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Rumänien - 10 Jahre nach der Revolution

22. Dezember 1989. Sendepause im rumänischen Staatsfernsehen. Zuerst ein Flimmern auf dem Bildschirm, dann ein Testbild - und schließlich völlig unerwartete Szenen im Studio. Eine aufgeregte Gruppe ist zu sehen, - Revolutionäre wird man sie später nennen. Ihr Wortführer der Schauspieler Ion Karamitru:

Christiane Kirsch | 21.12.1999
    22. Dezember 1989. Sendepause im rumänischen Staatsfernsehen. Zuerst ein Flimmern auf dem Bildschirm, dann ein Testbild - und schließlich völlig unerwartete Szenen im Studio. Eine aufgeregte Gruppe ist zu sehen, - Revolutionäre wird man sie später nennen. Ihr Wortführer der Schauspieler Ion Karamitru:

    "Brüder! Dank Gottes Hilfe befinden wir uns in den Fernsehstudios. Es ist uns gelungen hierher zu kommen, beschützt von den Panzern der Armee, mit Stu-denten und den Menschen, die sie hier sehen können, begleitet von abertausend Rumänen und Angehörigen anderer Nationalitäten." Das Propaganda-Instrument Fernsehen in den Händen der Ceausescu-Gegner. Die Regime-Kritiker und Demonstranten live auf dem Bildschirm. Und der Held der Stunde: der Dichter Mircea Dinescu.

    "Bewahren Sie Ruhe. Wir erleben Momente, in denen Gott sein Anlitz den Rumänen zugewandt hat. Die Armee von Bukarest ist auf unserer Seite, der Diktator ist geflohen.Wir appellieren an das Innenministerium, an seine Sicherheitskräfte, die Waffen niederzulegen und in die Kasernen zurückzukehren. Das Volk ist mit uns!"

    Sieg, rufen sie dann. Wir haben gesiegt. - Tausende von jenen, die damals auf der Straße waren für die Demokratie und gegen die Diktatur, haben sich dies im Nachhinein bescheinigen lassen. Wurden Revolutionäre mit Diplom. So wie Giorge Vasilescu, der eine kleine, in Plastik eingeschweißte Karte aus der Brieftasche zieht und sie stolz prä-sentiert:

    "Das ist das Zertifikat des Kämpfers für den Sieg der rumäni-schen Revolution im Dezember 1989, Vasilescu Giorge, geboren 22.4.1950 in Bukarest."

    Auf der Rückseite dieses Zertifikats sind dann alle Privilegien für den anerkannten Revolutionär aufgeführt: Er muß -beispielsweise- keine Lohnsteuer zahlen. Kann gratis fahren mit Bus und Metro, hat 12 Freifahrten 1. Klasse mit der Bahn, erhält kostenlos eine Grabstätte und zahlt für Immo-bilien oder Grund und Boden keine Steuer. Und das sind nur einige der aufgelisteten verbrieften Privilegien. Nicht alle sind in der Praxis tatsächlich durchsetzbar,- dennoch haben sie und der Mißbrauch, der politisch mit Revolutionsdiplomen und ihrer Verteilung an Mitläufer getrieben wurde, in Rumänien immer wieder für Un-ruhe gesorgt. Während die einen finanziell als vermeintliche Revolutionäre profitierten, wurden jene, die bis heute am meisten unter den Folgen der sogenannten Revolution leiden, alleine gelassen und an den Rand gedrängt: Es sind die Hinterbliebenen der über 1000 Todesopfer der blutigen Unruhen vom Dezember ´89:

    "Mein Sohn ist am 23. Dezember erschossen worden, mitten ins Herz - sicherlich von einem Scharfschützen. An einem sonnigen und schönen Tag wie heute. Er war 20 Jahre alt. Hier, hinter dem Zaun dieses Friedhofes, wo mein Sohn begraben liegt, ist der städtische Friedhof und genau an der Mauer ist das Grab meiner Frau und meiner Eltern, die ganz bestimmt aus Kummer über seinen Tod gestorben sind, die das nicht verkraften konnten."

    Marin Mladinowitsch ist groß und stattlich und wirkt dennoch völlig gebrochen. Die Revolution hat ihn unbeschreiblich einsam gemacht. Geblieben ist ihm einzig der Verein der Opfer der Revolution. Der residiert in einer schäbigen, vom Staat gemieteten Holzbaracke gleich neben dem Helden-Friedhof:

    "Wir hier, dieser Verein, haben uns vorgenommen, die Schuldigen, die Verantwortlichen für dieses Leid, für diese Toten herauszufinden. Aber es sind zehn Jahre vergangen und wie wir sehen, ist es uns nicht gelungen. Solange wir leben, werden wir wahrscheinlich nichts erfahren, denn es gibt Interessen -sehr hohe Interessen- die die Wahrheitsfindung über die Revolution vereiteln."

