilfsreferenten über die wissenschaftliche Hilfskraft - ich bin beides auch mal gewesen - bis hin zur Hilfsschule: Das war ein völlig ehrlicher Begriff nach dem lateinischstämmigen Wort Assistent, wird übrigens auf Deutsch mit Hilfskraft übersetzt.
    "Durch eine Benennung ein Problem kaschieren"
    Meurer: Aber wenn es nach Ihnen ginge, würde sich über den Wunsch der Eltern hinweggesetzt werden?
    Sarrazin: Nein, nein. Man hat mit der wiederholten Begriffsänderung von der Hilfsschule über die Sonderschule jetzt der Förderschule - demnächst gar nicht mehr, sondern Inklusion – das ist für mich eines der Beispiele, wie man durch eine Benennung ein Problem praktisch da kaschieren will, was kein Benennungsproblem ist, sondern was ein inhaltliches Problem ist. Benennungen ändern aber nicht die Welt. Benennungen versuchen, unser Denken über die Welt zu ändern. Das wird aber keinen Erfolg haben, wenn nicht der Sachverhalt, der zugrunde liegt, geändert wird.
    Meurer: Ein Kapitel Ihres neuen Buchs, Herr Sarrazin, heißt "Wie ich mit der Meinungsherrschaft in Konflikt kam – eine Fallstudie", gemeint sind die Reaktionen auf Ihr Sachbuch "Deutschland schafft sich ab". Ist Ihr neues Buch eine Abrechnung mit den Medien?
    Sarrazin: Ja und nein. Ja, weil ich ganz ehrlich zugebe, dass mich natürlich viele, viele Reaktionen damals auch persönlich getroffen haben und ich habe jetzt in gebührendem Abstand – eine Betroffenheit muss man auch abklingen lassen – habe ich das analysiert. Es ist aber bewusst in dem 400 Seiten langen Buch ja nur ein Kapitel.
    Nein deshalb, weil mir gerade meine Erfahrungen Anlass waren, mich mit dem Thema Meinungsfreiheit und Medien da grundsätzlicher zu beschäftigen, was mich offen gestanden bis zum Jahre 2010 gar nicht weiter interessiert hat. Und deshalb ist auch dann, wenn man das Kapitel völlig aus dem Buch ausblendet, hat das Buch einen sehr grundsätzlichen Boden, von den Grenzen der Meinungsfreiheit über Elemente der Meinungsbildung über die Geschichte des Tugendterrors, über Sprache und Tugendterror bis zu den heute für mich aktuellen Ausprägungen des Tugendwahns in den deutschen Medien.
    Über Thilo Sarrazin
    Geboren 1945 in Gera, Thüringen. Thilo Sarrazin studierte bis 1971 Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn und promovierte dort 1973. Im Anschluss arbeitete er an der Friedrich-Ebert-Stiftung und trat der SPD bei. Er durchlief danach verschiedene Anstellungen bei Behörden, zum Beispiel beim Bundesfinanzministerium, als Staatssekretär in Baden-Württemberg und bei der Treuhandanstalt. Sarrazin ist spätestens seit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab", bei dem er auch eine islamisch geprägte Zuwanderung für seinen Vorwurf verantwortlich macht, in seiner Partei und in der Gesellschaft sehr umstritten. Die SPD-Führung konnte sich aber letztendlich nicht mit einem Parteiausschlussverfahren durchsetzen.
    Meurer: Das Wort Tugendterror, da denkt man ja an den Iran, aber doch nicht an "Spiegel" und "Die Zeit". Wie kommen Sie denn auf diesen Ausdruck?
    Sarrazin: Ja, das kommt aus der Ideengeschichte der Französischen Revolution. Das war ja nachher der "la Terreur", das war dieser Tugendterror. Wo man sagte, alle Menschen sind frei und wenn sie frei sind, sind sie gleich. Und wenn sie gleich sind, sind sie gerecht. Man wollte letztlich die Gedanken Rousseaus verwirklichen und man verwirklichte sie damit, dass man 40.000 aufs Schafott schickte. Und diese Ideen der Gleichheit der Ergebnisse prägen die sozialistischen Utopien: Sie prägen den Marxismus, sie haben den Stalinismus geprägt, sie haben in ihren Abirrungen bis hin zu den "Killing Fields" in Kambodscha geführt. Und dieses ganze fehlgeleitete Gleichheitsdenken in der Tradition Rousseaus, was eben auf eine Gleichheit der Ergebnisse zielt, nicht auf fairen Wettbewerb, das trägt zu einem großen Teil auch die kulturwissenschaftlich geprägten Medien in Deutschland.
    Meurer: Das neue Buch von Thilo Sarrazin kommt heute in die Buchhandlungen, es heißt "Der neue Tugendterror: Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland". Herr Sarrazin, danke schön für das Gespräch, Wiederhören nach Berlin!
    Sarrazin: Ganz herzlichen Dank, auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.