Scheck: Martin Hielscher, Sie sind Lektor bei einem der wenigen unabhängigen noch verbleibenden deutschen Publikumsverlage. Welche Konsequenzen sehen Sie da für Ihre Arbeit durch diese Verlagskonzentration auf sich zukommen?
Martin Hielscher: Ich habe diese Nachricht erst heute morgen gehört, und wenn es so ist, daß Bertelsmann sozusagen Hauptaktionär ist, dann ist das zunächst einmal doch eine schockierende Meldung für mich. Wir die Arbeit von Arnulf Conradi sehr bewundert haben, fanden es mutig, aus einem großen Konzern rauszugehen und einen unabhängigen Verlag zu gründen, und wenn sozusagen das Kapitaleigentum in der Mehrheit beim Bertelsmann Verlag liegt, dann kann ich mir schlechterdings eine Autonomie, wie sie vorher bestanden hat, nicht vorstellen. Gut, man muß sich zwar überlegen, wie sieht der Vertrag im einzelnen aus, trotzdem ist das eine veränderte Situation, das heißt für die konzernunabhängigen Verlage, die auch zusammengearbeitet haben, bricht wiederum etwas weg. Durch den Kauf von Random House ist der amerikanische Lizenzmarkt auch für Bertelsmann in einer anderen Form zugänglich geworden, und das heißt für uns wird die Luft wahrscheinlich dünner. Das im ersten Moment etwas deprimierend. Auf der anderen Seite ist die Frage, ob Autoren unbedingt gern zu einem Verlag gehören wollen, der irgendwie doch zum Bertelsmann-Konzern gehört, und ob dadurch nicht für uns auch etwas Neues entsteht.
Scheck: Rainer Moritz, Martin Hielscher sprach es gerade an, mit der Übernahme von Random House hat Bertelsmann einen der Riesen des amerikanischen Marktes gerade geschluckt, nun trifft’s den Berlin Verlag in Deutschland. Nähert sich das deutsche Verlagswesen dem Zustand der Entropie?
Rainer Moritz: Ich glaube, man kann sich nicht freuen über diesen Tatbestand. Es ist ja so, daß der Berlin Verlag, als er vor drei Jahren begonnen hat, hochgelobt wurde, das Lieblingskind des Feuilletons war - zu Recht, er hat ein sehr schönes Programm gemacht. Auf der anderen Seite sieht man an dieser Entscheidung jetzt auch die Schwierigkeit, überhaupt ein Programm zu machen, das sich trägt. Ein Mischkalkül, das so ein bißchen funktioniert, das ist ein schweiriges Unterfangen, und selbst die Erfolge, die der Berlin Verlag gehabt hat, Ingo Schulze als frischestes Beispiel vielleicht, haben offensichtlich nicht ausgereicht, um die notwendige Ruhe hineinzubringen. Und die Übernahme durch Bertelsmann ist natürlich, vor allem im Lizenzbereich, sicherlich mit weiteren Auswirkungen behaftet. Man muß das genau ansehen. Ich selbst habe immer noch die Hoffnung, daß die Verlage, die selbstständig bleiben, die in der mittleren Größe sind, durch Programmarbeit überzeugen müssen, sich eben aus diesem Gebuhle um bestimmte Großlizenzen raushalten müssen und die Augen viel genauer aufhalten müssen auf anderen Märkten.
Scheck: Der Bertelsmann-Konzern ist ja der einzige Sponsor des Ingeborg-Bachmann-Preises. Er führt zusammen mit dem ORF, mit der Stadt Klagenfurt den sogenannten Klagenfurter Literaturkurs durch. Eine im Vorfeld des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs angesiedelte Veranstaltung, die ganz jungen Autoren helfen soll, erste Kontakte zu Verlegern, zu Journalisten, zum Rundfunk zu stiften. Nun frage ich mich, werden wir in fünf Jahren hier sitzen und noch über den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb sprechen? Dieses Jahr hat zum ersten Mal mit Sybille Lewitscharoff nun eine Autorin den Hauptpreis erhalten, die eine Bertelsmann-Autorin ist, wie man im Vorfeld erfahren durfte, oder werden wir in fünf Jahren über den Ingeborg-Bertelsmann-Preis sprechen?
Gatza: Ich finde es nicht besonders sinnvoll, zu sagen, sie ist eine Bertelsmann-Autorin, das ist faktisch nicht so. Dann müßte Bertelsmann einen anderen Zugriff auf diese Autorin haben als er qua Vertrag hat. Ich kenne den Vertrag so weit, daß ich weiß, es gibt kein Schlupfloch, diese Autonomie zu beschränken. Das kann ich so den Autoren garantieren, das wäre für mich sonst schwieriger, diese Nachricht zu vertreten. Sie ist keine Bertelsmann-Autorin, sie ist eine Berlin Verlag-Autorin. Mit ihr wird genauso gearbeitet, mit den gleichen Leuten, die die gleiche Autonomie haben, wie alle anderen.
Scheck: Rainer Moritz, Sie schütteln den Kopf...
Moritz: Ich schüttele ihn sanft. Ich verstehe Mathias Gatza natürlich, daß er das so sieht. Es ist trotzdem so, daß sie natürlich jetzt eingebunden ist in den Konzern, und sie ist damit auch eine Bertelsmann-Autorin. Die Frage, die Denis Scheck gestellt hat auf den Wettbewerb bezogen, ich glaube, die Verquickung wird allmählich unangenehm. Es war schon immer ein Problem, in den letzten zwei Jahren durch die sogenannte Häschenschule, durch den Literaturkurs vorangestellt, der von Bertelsmann gesponsert, der von einer Agentin organisiert wird, die gleichzeitig Kulturreferentin des Bertelsmann-Hauses ist. Das ist, glaube ich, eine Verquickung, die nicht sehr günstig ist. Ich habe gerade mit einer Kollegin gesprochen, deren erste spontane Reaktion war, daß sich ihr Verlag am besten aus dem Ernst-Willner-Preis zurückzieht. Man soll das im Moment nicht überbewerten, aber es ist doch sehr schwierig.
Scheck: Das Nachbeben dieser Meldung, daß der Berlin Verlag an den Bertelsmann-Konzern verkauft wurde oder zumindest eine Übernahme der Anteilsmehrheit stattfand wird uns sicher noch die nächsten Wochen begleiten. Herzlichen Dank, Mathias Gatza, Martin Hielscher und Rainer Moritz.
Link: Kommentar zur Übernahme des Berlin Verlags durch Bertelsmann