"Sauber, klar und trocken"

Gast: Steffen Schleiermacher Moderation: Olaf Wilhelmer · 24.02.2013
Igor Strawinsky: Man denkt an wilde Rhythmen im Farbrausch, an grandiose Ballettmusiken. Allerdings: Strawinsky hatte viele Gesichter. Diese Sendung handelt von seinen drei Klavierkonzerten - und damit von Strawinskys Beschäftigung mit dem Neoklassizismus und der Zwölftonmusik.
Strawinsky hat sich der Musikgeschichte als genialer Schöpfer von Orchesterwerken eingeschrieben, aber zaubern konnte er auch in der "schwarz-weißen" Welt des Klaviers. Immerhin drei Klavierkonzerte finden sich in seinem Werkverzeichnis, alle sind ungewöhnlich. Das Konzert für Klavier, Bläser, Pauken und Kontrabässe entstand 1924, als sich Strawinsky von seiner russisch geprägten Frühphase losgesagt hatte. In Frankreich wandte er sich dem Neoklassizismus zu, komponierte in Anlehnung an barocke Modelle und schuf eine antiromantische, "sachliche" Musik, gemäß der Vision des Dichters Jean Cocteau: "Bald darf man auf ein Orchester hoffen ohne das Streicheln der Saiten. Ein reiches Instrumentarium aus Holzbläsern, Blechbläsern und Schlagzeug."

Fünf Jahre später – Strawinsky hatte den Solopart seines Klavier-Bläser-Konzertes oft selbst gespielt - komponierte er für eigene Auftritte ein neues Konzert, das Capriccio für Klavier und Orchester. Hier ist der Umgang mit historischen Modellen lockerer, der strenge Tonfall des frühen Konzerts weicht einer verbindlichen, streckenweise ausgelassenen Musik. Dann der Schock: In den 1950er-Jahren wandte sich Strawinsky der Zwölftonmusik zu, die man stets in absoluter Opposition zu seinem Schaffen gesehen hatte. Tatsächlich bewunderte Strawinsky Anton Webern - den Meister hermetischer Zwölftonwerke – ebenso, wie er sich für den damals jungen Pierre Boulez begeisterte. So schrieb Strawinsky sein drittes Klavierkonzert "Movements" Ende der 1950er-Jahre im Geiste der seriellen Musik – als Konzert im klassischen Sinne kann dieses kurze Werk denn auch nicht mehr bezeichnet werden. Es zeugt von der Wandlungsfähigkeit und Offenheit eines Künstlers, der in seiner rastlosen Kreativität einzig mit seinem zeitweiligen Weggefährten Pablo Picasso verglichen werden kann.