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Klimaschutz in Schweden
Die Scham fliegt mit

"Flugscham" zu haben, ist in Schweden zurzeit angesagt. Zumindest bei umweltbewussten Hipstern. Tatsächlich scheint sich ein Trend zum weniger Fliegen abzuzeichnen, denn die Nutzung der Züge auf der schwedischen Nord-Süd-Trasse stieg allein in diesem Jahr um ein Drittel.

Von Carsten Schmiester | 21.11.2018
    Flugzeug vor Sonnenuntergang
    Wer fliegt, sollte sich schämen - so die Meinung vieler Schweden. (picture alliance / Marcel Kusch/dp)
    "Ich heiße Malena Ernman, ich bin Opernsängerin und arbeite in der ganzen Welt. Ich habe aber aufgehört zu fliegen."
    Sagt die 48- Jährige, die nicht nur in Schweden ein Star ist, in diesem Werbevideo für einen Naturschutzverband. Sie gehört zu den Promis im Land, die mitgeholfen haben, aus einer Idee einen Trend zu machen. Leute wie sie und immer mehr auch ganz normale politisch korrekte "Followers" tauschen sich längst in diversen Internetforen und sozialen Netzwerken aus. Die heißen zum Beispiel #flyingless, also "weniger fliegen", oder #jag stannar på marken, zu Deutsch: "Ich bleibe am Boden."
    Politiker und Promis machen mit
    Kulturministerin Alice Bah Kuhnke oder der berühmte Ex-Biathlet und jetzt Sportmoderator Björn Ferry sind auch dabei. Ferry hat mit seinem Arbeitgeber, dem öffentlichen Sender SVT vereinbart, dass er immer schön über den Landweg und dabei bevorzugt mit der Eisenbahn zu seinen Einsatzorten reist und die sind ja auch schon mal in Slowenien oder Italien. Eine weniger bekannte, aber nicht weniger engagierte Am-Boden-Bleiberin ist Maja Rosén, eine junge Mutter, die über eine Facebook-Gruppe versucht, 100.000 Gleichgesinnte zu finden. Denn noch sind die meisten Schweden alles andere als Flug-Verweigerer, sagt sie:
    "Sie rechtfertigen sich damit, dass sie im Vergleich zu anderen nicht so viel fliegen. Man schaut nicht darauf, was nachhaltig wäre, wie man Umweltveränderungen effektiv bremsen könnte oder dass die Mehrheit der Weltbevölkerung noch nie geflogen ist. Man vergleicht sich nur mit dem direkten Umfeld. Und solange dort mehr geflogen wird, sieht man sich nicht in der Pflicht."
    Und jettet fröhlich weiter, bevorzugt nach Thailand oder in die USA, das sind in diesen dunklen und zunehmend kalten Tagen die Lieblings-Fluchtorte der Schweden. Allerdings spricht man nicht mehr so gerne und so offen über solche Reisen, wegen des Fliegens und der eigenen miesen CO2-Bilanz. Ein Phänomen, das hier "flygskam" heißt, Flugscham. Ist eben peinlich, zu denen zu gehören, die sich immer noch in die fliegenden Klimakiller setzen. Weshalb offenbar immer mehr Schweden zumindest Trips im In- oder ins nahe europäische Ausland auf die Schiene verlegen.
    Die Zahl der Bahnfahrer steigt
    Am besten läuft es hier auf der Nord-Süd-Trasse und da in den Nachtzügen, die allein seit Jahresbeginn ein Drittel mehr Mitfahrer haben. Allerdings steigt auch noch die Zahl der Flugreisenden vor allem auf Langstrecken. Flygskam ist also noch eher ‘was für Hipster und solche, die eigentlich zu alt dafür sind, aber grün und anders und in der Selbstwahrnehmung auch "besser". Die Sache liegt im Trend, Zugfahren ist "in", und in Schweden gefühlt kaum anders als Fliegen. Zumindest in den Schnellzügen mit ihrer seltsamen Neigetechnik und Spucktüten an jedem Sitz. Es ist ein buchstäbliches schräges Fahrerlebnis, das etwa ein Drittel aller Passagiere körperlich total überfordert. Ihnen wird dann genauso schlecht wie im Flieger bei entsprechenden Turbulenzen. Aber die CO2-Bilanz stimmt!