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Frankreich unter Emmanuel Macron
Hoffnungsträger und Alleinherrscher

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gilt bei seinen Befürwortern als derjenige, der das Land aus einer politischen Patt-Situation herausgeführt hat. Doch wo die einen progressiven Aufbruch sehen, warnen andere vor einem autoritären und monarchistischen Führungsstil.

Von Jürgen König | 10.01.2018
    Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
    Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ( Ludovic MARIN / AFP)
    2017 wird in die französische Geschichte eingehen als das Jahr, in dem Frankreich nach bald zwei Jahrzehnten innenpolitischer Grabenkämpfe, nach zuletzt monatelangen Streik- und Protestwellen sowie einer chaotischen Präsidentschaftswahl von bisher nicht gekannter Aggressivität, wieder zur Ruhe kam und gleichzeitig auf die Weltbühne zurückkehrte.
    "Es ist eine große Hoffnung da, gerade für die jungen Leute. Heute bin ich stolz darauf, Franzose zu sein!"
    "Ich glaube, dass er unser Land voranbringen und die Herausforderungen von morgen meistern wird!"
    Auch viele derer, die Emmanuel Macron nicht gewählt haben, erkennen an, dass er das aufgeheizte Land wieder befriedet hat. Dabei wird immer wieder auch Macrons Rückbesinnung auf die Geschichte genannt: auch dies habe dem Land zu neuer innerer Stabilität verholfen. Gleich am Abend seiner Wahl hatte Macron mit dem ihm eigenen Pathos gesagt:
    "Heute Abend wende ich mich an Sie alle. Sie alle zusammen. Das Volk Frankreichs. Wir haben Pflichten gegenüber unserer Geschichte. Wir sind die Erben einer großen Geschichte und einer großen humanistischen Botschaft, die sich an die ganze Welt richtet. Diese Geschichte und diese Botschaft – wir müssen sie weitergeben! An unsere Kinder zunächst, aber und noch wichtiger: Wir müssen sie als Ganzes in die Zukunft tragen und ihr neuen Schwung geben."
    Olivier Royant, Chefredakteur der Wochenzeitschrift "Paris Match", empfindet diese konsequente Erinnerung an Frankreichs Größe und Auftrag als Macrons wichtigste Leistung.
    "Man hatte plötzlich das Gefühl, als hätten Macrons Amtsvorgänger, Nicolas Sarkozy und Francois Hollande, sich irgendwie geweigert, einen richtigen Präsidenten abzugeben, das heißt, die ganze, auch gewalttätige und komplexe Geschichte Frankreichs zu vertreten."

    Emmanuel Macron dagegen, so Olivier Royant, machte vom ersten Tag an klar, in wessen Nachfolge er sich sieht.
    Frankreichs Präsident Francois Hollande hört einer Rede bei Ethypharm zu, einem Labor in Grand-Quevilly, Nordwest-Frankreich ( 17. Mai 2017).
    Agierte eher glücklos: Macrons Vorgänger Francois Hollande (AFP/Charly Triballeau)
    "Macron kommt und zitiert immer wieder zwei Große unserer Geschichte: Napoleon und de Gaulle. Napoleon machte aus dem Chaos der Revolutionszeit ein geordnetes Land, de Gaulle beendete die Wirren der IV. Republik. Auch Macron hat die Größe Frankreichs gepriesen, aber er hat auch alle Schwachstellen benannt, die Widersprüche, die gewalttätigen Phasen der Geschichte, Kolonialzeit, Algerienkrieg, unsere Situation heute, die Wirtschaft, der Zustand unserer Gesellschaft – er hat alles in Frage gestellt und damit auch irgendwie akzeptiert. Er hat den 'roman national', die 'große französische Erzählung' wieder aufgenommen – das ist etwas ganz anderes als die sonst übliche Vorstellung, dass Frankreich nur bedeutend ist, wenn es sich 'groß' fühlt."
    Aufbruchsstimmung machte sich breit. Und dafür kam zweierlei zusammen: Emmanuel Macron wusste, was er wollte und ließ von Anfang an keinen Zweifel daran, dass er sein Wahlprogramm entschieden umsetzen werde: Frankreichs Wirtschaft reformieren, die Sozialsysteme grundlegend erneuern, den Zusammenhalt der Gesellschaft wiederherstellen, den europäischen Gedanken neu beleben, den weltweiten Terror bekämpfen, für die Klimaschutzziele des Pariser Abkommens eintreten.
