Mondflug

Die Nasa schickt Puppen ins All

06:27 Minuten
NASA Space Launch System Rakete mit dem Rollout des Orion-Raumfahrzeugs vor Abendhimmel.
Bei der Mission Artemis 1 soll die SLS-Rakete zunächst noch ohne Besatzung den Mond umrunden und dann zur Erde zurückkehren. © picture alliance / Zumapress / Aubrey Gemignani / U.S. Navy
Von Guido Meyer · 21.04.2022
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Die NASA will zurück zum Mond. Herzstück ist eine neue Rakete. Beim Jungfernflug sollen die Puppen Helga und Zohar an Bord sein. Mittels ihnen soll die Strahlenbelastung auf Körper gemessen werden.
Man könnte glauben, man befände sich in der Pathologie. In der Mitte des Raumes, da müssen wohl die beiden Leichen aufgebahrt sein. Unter einem großen beigen Tuch zeichnen sich die Umrisse von zwei menschlichen Körpern ab.
„Vor uns liegen nicht zwei Leichen“, sagt Thomas Berger. „Vor uns liegen zwei – Terminus technicus – anthropomorphe Phantome, also dem Menschen nachempfundene weibliche Phantome.“ Er entfernt das beige Tuch. Zwei Puppen kommen zum Vorschein: Kopf, Oberkörper und Teil eines Unterleibs, keine Beine. „Das eine Phantom, was Sie hier rechts sehen, ist die Helga. Das zweite Phantom, der Zwilling von der Helga, ist Zohar.“
Es ist also nicht die Pathologie, in der Helga und Zohar aufgebahrt sind. Die beiden haben überhaupt nie gelebt. Aber sie sollen Menschen darstellen – Menschen im Weltraum. „Wir sind hier am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, in der Abteilung Strahlenbiologie“, sagt Berger. „Diese Abteilung beschäftigt sich damit, herauszufinden, wie gefährlich die Weltraumstrahlung für Langzeitaufenthalte des Menschen im Weltraum ist.“
Testobjekte also, Versuchskaninchen – darum handelt es sich bei den beiden Phantomen. Helga und Zohar sind zusammengesetzt aus 38 Scheiben, aufgebaut aus Kunststoff, so Berger. „Dieser Kunststoff kann man in unterschiedlichen Dichten zusammensetzen.“ Fünf bis sechs unterschiedliche Kunststoffarten gebe es, „die dem Knochen entsprechen, der Gehirnmasse hier, dem Gewebe beziehungsweise auch der Lunge, um zu gewährleisten, dass die Wechselwirkung von einfallender Strahlung mit diesem Kunststoff der Wechselwirkung im menschlichen Gewebe entspricht“. Phantome also, die dem Aufbau des menschlichen Körpers nachempfunden sind.

Dummys, um das Strahlenrisiko festzustellen

Hinzu kommt die entsprechende Technik – denn die Puppen sind nicht nackt. „Das Grundlegende, was wir machen wollen, die Fragestellung ist: Wie groß ist das Strahlenrisiko im freien Weltraum?“ Deswegen wird Helga auch mit Tausenden Strahlungsmessgeräten ausgestattet, um „am Ende der Mission
 eine dreidimensionale Strahlenkarte von Helga darzustellen und daraus das Strahlenrisiko für einen Flug zum Mond festzustellen“. Denn Helga soll den Mond umkreisen. Dabei wird sie sich tiefer in den Weltraum hinauswagen, als sich je ein Mensch von der Erde entfernt hat.
Die kosmische Strahlung stellt hier ein Risiko dar. Damit ist ein Sammelsurium interstellarer Teilchen gemeint. „Galaktisch-kosmische Strahlung seien „wirklich hochenergetische Teilchen – Protonen, Heliumionen, Kohlenstoffionen bis zu Eisenionen“, so Berger. „Die werden im Rahmen von Supernovaexplosionen erzeugt, und eine Langzeitexposition zu dieser galaktisch-kosmischen Strahlung kann zu einer möglichen Erhöhung des Krebsrisikos führen.“ Denn bei künftigen Missionen zum Mond oder gar zum Mars werden sich die Raumfahrer Monate und Jahre im freien Weltall aufhalten – und damit direkt der kosmischen Strahlung ausgesetzt sein.
Diese galaktisch-kosmische Strahlung sei um einiges höher als auf der Internationalen Raumstation, sagt Berger. Denn die Raumstation fliege auf 400 Kilometern Höhe. „Die hat das Erdmagnetfeld, die diese galaktisch-kosmische Strahlung noch abschirmt. Wenn man sich aber außerhalb dieses Erdmagnetfelds aufhält, ist die Strahlungsumgebung bis um einen Faktor drei höher als auf der Internationalen Raumstation.“

Keine Daten für weibliche Körper

Die hohe Strahlenintensität trifft Astronauten genauso wie Astronautinnen. Ob Männer und Frauen darauf aber unterschiedlich reagieren, ist nicht ganz klar. Es fehlt an Daten. „Wir haben das Thema Frauen im Weltraum ja auch aufgegriffen, weil wir Frauen besser noch erforschen müssen in dem Zusammenhang und eben auch ein Unterschied einfach besteht zwischen Männer und Frauen.“ Denn von Männern sind diese Daten teilweise bekannt. Alle US-Amerikaner, die in den 60er- und 70er-Jahren zum Mond geflogen sind, waren Männer. Noch nie ist eine Astronautin weiter ins All geflogen als bis in die Erdumlaufbahn. Helga und Zohar simulieren Frauenkörper – einschließlich der Fortpflanzungsorgane und Brüste.
„Die sind beide genau gleich“, sagt Friederike Wütscher und zeigt auf die beiden leblosen Damen, die vor ihr auf der Bahre liegen. „Es sind eben Zwillinge, tatsächlich weibliche Zwillinge, von der Physiognomie her, und Zohar hat eine Strahlenschutzweste an, mehr nicht. Das ist der Unterschied.“ Das erklärt denn auch, warum die Kölner Strahlenbiologen sich für zwei Raumfahrerinnen entschieden haben.
„Weil sie vergleichbar sein müssen natürlich. Wir müssen zwei Frauen nehmen, damit sie genau gleich sind, und wir eben den Unterschied des Tragens der Weste darstellen können“, erläutert sie. Die schwarze, schwere Strahlenschutzweste soll einen der beiden Dummys – nämlich Zohar – vor den hochenergetischen Teilchen im Weltraum schützen. Dem anderen – Helga – bleiben nur die Wände des Raumschiffs als Schutz vor den Elektronen, Protonen und Ionen des Alls.

Das größte strahlenphysikalische Experiment

„Der Anteil der Frauen steigt ja im Weltraum, auch als Astronautinnen“, sagt Berger. „Der Grund, warum wir dieses Mal weibliche Phantome genommen haben, ist, dass Frauen, was die Strahlenempfindlichkeit anbelangt, ein höheres Risiko haben als Männer.“ Das hänge mit den höheren Inzidenzraten von Brustkrebs und anderen Krebsarten bei Frauen zusammen. „Deswegen haben wir uns dafür entschieden, dass wir zwei weibliche Phantome fliegen werden. Man könnte das dann auch auf Männer übertragen.“
Nach den Plänen der US-Raumfahrtbehörde NASA soll im Laufe dieses Jahrzehnts die erste Amerikanerin auf dem Mond stehen. Welche Strahlenbelastung auf ihren Körper einwirken, das sollen Helga und Zohar in den kommenden Wochen schon mal durchspielen. „In dem Sinne ist es das größte strahlenphysikalische Experiment, das jemals den Erdorbit verlassen hat.“

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