    Diese Erfahrung hat auch der ermittelnde Staatsanwalt Dan Voinea gemacht. Er war vor 10 Jahren übrigens auch Ankläger im Prozess gegen Ceausescu. Der sei als Oberbefehlshaber sicher auch schuldig gewesen,- meint Voinea, aber doch nur bis zum 22.Dezember, denn bis zu diesem Tag habe es den totalitären Staat mit zentraler Befehlsgewalt gegeben.

    "Nach dem 22.Dezember 89 kam es zu einer paradoxen Situation. Obwohl auf der Strasse nicht mehr gegen die einstigen Machthaber demonstriert wurde, ging man repressiv vor. Es wurde geschossen. Dabei war Ceausescu politisch längst kaltgestellt. Angesichts dessen müssen wir nach den Verantwortlichen für die Morde suchen und zwar in den Reihen jener, die damals die Befehlsgewalt in einigen Einheiten übernommen hatten. Und das ist etwas heikler. Das kann Ärger geben, weil sich die damaligen Befehlshaber inzwischen in hohen Positionen befinden. Wenn wir sie heute zur Verantwortung ziehen wollen oder Erklärungen von ihnen fordern, beschuldigen sie uns -die Vertreter der Justiz- wir würden mit großer Verspätung vorgehen. Fragen uns, warum wir sie überhaupt zu Vernehmungen herbeizitieren. Und mit solchen Vorwürfen wollen sie uns einschüchtern."

    Einige Prozesse und auch umstrittene Verurteilungen hat es inzwischen zwar gegeben,- von einer umfassenden Aufarbeitung aber konnte bislang keine Rede sein. Jetzt ist diese erneut versprochen und der Staatsanwalt Dan Voinea wirkt, als wolle er gegen alle Widerstände ernst machen. Der renommierte rumänische Publizist Horia Roman Patapievici bringt die Probleme der schwierigen Aufarbeitung so auf den Punkt:

    "Jene Menschen, -sagt er- die während der Dezemberereignisse die Täter waren, sind auch heute noch sehr mächtig in Rumänien."

    Bis zur Abwahl der Wende-Kommunisten unter Ion Iliescu im Jahr 1996 lag das Interesse der politisch Verantwortlichen offensichtlich eher in einer Verschleierung als einer Aufklärung. Und Ion Iliescu galt und gilt als eine zentrale Figur. Er hatte schon kurz nach der Flucht des Diktatorenpaares bereits zusammen mit anderen KP-Funktionären im Fernsehen die Machtübernahme einer "Front zur Nationalen Rettung" verkündet. Diese Front wurde in halbes Jahr später überwältigender Sieger der ersten freien Wahlen in Rumänien. Und Iliescu: er blieb sechs Jahre lang Staatspräsident. Bis heute ist nicht völlig geklärt, was damals im Dezember ´89 passiert ist. Für den Publizisten Patapievici steht fest: es geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Zum einen gab es ein Komplott von Ceausescu-Gegnern in den Reihen der Kommunistischen Partei und es gab einen Volksaufstand, ausgelöst durch die Revolte gegen die Verschleppung des regimekritischen Pfarrers Laszlo Tökes und den Fall des Eisernen Vorhangs in Osteuropa:

    "Und dann verbanden sich diese beiden Dinge: Als die Revolte der Bevölkerung ausgebrochen war, entschied auch das interne Komplott der Securitate und der Parteimitglieder loszuschlagen. Und so wirkten die beiden Bewegungen dann zusammen."

    Ceausescus Ende kam an Weihnachten. Am 25. Dezember 1989 verkündete das Staatsfernsehen die Hinrichtung des Diktatorenpaares Elena und Nicolaie.

    Im Tod hat man die beiden ansonsten Unzertrennlichen getrennt. Zwar sind beide hier auf dem Ghencea-Friedhof in Bukarest bestattet,- gleich weit entfernt von der Friedhofskappelle und ihrem Glockenläuten, - doch Elenas schmuckloses Grab liegt rechts vom Hauptdurchgang, links davon - das Grab des Diktators: Ein Kreuz mit seinem Namen und eine schwarze schmiedeeiserne Einfassung. Davor eine kleine Gruppe alter Leute. Rentner, die Blumen und Kerzen ans Grab bringen und bitter mit der neuen Zeit abrechnen:

    Von den niedrigen Renten könne man sich keine Fleisch mehr kaufen, schimpfen sie, auch keine Medikamente. Es gebe zu wenig Wohnungen und junge Leute würden keinen Arbeitsplatz mehr finden. Einer am Grab des Diktators, einer großer gutgekleideter Mittvierziger, überragt die Menge der kleinen, gebeugten, arm aussehenden Rentner.

