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Schlecht bezahlte Leiharbeiter in Schlachthöfen

In Niedersachsens Schlachthöfen schuften Tausende Arbeiter aus Rumänien und Bulgarien unter menschenunwürdigen Bedingungen. Doch nun gibt es im Land der Mäster Versuche, die Bedingungen zu verbessern, auch weil man um das Image fürchtet.

Von Vanja Budde | 05.06.2013
    Ludger Freese ist Fleischermeister in der zweiten Generation, dennoch braucht er für den Schweineschinken, den er zu Demonstrationszwecken zerlegt, an die zehn Minuten. Die ungelernten Rumänen in den großen Schlachthöfen müssen es in zwei Minuten schaffen, erzählt er kopfschüttelnd. Eine enorme Leistung, meint Freese. Für meist schmales Geld.

    "Dass das jetzt auf Kosten der Menschen geht, die da arbeiten, ist nicht in Ordnung, aber ich habe mit einem Unternehmer hier aus dem Ort mal gesprochen, Großunternehmer, der auch viele Leiharbeiter hat, und er sagte, ‚wenn wir‘s nicht machen würden, wären wir schon längst nicht mehr da‘. Keine Entschuldigung, aber das ist so eine Geschichte, dass der Preisdruck von oben, von den Discountern, den Märkten, den Einkäufern so stark geworden ist, dass die einfach überlegen müssen, wie kann ich meine Ware billiger produzieren. Das ist eine Entwicklung, die ist einfach tödlich für die ganze Region."

    Zum 30. April hat Fleischer Freese sein Ladengeschäft in Visbek bei Vechta schließen müssen. Er hält sich jetzt mit einem Imbiss und Partyservice über Wasser.

    "Ein schwerer Schritt, wenn man fast 60 Jahre hier gewesen ist im Ort, 60 Jahre Fleisch und Wurst verkauft hat, und sich dann dem Kundenwunsch beugen muss. Der Kunde kauft heute viel in den Discountern ein, und wir Handwerker, wir kleinen Betriebe, merken das durch und durch."

    Die Junge Union Vechta guckt betroffen. Sie ist an diesem Abend zur Betriebsführung bei Freese, denn das Thema Fleischverarbeitung wird derzeit in ganz Niedersachsen heiß diskutiert. Seit der Prälat Peter Kossen aus Vechta auf die Kanzel stieg und wider die Zustände in den Schlachthöfen predigte. Der Kirchenmann prangerte Subunternehmen der Schlachthofbetreiber an, die teils mit Unterstützung von Rockerbanden in Osteuropa rechtlose Arbeiter anheuern, mit Werkverträgen zu Stundenlöhnen von ein paar Euro schuften lassen und in menschenunwürdige Unterkünfte pferchen. So in etwa wie heute Abend am Biertisch bei Freese in Visbek muss diese Predigt gewesen sein.

    "Manche dieser Subunternehmer arbeiten mit einer erschreckend hohen kriminellen Energie, Menschenverachtung und mafiösen Strukturen. Die Grenzen zu Menschenhandel und zur Prostitution sind fließend."

    Starker Tobak in einer Region, in der sich Maststall an Maststall reiht, die ihren Wohlstand den 250 Millionen Tieren verdankt, die in Niedersachsen jährlich geschlachtet werden. Meist von den Arbeitern aus Osteuropa. Sie töten im Akkord: 600 Schweine pro Mann in einer Stunde sind Standard.

    "Es gibt von der Bundesregierung, wie ich finde, erschreckende Zahlen, gerade im Schweinebereich zu Fehlbetäubungsraten zwischen fünf und zehn Prozent."

    Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer von den Grünen.

    "Man kann sich vorstellen, wenn der Lohn gering ist und der Arbeitsdruck intensiv ist, dass dann natürlich nicht so die Sorgfalt gemacht wird, dass tierschutzgerecht getötet wird. Schlechte Bezahlung, hoher Arbeitsdruck führt nicht gerade zu einer hohen Qualität des Verbraucherschutzes"

    Um das schlechte Image der niedersächsischen Fleischbranche aufzupolieren, hat die neue rot-grüne Landesregierung in Hannover zunächst ein halbes Dutzend Schlachthofbetreiber zu Gesprächen geladen. Wirtschaftsminister Olaf Lies von der SPD:

    "Die Unternehmensvertreter haben ihre Zustimmung zur politischen Forderung nach einem bundesweiten, einheitlichen Mindestlohn klar bestätigt. Das zeigt, dass wirklich Handlungsbedarf ist."

    Die der SPD nahestehende Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten, die seit Jahren gegen die ausbeuterischen Strukturen kämpft, begrüßt die Initiative natürlich. Doch der Oldenburger Geschäftsführer der NGG, Matthias Brümmer, will erst einmal abwarten, ob den schönen Worten auch Taten folgen.

    "Es ist leider in den letzten Jahren eine Situation in diesem Schlachtbereich aufgetreten, die man wirklich als menschenverachtend bezeichnen kann. Und die, die sich da in Hannover getroffen haben, haben den Schlüssel mit in der Hand. Und den haben die nur umzudrehen. Sie haben ihn umzudrehen!"

    Ende Juni sollen die Gespräche fortgesetzt werden, dann werden die Gewerkschaften mit am Tisch sitzen. Ein bisschen hat sich schon bewegt: Auf Druck der Gemeinde Sögel im Landkreis Emsland hat sich der dortige Schlachthof Weidemark auf einen neuen Kodex eingelassen. Demnach sollen die ausländischen Werkvertragsarbeiter einen Mindestlohn von 8,50 Euro brutto bekommen und "angemessen" untergebracht werden. Mindestens zehn Quadratmeter Platz heißt das – und ein eigenes Bett.