    "Ich werde mich von keinem Hindernis aufhalten lassen. Ich werde mit Entschlossenheit handeln, respektvoll gegenüber jedem."
    "Macron hat sich extrem große Machtbefugnisse gegeben"
    Der zweite Grund für den Aufschwung: Die großen Parteien, Sozialisten wie Konservative, hatten sich in aufreibenden Wahlkämpfen selbst zerlegt und wurden durch die absolute Parlamentsmehrheit der Macron’schen Bewegung La République en marche vollends wirkungslos gemacht. Beide Parteien hatten sich seit bald zwei Jahrzehnten derart ineinander verbissen, dass kaum eine Reform noch durchsetzbar war: Durch ihre plötzliche Marginalisierung wurde die politische Lähmung Frankreichs überwunden. Mit dem Neuaufbau tun beide Parteien sich schwer: Die Sozialisten sind inhaltlich völlig verunsichert, die konservativen Republikaner leiden darunter, dass die meisten der bisherigen Reformen Macrons eine konservative Handschrift tragen. Im Sender BFM beschrieb Valérie Pécresse von den Republikanern das Dilemma so:
    "Wir als Opposition werden Macron nicht kritisieren, wenn er tut, was wir selber früher gefordert haben. Die Reform des Arbeitsrechts, das Ende der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die Bildungsreform – das geht alles in die richtige Richtung, da kann man jetzt nicht sagen, das seien alles die falschen Maßnahmen."
    Mit seiner Parlamentsmehrheit ließ sich Macron das Regieren per "ordonnance", per Anweisung, genehmigen – was für erhebliche Aufregung sorgte, bei der radikallinken Oppositionspartei La France Insoumise machte das Wort vom "sozialen Staatsstreich" die Runde. Das "Regieren per Anweisung" ist in der französischen Verfassung ein für Notfälle vorgesehenes Mittel, das aber bisher eher selten angewandt wurde. Es kürzt parlamentarische Gesetzgebungsverfahren extrem ab - und ermöglichte Macron, in kurzer Zeit tief greifende Veränderungen einzuleiten. Alexis Corbière, Sprecher von La France Insoumise:
    "Macron hat sich extrem große Machtbefugnisse gegeben, er hat sich die Institutionen der V. Republik regelrecht untertan gemacht. Wir wollen eine VI. Republik, die mehr Macht dem Parlament und dem Volk gibt - er will das nicht. In seiner Partei duldet er keine Opposition, er konzentriert die Macht ganz auf sich – und warum? Weil er sein politisches und sehr unsoziales Projekt durchsetzen will. Doch die Franzosen haben ihn nicht wegen seines Programms gewählt, sondern um die extreme Rechte zu verhindern. Für seine Arbeitsrechtsreform hat Macron in der Bevölkerung keine Mehrheit, deshalb greift er zu diesem autoritären Regieren per "ordonnance". Und deshalb sind auch seine Umfragewerte so gesunken."

    Dieser Vorbehalt ist in Frankreich am häufigsten zu hören: Dass Macron ja den ersten Wahlgang zur Präsidentschaft nur sehr knapp gewonnen hätte und es im zweiten den Franzosen vor allem darum gegangen sei, Marine Le Pen vom Front National zu verhindern. Doch Macron weiß die große Mehrheit der Bevölkerung hinter sich – oder tut zumindest so. Bald schon wurde mit dem "Gesetz zur Moralisierung der Politik" die jahrzehntealte Praxis von Parlamentariern, Familienangehörige zu beschäftigen, abgeschafft. Im September verabschiedete das Parlament die ebenfalls seit Jahrzehnten umstrittene Reform des Arbeitsrechts: Sie vergrößert unternehmerische Freiheiten, indem sie Arbeitszeiten flexibler macht und Kündigungen erleichtert, zudem beschränkt sie den gewerkschaftlichen Einfluss in den Betrieben. Anders als seine Amtsvorgänger suchte Macron aber von Anfang an den Dialog mit den Gewerkschaften, die dann Mühe hatten, die Massen zu mobilisieren: Denn wie soll man gegen etwas demonstrieren, was man selber ausgehandelt hat? Einzig die kommunistisch geprägte Gewerkschaft CGT und der wortgewandte Volkstribun Jean-Luc Mélenchon, Chef von La France Insoumise, halten den Widerstand wach.
    Frankreichs Emmanuel Macron nach der Stichwahl am 7. Mai in Paris.
