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Kann Liebe Arbeit sein?

Auf einer Tagung in Jena haben Soziologen und andere Wissenschaftler über die Folgen bezahlter Elternschaft debattiert - zunächst unter sich, dann mit Politikern. Allerdings nicht unter dem Motto "Geld oder Liebe", sondern "Kann Liebe Arbeit sein?"

Von Christian Forberg | 14.01.2010
    Vater-Mutter-Kind – das ist die Kernfamilie, über Jahrtausende entwickelt, erprobt, den Verhältnissen angepasst. Ihre schlichte, stabile Konstruktion mit einem Vater als nahezu unangefochtenem Mittelpunkt, überdauerte noch die 1950er-Jahre. Dann bekam die Konstruktion Risse, weil auch der Untergrund, die Gesellschaft heftig bebte durch die Emanzipation der Frauen, die Entmachtung der Väter und liberalere Erziehungsmethoden. Nicht zuletzt über das Geld als den kleinsten gemeinsamen Nenner dieser Gesellschaft wird versucht, die Kernfamilie und deren Zerfallsprodukte zu erhalten, denn - es gibt nun mal keine andere Möglichkeit, Gesellschaft zu sichern und zu entwickeln, als über Kinder und deren Kinder. An dieser Stelle beginnt die Katze, sich in den Schwanz zu beißen: Kinder, zumal die Kleinsten, müssen in Liebe aufwachsen, was uneigennützig handelnde Eltern voraussetzt. Diese Familienarbeit als (wie sonst üblich geworden) bezahlte Dienstleistung zu werten, würden das uneigennützige Element erheblich stören, sagt Bruno Hildenbrand, Soziologe an der Universität Jena:

    "Stellen sich vor, das Kind schreit nachts um zwei. Wollen Sie Nachtzuschlag erheben, wenn Sie sich dann aus ihrem Bett erheben und sich um das Kind kümmern? Denn das fällt ja unter Fortpflanzung und Pflegearbeit, die ja bezahlt werden würden. Wenn man das schon wörtlich nimmt, müsste man auch an Nacht- und Wochenendzuschläge denken; also ein schreiendes Kind am Tag ist billiger, als ein schreiendes Kind in der Nacht und am Wochenende. Also – die Sache ist grotesk."

    Aber in einer an Leistung und damit Einkommen orientierten Gesellschaft, in der die Frauen immer mehr vom Herd weg in einen Arbeitsprozess kommen, müssen Lösungen gefunden werden. Eine Reihe sind ja schon vorhanden oder im Entstehen: Die Einrichtung von weit mehr Kita-Plätzen zum Beispiel, als zur Zeit vorhanden sind. Auch geldwerte Leistungen gibt es etliche. Michael Opielka, Soziologe an der Jenaer Fachhochschule und Organisator der Tagung um die bezahlte Elternschaft, nennt Beispiele:

    "Wir haben heute zum einen eine Freistellung von Eltern in Verbund mit einem Erziehungsgeld beziehungsweise Elterngeld; auf Bundesebene Bundeselterngeld seit 2007, immerhin 67 Prozent des Nettoeinkommens für zwölf bis 14 Monate gezahlt. Wir haben in Thüringen das Thüringer Erziehungsgeld, was in Zukunft direkt an das Bundeselterngeld mit 150 Euro im Monat bezahlt wird - dies sind Formen der Bezahlung von Elternarbeit."

    Das Geld ist aber nur ein Teil der sogenannten Thüringer Familienoffensive, die von Michael Opielka und Kollegen wissenschaftlich begleitet wurde. Die Wissenschaftler wussten sehr wohl um die Gratwanderung, weil Geld oder – wie es die FDP anregt – Gutscheine für Leistungen vom Staat die Familie in Gefahr bringt, völlig für staatliche und gesellschaftliche Zwecke instrumentalisiert zu werden. Weshalb Bruno Hildenbrand mit einem englischen Altliberalen des 18. Jahrhunderts warnt:

    "William Pitt der Ältere soll einmal über die Hütte eines Normalsterblichen gesagt haben: Hier hinein darf der Wind eindringen, der Regen auch, nur der König nicht. So stelle ich mir das auch vor: Der Staat hat in der Familie nichts zu suchen! In dem Augenblick, in dem Familienarbeit ökonomisiert wird, pfeift durch ihre Hütte nicht nur der Wind, sondern pfeift eben auch der Staat durch."