    "Ich stehe hier am Grab Ceausescus, dem ersten Präsidenten Rumäniens. Für jeden Christen ist es eine Pflicht jene zu lieben die aufbauen und nicht jene, die zerstören. Deshalb stehe ich hier an diesem Grab."

    Dass die Zeit der Diktatur im Rumänien von heute häufig verklärt wird, dass es gar regelrechte Nostalgiker gibt, dies ist angesichts der sozialen Schieflage im Land kein Wunder: Mehr als 30% der Rumänen leben unterhalb der Armutsgrenze, das Netto-Durchschnittseinkommen liegt bei knapp 200 Mark und das bei ständig steigenden Preisen. Die Kaufkraft ist im Land seit 1990 um fast 40% zurückgegangen. Den Rumänen geht es -nicht nur statistisch gesehen - schlecht. Dass sie nun alten Zeiten nachweinen, hat allerdings mit politischer Sehnsucht nach kommunistischen Zeiten nichts zu tun, sagt der Publizist Horia Roman Patapievici.

    "Also ich betone: die Nostalgie hat keinen ideologischen Inhalt. Sie geht vielmehr von der Unzufriedenheit mit unserer derzeitigen wirtschaftlichen Situation aus. Im Gegenzug dazu wird die Vergangenheit idyllisch verklärt und an ihrem Beispiel wird die Gegenwart gemessen und verurteilt."

    Patapievici gibt zu, dass auch er selbst anfangs viel zu schnell viel zu viel erwartet hat.

    "Damals habe ich gedacht, der Übergang zu einer liberalen, demokratischen Gesellschaft und zur Marktwirtschaft kann von heute auf morgen geschehen. Heute weiß ich, dass freie Marktwirtschaft nicht nur auf Gesetzen basiert, die den freien Warenaustausch erlauben. Es gehört auch ein bestimmtes Verhalten, eine gewisse Mentalität dazu, die der Kommunismus zerstört hat. Eine ernstzunehmende Gesellschaft steht und fällt mit einem bestimmten Menschentyp. Der homo sovieticus eignet sich nicht für eine liberale Gesellschaft."

    "Die Gründe dafür sehe ich in den Lebensmittelschlangen. Es gab richtige Kämpfe um ein Stück Fleisch etc. Wenn man das jahrelang macht, das prägt einen. Und vielleicht sollte man, wenn man das weiss, den Rumänen einiges verzeihen." ..erklärt Tudor Oltean, erfolgreicher Besitzer des Nobel-Restaurants "La Premiera" in Bukarest.

    Ein alter Herr am Klavier, -die Einrichtung im "La Premiera" edel und verspielt: Vornehm gedeckte Tische, alte ungewöhnliche Spiegel, Bilder und Fotografien an den Wänden, Kerzen überall und eine vorzügliche Küche empfehlen das Restaurant in internationalen Reiseführern als das vermutlich beste der Hauptstadt. Das "La Premiera" zählt zur neuen bunten Glitzerwelt in Rumänien, die zwar von vielen bestaunt,- von den wenigsten aber bezahlt werden kann. Und so tafeln im "La Premiera" meist ausländische Diplomaten, Geschäftsleuteund Journalisten, sowie einheimische Unternehmer und Politiker. Der Besitzer des Restaurants, Dr. Tudor Oltean, ist eigentlich Zahnarzt. Viele Jahre schon lebte er in München, bevor die Revolution in der Heimat ihn nach Hause zog:

    " Ich dachte, wenn man den Deckel vom Kochtopf nimmt, dann ist das wie ein Vulkan, jetzt beginnt sich was zu entwickeln. Und ich war sicher, wenn ich etwas anfangen wollte in meinem Geburtsland, dann musste ich von Anfang an dabeisein."

    Er war mit von der Partie, als das einstige Volkseigentum unters Volk gebracht wurde. Auch die Kantine des Nationaltheaters,- das heutige "La Premiera":

    "Es war eine Versteigerung... und ich hab das meiste geboten und dann hab ich auch gewonnen. Es ist sehr schnell gegangen, ohne irgendwelche Extragelder links und rechts zu bezahlen."

    Dass er mit so guten Erfahrungen einfach Glück hatte und ziemlich alleine dasteht, das weiss Dr. Oltean auch durch Gespräche mit Gästen seines Restaurants, mit ausländischen Unternehmern, die ihm Einzelheiten erzählten über ihre Investitionsversuche.