    Emmanuel Macron nach der Stichwahl am 7. Mai in Paris (dpa / picture-alliance / Michael Kappeler)
    Von Anfang an Dialog mit den Gewerkschaften
    "Monsieur Macron weiß, dass es ein Kräftemessen ist, er hat es gewollt. Also ist es nun an uns, die Herausforderung anzunehmen, also müssen wir fest zu den Gewerkschaften stehen – einzig mit dem Ziel, dass die Regierung die Reform zurückzieht. Und ich sage: Sie kann und sie muss sie zurückziehen. Die Mächtigen haben nie ohne Druck, ohne Kampf nachgegeben. Dass Monsieur Macron sagt, er werde nicht nachgeben, ist also keine Überraschung. Die Überraschung wird sein, dass er am Ende sehr wohl wird klein beigeben müssen."

    Doch zu großen Demonstrationen wie in den Jahren zuvor kam es nicht mehr. Selbst kolportierte Bemerkungen Macrons, wonach er den "Nichtstuern, Zynikern und Extremen" nicht nachgeben werde, konnten den Volkszorn nicht mehr wecken, mochte die Opposition auch noch so sehr über eine "Verhöhnung der Arbeiterklasse" schimpfen. Auch vom Front National ist derzeit nicht viel zu hören: der Nimbus von Marine Le Pen hat seit der Wahlniederlage gelitten, der einst einflussreiche Vizepräsident Florian Philippot hat die Partei verlassen. So hatte Macron weithin freies Feld – und er handelte von Anfang an rigoros. Wo es Widerstand gab, reagierte er mit harter Hand: Etwa im Fall des Generalstabschefs Philippe de Villiers, der im Parlament Macrons Etatplanung kritisiert hatte, ohne darüber vorher mit Macron gesprochen zu haben. Öffentlich wurde er von Macron zurechtgewiesen.
    "Ich bin Ihr Chef. Und die Zusagen, die ich den Bürgern und auch der Armee gegeben habe – ich weiß sie zu halten. Ich brauche da überhaupt keine Erinnerungen – und auch keine Kommentare."
    Viele Franzosen empfanden diesen Auftritt Macrons als Demütigung des beliebten Generalstabschefs Philippe de Villiers, der umgehend um seine Entlassung bat. Doch die ganz große Kritik an Macron blieb aus, vielleicht auch, weil er schon seit längerem außenpolitischen Glanz versprühte: Mit den Besuchen der Präsidenten Trump und Putin rückte er Frankreich symbolisch wieder in den Kreis der Weltmächte. Mit seinen europapolitischen Vorschlägen ist Macron tonangebend, ebenso beim Aufbau einer afrikanischen Antiterror-Truppe und beim Klimaschutz. Trotz aller Kritik sehen es nicht wenige Franzosen außerordentlich gerne, dass nach Jahren der Führungslosigkeit ein durchsetzungsstarker Präsident Frankreich regiert. Dass die Europäische Bankenaufsicht von London nach Paris und nicht nach Frankfurt umziehen wird, gilt auch als Macrons Verdienst, ebenso wie die Besetzung der UNESCO-Generaldirektion in Paris mit einer Französin: Audrey Azoulay.
    "Die UNESCO erlebt gerade eine schwere Krise, die sich durch die Umstände der Wahl einer neuen Generaldirektion noch beschleunigt hat – und Frankreich wird alles versuchen, die UNESCO aus dieser Krise wieder herauszuführen."

    Mit seinem Reformtempo will Macron im Moment vor allem eines: das Vertrauen der Europäischen Union zurückgewinnen. Vor dem Diplomatischen Corps sagte er Anfang Januar:
    "Wir sind wieder da, weil wir unser Land reformieren – und damit so manchen Zögerlichkeiten der letzten Jahre ein Ende machen. Und gleichzeitig beenden wir auch etwas anderes: Vor zwölf Jahren hat Frankreich ‚Nein‘ zu Europa gesagt, beim Referendum zur Europäischen Verfassung - ohne dann auch wirklich die Konsequenzen aus diesem ‚Nein‘ zu ziehen. Dieser Zustand ist vorbei. Wir sagen ‚Ja‘ zu Europa, wir reformieren unser Land und können also auch allen Partnern Vorschläge machen, Europa zu reformieren."
    Demonstranten halten bei einer Protestveranstaltung des Gewerkschaftsverbands CGT gegen die Arbeitsmarktreformen am 21.09.2017 in Marseille (Frankreich) Gewerkschaftsbanner.