    Für Birgit Bütow, die ebenfalls an der Fachhochschule Jena lehrt und sich speziell mit Frauen- und Geschlechterforschung befasst, sind die 150 Euro fragwürdig, weil sie zwar für Geringverdiener das schmale Budget aufbessern könnten. Aber mehr als ein Trostpflaster für Frauen seien sie nicht:

    "Das ist die Herdprämie, die immer wieder dazu führt, dass Ungleichgewichtigkeiten auf der privaten Ebene von Familie im Grunde genommen sich zuungunsten von Frauen auswirken. Da gibt es die ganz klaren Mitnahmeeffekte. Das sind in der Regel Leute oder Familien, die sowieso relativ wenig Geld oder ein Ernährermodell haben und die sagen: Wir leben nach dem Splittingmodell, und da nehmen wir das halt mit."

    Also doch Gutscheine? Nein, sagt Birgit Bütow:

    "Das hat man bei Migranten schon eingeführt, diese Gutscheine, und ich halte das für illegitim. Die unterstellen im Grunde, dass Familien nicht in der Lage sind, zu entscheiden, was und wie."

    Aus anderer Perspektive beurteilt Eberhard Eichenhofer, Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Jena, das Betreuungsgeld. Zum einen werde mit ihm symbolisch den alten Generationen quasi die Hand geschüttelt: Auch sie, die ihre Kinder zu Hause betreut und nicht in den Kindergarten geschickt haben, hätten ihre Sache gut gemacht; auch die Hausfrau sei eine gute Pädagogin.

    "Und das zweite Motiv ist: Es ist natürlich billiger. Das heißt, das Betreuungsgeld ist niedriger, als der Investitionsaufwand für die Kinderbetreuung. Wenn man da 150 Euro pro Kind und Monat bezahlt, dann spart der Staat natürlich im Vergleich zu den Aufwendungen, die er für eine Kinderbetreuungseinrichtung aufbringen muss. Dass ist – mit anderen Worten – ein ökonomischer Anreiz, weniger öffentliche Kinderbetreuung aufzubauen."

    Doch ein solches Programm existiert: Bis 2013 sollen 750.000 Kita-Plätze mit gut qualifizierter Betreuung zur Verfügung gestellt werden, obwohl, wie andere Untersuchungen besagen, 1,2 Millionen nötig wären. Eine verworrene Situation, sagt Eberhard Eichenhofer:

    "Es ist auch deshalb verworren, weil die Bürgermeister und die Landräte, die diese Verpflichtung umsetzen müssen, tagaus, tagein sagen: Wir wissen gar nicht, wie wir das bezahlen sollen."

    Allerdings sind die Weichen bereits so gestellt, dass eine Kleinkinderbetreuung allein zu Hause ein Auslaufmodell ist. Wenn aber das kein gangbarer Weg mehr ist, der Einsatz von Geld jedoch auch nicht, wie könnte es dann weitergehen? Michael Opielka spricht von Modernisierung der Familienpolitik:

    "Modernisierung dahin, dass die verschiedenen Sphären der Familien und die verschiedenen Sphären gesellschaftlichen Handelns jeweils ihr institutionelles Recht bekommen. Das heißt, wir sind gerade genau dagegen, dass Erziehung in der Familie und öffentliche Erziehung gegeneinander ausgespielt werden. Sondern wir gehen von der Notwendigkeit der Komplementarität aus. Übrigens in völliger Übereinstimmung mit allen Bindungsforschern, mit allen langfristigen Familienentwicklungsstudien – nicht in Übereinstimmung allerdings mit dem derzeit aktuellen Mainstream ökonomischer Analysen von Familienerfolgen."

    Die seien zu reduziert auf Bildungserfolge und Vorwärtskommen. Es ginge aber um die Konzeption einer Gesellschaft, in der sich allgemein gut leben ließe, ohne Überdruck, ohne Mobbing, mit Zeit für Beruf und Familie. Nicht zu vergessen eine Erziehung, die vom Wohl der Kinder her gedacht werde, fügt Bruno Hildenbrand an. Was voraussetze, dass Paare nicht beide zu 100 Prozent im Erwerbsleben stehen müssten: 43 Prozent aller deutschen Paare arbeiteten derart angespannt, übertroffen zwar von den Amerikanern, aber weit unterboten von den Holländern zum Beispiel.

    "Ich denke das so, dass sozialpolitische Lösungen gefunden werden sollten, dies es den Familien ermöglichen, auch bei geringerem Einkommen weniger zu arbeiten in der Zeit, wo sie besonders wichtig für die Kinder sind. Das ist dann aber keine Entschädigung, sondern das sind einfach nur Rahmenbedingungen, die es den Familien ermöglichen, durch sozialpolitische, auch finanzielle Transferleistungen ihren Aufgaben als Eltern und Partnern nachzukommen."

    "Geld oder Liebe" ist für die Wissenschaftler also kein gangbarer Weg, eher "Geld und Liebe", auch wenn das um einiges schwieriger ist, als es sich so verkürzt anhört.