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Tschechien vor der Wahl
Wer ist der Milliardär Andrej Babiš?

Ist er ein Populist oder liefert er einen anderen Blick auf die Politik? Der Milliardär Andrej Babiš und seine ANO-Partei könnten bei der Parlamentswahl zur stärksten politischen Kraft aufsteigen. Wo er europapolitisch hinwill, ist nicht ganz klar.

Von Peter Lange | 19.10.2017
    Andrej Babiš im Wahlkampf (2013)
    Der Unternehmer Andrej Babiš inszeniert sich bis heute als Anti-Politiker und Kämpfer gegen Korruption, Steuerbetrug und Vetternwirtschaft (CTK)
    Renata, eine Bohemistik-Studentin findet den Mann zwar ethisch fragwürdig, kann aber die Wähler schon verstehen: "Die Menschen mögen ihn, weil er ihnen mehr Möglichkeiten aufzeigt und die Perspektive auf die Politik ein bisschen verändert hat." Die Gymnasiastin Karolina sieht das deutlich kritischer: "Er ist schon seit 1989 in Verbindung mit Korruptionsfällen und interessanten Umständen - um das mal so zu sagen. Das ist für mich schon ziemlich an der Grenze."
    Die Rede ist von Andrej Babiš, dem Milliardär und Gründer der Partei ANO, seit Monaten Favorit in den Umfragen zur Parlamentswahl in dieser Woche. Andrej Babiš ist gebürtiger Slowake, ein hagerer großer Typ mit Cäsaren-Haarschnitt, im September ist er 63 geworden. Weil sein Vater im Außenhandel der Tschechoslowakei arbeitete und die Familie deshalb zeitweilig im Ausland lebte, ging er in Paris und Genf zur Schule. Nach dem Abitur in Bratislava machte er dort seinen Abschluss als Wirtschaftsingenieur und ging dann ebenfalls ins Ausland. Fünf Jahre lang, bis 1991, vertrat er 15 tschechoslowakische Unternehmen in Marokko. 1993, nach der Trennung von Tschechen und Slowaken, gründete er die Firma AGROFERT, nach seiner Darstellung mithilfe Schweizer Investoren. Andrej Babiš: "Das Projekt AGROFERT war für mich eine Herausforderung: Dass ich selbst eine Firma aufbauen konnte, dass ich keinen Chef haben würde, dass ich es selbst schaffe. Ich war deshalb sehr motiviert."
    Nach dem wirtschaftlichen jetzt der politische Aufstieg?
    Aber wo er das Geld herbekam, um dann alle Anteile bei AGROFERT zu übernehmen, ist nie bis ins Letzte geklärt worden. Auch nicht, von welcher Art seine Verbindungen zur tschechoslowakischen Stasi waren. Jaroslav Rudiš, Schriftsteller, Publizist und Musiker: "Ihm wird vorgeworfen, wie er eigentlich reich geworden ist in den 90ern, in der sehr wilden, brutal kapitalistischen Zeit, wo die anderen oder wir keine Ahnung hatten, und die wussten schon Bescheid, wie das Leben läuft, mindestens, was Kapitalismus angeht. Wir haben immer noch an die Freiheit und Demokratie geglaubt und an Václav Havel, und die waren schon ganz woanders."
    Heute jedenfalls hat AGROFERT 30.000 Beschäftigte in 250 Tochtergesellschaften, darunter die MAFRA mit den zwei wichtigsten Tageszeitungen. Dazu Andrej Babiš: "Heute kann ich sagen, dass ich die Firma dank meiner Mitarbeiter und der Banken zu einem der größten Unternehmen im Land aufgebaut habe."
    Umstrittene Selbstinszenierung
    2011 geht Andrej Babiš in die Politik. Mit seiner "Bewegung unzufriedener Bürger" trifft er im skandalgeplagten Tschechien einen Nerv. Bei den Wahlen zwei Jahre später erhält ANO auf Anhieb 18 Prozent und wird zweitstärkste Regierungspartei. Andrej Babiš wird Finanzminister in einer Drei-Parteien-Koalition, die erstaunlicherweise stabiler ist als alle früheren Regierungen in Tschechien. Der Unternehmer inszeniert sich bis heute als Anti-Politiker und Kämpfer gegen Korruption, Steuerbetrug und Vetternwirtschaft.
    Andrej Babiš: "Diese Wahlen sind der letzte Versuch, die Hydra der Korruption zu vernichten, die hier seit der Revolution herrscht. Seitdem wurden Tausende Milliarden Kronen gestohlen. Und die Korruption ist immer noch unter uns."
    Wahllisten im Din-A-5-Format.
    Jeder Wähler hat bereits die Wahllisten bekommen: 31 Blätter im Din-A-5-Format. Eines davon muss in die Urne . (ARD-Studio Prag)
    Allerdings hat Andrej Babiš da ein Glaubwürdigkeitsproblem. Gegen ihn wird wegen Subventionsbetrugs ermittelt. Und beim Finden von Steuer-Schlupflöchern soll er auch sehr fantasievoll gewesen sein.
    Ivan Bartoš, den Vorsitzenden der Piraten-Partei, hat das zu einem kleine Spottlied auf Andrej Babiš animiert. Der Refrain lautet: Alle stehlen! - erzählt er seit vier Jahren; nur hat er vergessen zu ergänzen, dass auch er zu den Dieben gehört.