    Die französischen Gewerkschaften waren bisher eine mächtige Instanz im Land - hier haben sie in Marseille Proteste gegen die Arbeitsmarktreformen organisiert (AP / dpa-Bildfunk / Claude Paris )
    Frankreich müsse in der EU wieder als verlässlicher Partner gelten, hatte Macrons Premierminister Edouard Philippe schon bei seiner Regierungserklärung bekundet:
    "Die Franzosen glauben nicht mehr an eine einfache Lösung. Sie wissen, dass alle europäischen Partner seit der Finanzkrise enorme Anstrengungen unternommen haben, ihre Schulden abzubauen, alle - außer wir."
    Und er hatte dabei drastische Bilder gewählt.
    "Mit zunehmender Unruhe tanzen wir Franzosen auf einem Vulkan, der immer heißer wird."
    Vor großen Worten schreckte Macron noch nie zurück
    Sein Ziel sei es, die Drei-Prozent-Defizitgrenze der Europäischen Union schon 2017 wieder einzuhalten, so Edouard Philippe, und weiter:
    "Die Wahrheit ist: Während unsere deutschen Nachbarn 100 Euro an Steuern erheben und davon 98 ausgeben, erheben wir 117 Euro und geben davon 125 aus. Wer kann glauben, dass diese Situation von Dauer ist?"
    Eine so ausdrückliche Orientierung an europäischen Maßstäben gab es in Frankreich schon lange nicht mehr. Dahinter steht die Überzeugung Präsident Macrons, kein europäisches Land könne den heute existierenden Bedrohungen und Herausforderungen noch alleine gegenübertreten. In Zeiten eines weltumspannenden Terrorismus, angesichts weltweiter Migrationsströme und eines globalisierten Welthandels, angesichts des Klimawandels und der digitalen Revolution, müsse Europa zusammenstehen, um sich gegenüber Wirtschaftsmächten wie China oder den USA noch behaupten zu können. Nur in einem gemeinschaftlich handelnden, souveränen Europa, so Macron, sei die Souveränität des einzelnen Staates noch möglich.
    Vor großen Worten schreckte Macron noch nie zurück, und auch mit seiner Kritik ist er nicht zimperlich. Die EU sei in ihrem jetzigen Zustand "zu langsam, zu schwach, zu ineffizient", sagte er bei seiner Europarede in der Pariser Sorbonne und warb für unkonventionelle Maßnahmen.
    "Die besten Ideen, die uns voranbringen, unser Leben verbessern, sind immer angreifbar, zerbrechlich. Aber Europa wird nur von den Ideen leben, die wir von Europa haben."

    Vehement tritt Macron für eine Reform der Eurozone ein, die einen eigenen Haushalt, ein eigenes Parlament und einen eigenen Finanzminister bekommen soll. Bis 2020, so Macron, müssten alle EU-Länder verpflichtende Unter- und Obergrenzen für ihre Körperschaftsteuersätze vorlegen. Länder, die nicht mitmachen, sollen keine EU-Fördermittel mehr erhalten. Umfasste der Haushalt der gesamten EU bisher rund 160 Milliarden Euro jährlich, will Macron ihn deutlich erhöhen, spricht von "Hunderten Milliarden Euro" - ohne wirklich konkret zu werden. Bestehende Schulden will er nicht vergemeinschaften, wohl aber sieht Macron die Notwendigkeit, für zukünftige gemeinsame Investitionsprojekte auch gemeinsame Schulden aufzunehmen: als "Grundlage für ein integriertes Europa". Ein europäisches Verteidigungsbudget und eine gemeinsame Eingreiftruppe, eine "europäische Staatsanwaltschaft" und eine europäische Asylbehörde, die schrittweise Annäherung der europäischen Sozialmodelle - Macron hat viele Ideen. Auch gemeinsame Pflichten sieht Macron auf Europa zukommen. Die Flüchtlingsrouten durch die Sahara, die Flüchtlingslager in Libyen - dies seien Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sagte Macron bei einem Besuch im westafrikanischen Burkina Faso.
    "Angesichts des Ausmaßes der Tragödie, die sich vor unseren Augen in Libyen abspielt, müssen wir die Maßstäbe unseres Tuns ändern. Da Libyen noch dabei ist, sich zu stabilisieren, können wir die Behörden mit den großen Aufgaben dort nicht alleine lassen. Wir haben die Gelegenheit, ja die historische Pflicht, der Partnerschaft zwischen Europa und Afrika eine Richtung, einen wirklichen Ausdruck zu geben. Frankreich wird da sein. Ich hoffe, Europa ist es auch."
    Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und seine Frau Brigitte während ihrer China-Reise in Xian, dem Startpunkt der antiken Seidenstraße.
    Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und seine Frau Brigitte während ihrer China-Reise in Xian, dem Startpunkt der antiken Seidenstraße (AFP / POOL / LUDOVIC MARIN)
    Mit der Ruhe im Land könnte es bald wieder vorbei sein
    Bis zum Sommer will Macron seine Vorstellungen zu einem Maßnahmenpaket konkretisieren. Frankreich und Deutschland sollen gemeinsam die Führungsrolle einer erneuerten EU übernehmen, auch deshalb macht Macron die mühselige Regierungsbildung in Deutschland allmählich nervös. Doch die zentrale Voraussetzung für den EU-Reformer Macron ist, dass ihm der Umbau Frankreichs gelingt. Und die Erwartungen sind groß; ungeduldig werden die Franzosen Ergebnisse der eingeschlagenen Reformwege einfordern. Erfolg hat Macron erst, wenn seine Ideen auch tatsächlich zu neuen Stellen führen. Was wird die Arbeitsmarktreform bringen? Und noch wichtiger: was die Abschaffung der Vermögenssteuer? Wird sie, wie Macron unterstellte, die Reichen zurück nach Frankreich holen, und werden sie ihr Vermögen im Lande investieren? Oder sich nicht doch nur einfach eine weitere Villa, eine weitere Jacht kaufen? Darüber war heftig polemisiert worden, zumal Macron gleichzeitig das Wohngeld für Studenten und Bezieher niedriger Einkommen um fünf Euro monatlich kürzte. Vom "Präsident der Reichen" war schnell die Rede, Adrien Quatennens, Abgeordneter von La France Insoumise, im Sender France 2:
    "Emmanuel Macron gibt sich nicht damit zufrieden, der Präsident der Reichen zu sein, er ist auch noch der Anti-Robin Hood, der den Reichtum umverteilt von den Ärmsten hin zu den Reichsten."
    Das Thema Vermögenssteuer war auch das erste, bei dem es Uneinigkeit unter den Abgeordneten von La République en marche gab; vor allem der linke Flügel zeigte Anzeichen von Rebellion. Patrick Vignal, der früher bei den Sozialisten war:
    "Die Vermögenssteuer hat so etwas Bezeichnendes. Ich glaube nicht, dass das etwas bringt. Ich glaube nicht, dass die Superreichen jetzt alle nach Frankreich zurückkommen – mit ihrem Geld, das irgendwo schläft."
    So könnte es mit der Ruhe im Lande durchaus bald wieder vorbei sein. Unter anderem sollen im Öffentlichen Dienst rund 100.000 Stellen wegfallen. Die Reform der Arbeitslosenversicherung sieht vor, den Druck auf Arbeitslose, angebotene Stellen anzunehmen, zu erhöhen, die Kontrollen sollen verschärft werden. Der geplante Umbau des Rentensystems wird Privilegien angreifen, die auf das 17. Jahrhundert zurückgehen. Die schon Ende Januar anstehende Entscheidung über den Neubau eines Großflughafens in der Bretagne hat Macron geerbt, sie könnte die Spannungen im Land zusätzlich anheizen. Denn die meisten Landwirte auf dem ausgewiesenen Baugelände protestieren seit 20 Jahren gegen das Projekt, viele Häuser wurden besetzt, ihre Bewohner sind für den Kampf gerüstet.
    "Sollte die Polizei anrücken, wären ziemlich schnell an die 10.000 Leute hier, um das Gebiet gegen die Einsatzkräfte zu verteidigen. Das ist sicher. Genau wie 2012, als die Regierung die Zone auch schon räumen wollte, und es klappte nicht. Genauso würde es dann wiederkommen."
    Die untergründigen Spannungen im Land kann auch der große Hoffnungsträger Emmanuel Macron nicht wegzaubern. Wie groß sie sind, zeigen einige Zahlen: 2017 gab es mehr als 60 Suizidfälle bei Gendarmerie und Polizei. 28 Prozent der Franzosen haben das Gefühl, in "vom Staat verlassenen Gebieten" zu leben, nämlich in den Vorstädten der Metropolen oder auf dem flachen Land. Gleichzeitig wird die geplante Abschaffung der Wohnsteuer zwar rund 80 Prozent der Bevölkerung finanziell entlasten, den ohnehin schon klammen Kommunen aber eine Haupteinnahmequelle nehmen – und ein staatlicher Ausgleich dazu ist nicht vorgesehen. Solche Verhältnisse enthalten großen Konfliktstoff: 2018 wird ein hartes Jahr für Frankreich.