    "Ich muss leider auch sagen: oft habe gehört, ich war da und dort, in dem Amt und ich will investieren - und mehr oder weniger hat man die Hand ausgestreckt, um sie mit Geld zu füllen. Und das macht der deutsche Geschäftsmann nicht."

    Die Korruption als Hindernis: das Problem ist erkannt, aber noch nicht im Griff. Laut einer Umfrage im Herbst halten immerhin 71% der Rumänen die Korruption für das Haupthindernis auf dem Weg zum Wohlstand der Landes. Und mehr als 80% sind überzeugt, dass die Privatisierung der rumänischen Wirtschaft auf unredliche Weise geschieht. Der Ruf nach staatlichen Subventionen für unrentable Betriebe und nach staatlicher Kontrolle der Löhne wird immer lauter.

    "Die Bevölkerung hat den Kapitalismus und die Marktwirtschaft satt und wünscht sich Sozialismus und zentralisierte Wirtschaft" - bilanzierte kürzlich die große rumänische Tageszeitung "Adevarul". -Und Restaurantbesitzer Oltean muss nicht lange nachdenken, um zu erklären, was bei den Wirtschaftsreform oder Reformversuchen in Rumänien schief lief:

    "Die Politiker, die glauben alles besser zu wissen als andere und insbesondere als die, die das schon gemacht haben. Und der größte Fehler ist, dass sie nicht richtig Deutschland kennen. Es wäre kein Problem gewesen, 10 bis 15 hochrangige Experten der Privatisierung hierher zu locken - durch gutes Gehalt, Wissen kostet. Und die hätten hierher kommen sollen und die Rumänen müssten das machen, was die sagen. Und nicht dazwischenfunken."

    Und dann erzählt Oltean, der kurzzeitig Protokollchef der derzeitigen Mitte-Rechts-Regierung war, was er den Herren Politikern in Rumänien immer wieder ins Stammbuch geschrieben hat:

    "Wenn ihr in EU und NATO wollt, dann müsst ihr euch an die anpassen und nicht die an euch. Weil die sind die Mehrheit, die haben die Power und dann müssen sie sich an die halten- und nicht umgekehrt."

    EU und NATO: Zauberworte und hehre Ziele in Rumänien, das immer wieder betont, zu Europa, zum Westen zu gehören.- Zu nah hat man über Jahrzehnte hinweg im Einflussbereich Moskaus gelebt. Dass die EU nun offiziell mit Rumänien Beitrittsgespräche führen will, empfindet die Regierung als den lange erwarten Schritt nach vorn. 10 Jahre nach dem Sturz Ceausescus bilanziert der Publizist Patapievici:

    "Wenn Sie mich 1990 oder 91 gefragt hätten, hätte ich gesagt: Ja, meine Hoffnungen wurden enttäuscht. Heute -1999- sieht meine Antwort anders aus: Meine Hoffnungen waren nicht angemessen, weil ich zu wenig wusste von der Macht des Kommunismus und den verheerenden Wirkungen, die er in meinem Land hinterlassen hatte."

    "Auf der Habenseite ist, dass ich ihnen jetzt sage, was ich denke. Dann die Reisefreiheit sicherlich. Für die Bevölkerung eine Reisefreiheit ohne Freiheit, erstens wegen Visumzwang und zweitens wegen Geld. Pressefreiheit und die bessere Versorgung der Bevölkerung. Das wäre die Habenseite. Die andere Seite ist die Korruption. Gelder, die aus dem Ausland kommen und keiner weiss, wo sie geblieben sind. Und die unfähigen Politiker, die auf Posten sind, mit denen sie nichts zu tun haben."

    Positiv die Bilanz des Chemielaboranten Giorge Vasilescu, der im Dezember 89 mitdemonstrierte gegen den Diktator:

    "Das Wichtigste ist, dass wir frei sind und dass meine Kinder nun in einer freien Welt leben und aufwachsen können. Und das ist meiner Meinung nach unsere größte Leistung, dass wir jetzt frei sind. Selbst wenn es uns materiell schlecht geht, sehr schlecht sogar, sage ich immer: ein bisschen Hunger kann man aushalten, aber wenn Du sonst noch eingekerkert bist, keine Freiheit hast, dann kannst Du es gar nicht aushalten. Vielleicht spielt mein Sohn bei dieser Bilanz eine besondere Rolle, denn er ist jetzt 9 Jahre alt. Und als ich damals auf die Straße ging, da war meine Frau schwanger und ich hab noch gedacht, dass sich da für ihn etwas zum Besseren hin verändern soll. Er ist dann im April ´90 geboren, praktisch schon in einem demokratischeren Regime."