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Saudumme, ironische Plastiken

Eine runde, blaue Dose, Aufschrift: Kaviar, "Fischereiministerium UdSSR". Mitten auf der Dose ein weißes Etikett "1,8 Kilo Nivea". Das ist der Humor des Künstlers Georg Herold. Das Museum Brandhorst in München eine Werkschau des Künstlers, er selbst mitgestaltet hat. Surrealismus, Fluxus, Punk und Dada all das ist "Multiple Choice".

Von Christian Gampert | 24.04.2012
    Wenn jemand Dachlatten und Ziegelsteine zu den Hauptdarstellern seiner Werke erhebt, dann hat er offenbar ein ironisches Verhältnis zur Welt oder zumindest zum Kunstbetrieb. Georg Herold hat seine Herkunft nicht vergessen: 1973 wurde er beim Versuch der Republikflucht in DDR-Haft gesteckt und später von der Bundesrepublik freigekauft. Das Leben kommt einem dann wahrscheinlich sehr real als absurdes Theater vor, und manch phrasenhafter Nonsense, der zum Teil heute noch durch die Politik geistert, findet sich als sarkastischer Schriftzug auf Herolds Dachlatten wieder.

    Dieses genaue Hinhören, das Sprachgefühl hat er aus der DDR mitgebracht – und als Künstler dann in surreal-dadaesken Arbeiten verwendet. Aus einer Laokoon-Skulptur, die bei Herold aus einem Staubsauger mit ziemlich verworrenen Schläuchen besteht, schallt dem Betrachter zum Beispiel Hitlers Rede zur "Entarteten Kunst" entgegen – auf Sächsisch.

    "Es gab mal ne Zeit, da konnte man die Schallplatten von Hitler und Goebbels kaufen, und ich dachte: wenn ich das auf Sächsisch vortrage, und das hab ich probiert, wird man den Unterschied zu Ulbricht nicht mehr feststellen. Das ist sehr nah. Die Sprachen der Diktaturen sind alle gleich."

    Die Dachlatte aus dem Baumarkt ist irgendwie proletarisch angehaucht und doch ein neutrales Material; der Handwerker-Draht kann, zu Knäueln geformt, auch Hirnwindungen darstellen; der Ziegelstein kann aggressiv geworfen werden, aber wenn er aus einer Leinwand herauswächst und das Wort "saudumm" draufsteht, wird die Dummheit gleich zur Kunst geadelt.

    <im_79376></im_79376>Derlei Spielchen treibt Herold nun auch im Museum Brandhorst. Zunächst werden ein paar jüngere Herold-Arbeiten in die ständige Sammlung eingeschmuggelt, zum Beispiel räkelt sich eine purpurn lackierte Liegende neben Eric Fischls "Daddy’s Girl". Dann schält sich eine gespreizte menschliche Form, gänzlich aus Dachlatten gebaut, aus einer streng formalen Pyramide heraus. Und wenn man in den Unterstock kommt, wird man von einem jener Kaviar-Bilder begrüßt, die die andere Seite von Herolds Provokations-Skala bilden: Kaviar, der Suchtstoff für eine luxurierende Oberschicht, ist in Schleierwolken über die weiße Bildfläche verteilt, die außerdem noch von mystischen Landschaften aus Zahlen strukturiert wird.

    Und dann sind da die meist grell-lila lackierten, relativ abstrakten, aber verführerisch hingestreckten Frauenakte, ein Prototyp von Herolds jüngeren Arbeiten: irgendwie nur noch eine Erinnerung an einen Menschenkörper. Aber trotzdem sexy.

    " Ja, das ist Erotik gepaart mit etwas anderem. Das hat den größten Charme"

    Die Herkunft seiner Kunst aus Dada, Surrealismus, Fluxus und Punk ist unverkennbar, und doch hat Herold etwas ganz Eigenes entwickelt, etwas Herzlich-Widerborstiges und gleichzeitig Ironisch-Distanziertes. Seine Objekte sind – von ihrer Struktur her – problemlos anschlussfähig an Beuys oder Warhol, wie die Münchner Präsentation zeigt. Aber trotz allen Humors transportieren sie auch Trauer: ein überdimensionierter, verlänglichter Herren-Anzug ist da über ein hölzernes Menschengestell gestülpt, gesichtslos, lässig und lächerlich lehnt das an der Wand – das Skelett einer Werbe-Ikone.

    Die Kabinette im Unterstock des Museum Brandhorst sind völlig umgestaltet, zum Teil mit dynamischen Schrägen und Theken versehen, und führen uns durch 40 Jahre Werkgeschichte. Es gibt die mit Beton gefüllten Teesiebe, die zwar noch braune Spuren früheren Gebrauchs tragen, aber trotzdem wie Präservative aussehen; es gibt die zu merkwürdigen Verrenkungen aufgespannten Nylon-Damenfeinstrumpfhosen; es gibt viele Multiples und vor allem: einen Saal mit vergrößerten und sorgfältig, fast liebevoll nachgemalten DDR-Dokumenten, die alle aus der Stasi-Akte des Georg Herold stammen. Sie sprechen die absurde Sprache der totalen Bürokratie, der Globalüberwachung.

    "Ich dachte, ich bereite das Publikum langsam mal auf die Zukunft vor: Es nähert sich alles der DDR wieder an. Und man merkt das deutlich. Insofern ist das ein kleiner Vorgeschmack auf das, was man hier schon genauso findet."