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NPD-Verbotsdebatte auf wissenschaftlicher Ebene

Über den Nutzen und die Gefahren von einem NPD-Verbot wird auf Landes- und Bundesebene politisch diskutiert. Die Wissenschaft sucht ebenfalls nach Antworten und schaut dabei auf bisherige Verbotsverfahren gegen rechtsextreme Vereinigungen - auch auf der Konferenz "Reichweite, Grenzen, Erfahrungen" in Berlin.

Von Andreas Beckmann | 07.06.2012
    Ein Aufmarsch der NPD in Schwerin – solche Veranstaltungen von Rechtsradikalen sind eine Herausforderung für den Rechtsstaat und für Demokratinnen wie Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus.

    "Wir sehen immer wieder, dass Bürgerinnen und Bürger entsetzt darüber sind, dass diese Partei noch nicht verboten ist. Es gibt oft die falsche Annahme, dass sie deswegen demokratisch sei. Da ist es auch von uns eine wichtige Aufklärungsarbeit, dass wir immer wieder betonen: Nein, sie ist eine zutiefst rassistische, antisemitische und rechtsextreme Partei, aber es wurde eben noch nicht die Verfassungswidrigkeit nachgewiesen."

    Diesen Nachweis könnte nur das Bundesverfassungsgericht führen. Aber weil grundsätzlich alle Parteien nach Artikel 21 des Grundgesetzes einen sehr weitgehenden Schutz genießen, müssen sich für ein Verbot zwei Drittel der am Verfahren beteiligten Verfassungsrichter aussprechen, damit es wirksam wird. 2003 konnte daher eine Minderheit von drei Richtern ein Verfahren gegen die NPD stoppen, weil sie den Einfluss von Mitarbeitern des Verfassungsschutzes in der Partei für zu groß hielt. In der Geschichte der Bundesrepublik gab es überhaupt erst zwei erfolgreiche Verbotsanträge: 1956 gegen die KPD, vier Jahre zuvor gegen die rechtsradikale Sozialistische Reichspartei SRP. Entsprechend lässt sich empirisch kaum überprüfen, wie sich Parteienverbote auswirken. Der Politologie Fabian Virchow hat allerdings in einer Studie an der Fachhochschule Düsseldorf insgesamt 76 weitere Verfügungen gezählt, die seit 1952 gegen rechte Kameradschaften oder etwa die Wiking-Jugend ergingen – also gegen Organisationen, die keine Parteien waren und deshalb nach dem Vereinsrecht aufgelöst werden konnten.

    "Diese Verbote insgesamt haben zu einer Mäßigung von Propaganda, Programmatik und Aktionen geführt. Das lässt sich an verschiedenen Beispielen zeigen, zum Beispiel an dem SRP-Verbot und der dann folgenden Diskussion und Neugruppierung der extremen Rechten. Die NPD in den 60er-Jahren hat sehr stark, viel stärker als heute, darauf geachtet, dass sie als verfassungskonform wahrgenommen wird. Das gilt sicherlich auch für die Deutsche Volksunion, die unter anderem auch aus solchen Gründen, nicht zu sehr in den Geruch der Verfassungsfeindlichkeit zu kommen, weitgehend auf öffentliche und politische Aktionen verzichtet hat."

    Fabian Virchow hat sich in seiner Studie auch mit Argumenten, die gegen ein Verbot sprechen könnten, auseinandergesetzt. So befürchten manche Szene-Kenner, NPD-Mitglieder könnten sich in diesem Fall als politische Verfolgte inszenieren und neue Sympathisanten finden. Tatsächlich hat die Partei das auch während des Verbotsverfahrens 2003 versucht.

    "Es hat einzelne Eintritte in die Partei gegeben, aber es hat auch einen Rückgang der Mitgliederzahl von 6 auf 5.000 gegeben. Also insgesamt, dass es auf Grund eines solchen Verbotes Solidarisierungseffekte gibt, lässt sich zumindest für die Vergangenheit nicht feststellen."

    Für nicht stichhaltig hält Virchow auch die Befürchtung, die rechte Szene könnte noch gewalttätiger werden, wenn ihr das legale Betätigungsfeld genommen und sie in den Untergrund gedrängt werde.

    "Es gibt, so weit wir das überblicken, einen einzigen Fall, das ist die Wehrsportgruppe Hoffmann, wo es nach dem Verbot schwere Verbrechen gegeben hat, also das Attentat aufs Münchener Oktoberfest und den Doppelmord in Erlangen, wo die Täter zweifelsfrei der Wehrsportgruppe zugerechnet werden."

    Insgesamt 15 Menschen kamen 1980 bei diesen beiden Anschlägen ums Leben. Doch unabhängig davon, ob der Staat ihre Organisationen verbietet oder nicht, die extreme Rechte ist stets hochgradig gewaltbereit. Das zeigen nicht nur die zehn Morde, die dem sogenannten Nationalsozialistischen Untergrund NSU zur Last gelegt werden. Das zeigen auch Hunderte von Übergriffen gegen Ausländer, Schwule oder Obdachlose in den vergangenen 20 Jahren – begangen von Tätern mit rechter Gesinnung, die keiner Partei oder Organisation angehörten.

    In Fußballstadien, auf Rockkonzerten oder in Jugendclubs leben nach Beobachtungen von Bianca Klose immer mehr Menschen ganz offen einen alltäglichen Rassismus aus. Sie schaffen damit nach ihrer Ansicht erst das Klima, in dem eine rechte Gewalt möglich wird und in dem die NPD von einer Splittergruppe zu einer ernstzunehmenden Gefahr heranwachsen konnte.

    "Jeder und jede, die sich auf die NPD ausschließlich fokussiert, vergisst meines Erachtens, dass die NPD aus der Mitte der Gesellschaft heraus gewachsen ist, auch aus der Mitte der Gesellschaft die Wählerinnenstimmen bekommt und gerade nach den rassistischen NSU-Morden sollten wir eine Debatte über Rassismus in den Institutionen führen und auch über Rassismus in der Mitte der Gesellschaft."

    Mit der von ihr geleiteten Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus versucht Bianca Klose deshalb in Berlin, bei ganz alltäglichen Problemen Bündnisse von demokratisch gesinnten Bürgern zu schmieden.

    "Wenn zum Beispiel ein Laden, der rechtsextreme Devotionalien verkauft, in einer Straße aufgemacht hat, dann begleiten wir die Bürgerinnen und Bürger dabei, eine Bürgerinitiative zu gründen und überlegen uns dann auch mit den Vermietern wie man diesen Laden wieder los wird."

    Solche pragmatischen Ansätze im Kampf gegen den Rechtsradikalismus vertraten auch die ausländischen Gäste auf der Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung. Nach Ansicht des Politologen Matthew Goodwin von der University of Nottingham würden etwa britische Behörden ihr Gesicht verlieren, wollten sie eine Partei verbieten.

    "Der britische Staat könnte von seinem Selbstverständnis her eine solche Debatte gar nicht führen. Nach unserem Demokratieverständnis muss man die politische Kontroverse mit den Rechten suchen, anstatt ihre Gruppierungen zu verbieten."

    Auch Bianca Klose sieht die Verbotsdebatte mit gemischten Gefühlen, vor allem, weil sie schon so lange ergebnislos geführt wird. Je länger sie aber dauert, desto mehr verpuffen die möglichen positiven Effekte. Das zeigt der Parteienforscher Christoph Kopke vom Moses Mendelssohn Zentrum in Potsdam am Beispiel der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei FAP. Diese Gruppe, deren bekanntestes Mitglied der Neo-Nazi Michael Kühnen war, sollte 1993 auf Antrag der Bundesregierung verboten werden. Doch auch damals lehnten die Verfassungsrichter nach eingehender Diskussion ein Verfahren ab, berichtet Christoph Kopke.

    "Sie haben gesagt, die FAP ist keine Partei, weil sie zu klein ist, weil sie zu wenig Widerhall in der Bevölkerung hat. Sie tarnt sich als Partei und ist eigentlich gar keine. Demgegenüber muss man sagen, dass die FAP doch an einer ganzen Reihe von Wahlen teilgenommen hat. Ich denke, inhaltlich wäre es kein Problem gewesen, der FAP das aggressives Vorgehen gegen freiheitlich-demokratische Grundordnung und die vielfachen positiven Bezugnahmen auf den Nationalsozialismus nachzuweisen."

    Nachdem die Richter der FAP den Charakter einer Partei abgesprochen hatten, verbot sie der Bundesinnenminister 1995 nach dem Vereinsrecht. Aber weil die Diskussion fast zwei Jahre gedauert hatte, waren ihre Mitglieder darauf gut vorbereitet.

    "Sie haben versucht, ihre lokalen Strukturen in Kameradschaften zu überführen, es sind eine ganze Menge Aktivisten der FAP weiterhin in anderen Kontexten aufgetaucht, über Umwege oder auch direkt in der NPD. Die NPD hat sich dann von ihrer bisherigen offiziellen Praxis der Abgrenzung zur extremen, zur offen neonazistischen Szene abgewandt, sie hat sich also geöffnet und der Aufstieg der NPD in 1990er-Jahren liegt auch zum Teil daran, dass sie Kader verbotener Organisationen in größerer Zahl aufnehmen konnten."

    "Ich verstehe die NPD als Partei mit Bewegungscharakter, in der sowohl freie Kräfte als nationalkonservative, nationalliberale Kreise ihren Platz haben müssen."

    Der NPD-Vorsitzende Holger Apfel kann heute für sich beanspruchen, mit seiner Partei die Meinungsführerschaft im rechtsradikalen Spektrum errungen zu haben. Schon allein wegen dieser herausragenden Stellung der NPD hält Fabian Virchow von der Fachhochschule Düsseldorf ein Verbot für sinnvoll.

    "Ein Verbot einer solchen zentralen Struktur könnte die extreme Rechte vor die Aufgabe stellen, eine neue zentrale Struktur zu gründen. Wir wissen aus anderen Parteigründungsprozessen, dass das mit sehr großen Schwierigkeiten behaftet ist, neue, bundesweit handlungsfähige Strukturen zu schaffen. Und das zweite ist natürlich, wie reagieren staatlichen Instanzen, wie reagiert Zivilgesellschaft auf solche Neugründungsversuche."

    Das Problem Rechtsradikalismus würde in jedem Fall bleiben, darin waren sich die Teilnehmer der Konferenz einig. Das Verbot einer Partei könne den demokratischen Kräften immer nur einen Vorteil auf Zeit verschaffen. Den Kampf gegen das rechte Gedankengut in den Köpfen müssten Politiker und Bürger jeden Tag aufs Neue führen, indem sie Vorurteilen gegen Einwanderer oder Juden, gegen Homosexuelle oder andere Minderheiten entgegen treten.