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"Ich habe Angst, dass das alles zerstört wird"

In Nordrhein-Westfalen tief unter der Erde vermutet der Mineralölkonzern ExxonMobil das zweitgrößte Erdgasfeld Europas. Das Problem bei der Erschließung: Chemikalien könnten den Boden vergiften. Dagegen regt sich Widerstand.

Von Friederike Schulz | 07.07.2011
    Drensteinfurt ist ein beschauliches Städtchen im Münsterland, ein beliebtes Ausflugsziel für Radfahrer. Auf den Wiesen wird Heu geerntet, Pferde grasen auf der Koppel. Doch bald könnte es mit der Idylle vorbei sein: Wenn Bohrtürme die Landschaft verschandeln und Chemikalien den Boden vergiften, Letzteres fürchten Umweltschützer. Denn tief unter der Erde vermutet der Mineralölkonzern ExxonMobil das zweitgrößte Erdgasfeld Europas. Und hat sich schon mal Erkundungsrechte gesichert. Das Problem: Das Erdgas ist tief unter der Erde in Schiefer- und Kohleschichten gebunden. Das bedeutet: Es lässt sich wahrscheinlich nur durch "hydraulic fracturing" oder "Fracking" fördern: Um das Gestein aufzubrechen, wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und zum Teil giftigen Chemikalien in die Erde gepumpt. Dagegen regt sich Widerstand. Im ganzen Münsterland haben sich Bürgerinitiativen gegründet. In Drensteinfurt organisiert Stefan Henrichs den Protest.

    "Das Wichtigste ist für mich der Schutz des Trinkwassers, ganz wichtig ist auch der Umweltschutz. Ich bin ganz bewusst hier in den ländlichen Bereich gezogen, weil ich es liebe, hier mit meinem Hund und meiner Familie spazieren zu gehen, joggen zu gehen, Sport zu treiben an der frischen Luft, weil ich die Ruhe und das Münsterland sehr schätze. Ich habe Angst, dass das alles zerstört wird."

    Seit die Bürgerinitiativen Demonstrationen und Diskussionsrunden mit Politikern und Wissenschaftlern organisieren, hat ExxonMobil eine aufwendige Gegenkampagne gestartet. Auf einer Internetseite hat der Mineralölkonzern eine lange Liste mit häufig gestellten Fragen inklusive Antworten veröffentlicht. Dort heißt es beispielsweise:

    "Welche Risiken sehen Sie bei der Frac-Technologie?

    Wir sehen keine Risiken, die nicht beherrschbar sind. Denn sonst wäre es unverantwortlich, dieses Verfahren anzuwenden."


    Vor einigen Monaten hat der Konzern zudem einen Expertenkreis mit namhaften Wissenschaftlern aus ganz Deutschland gegründet, den Professor Dietrich Borchardt vom Helmholtz Zentrum für Umweltforschung leitet. Dieses Gremium soll ein Gutachten zur Sicherheit und Umweltverträglichkeit der geplanten Erdgasförderung erstellen. Jeder Arbeitsschritt – so lautet ein Versprechen - soll veröffentlicht werden. Was bei der Kampagne von ExxonMobil stutzig macht, ist die Akribie, mit der vorgegangen wird. Der Konzern verfolgt eine einfache Strategie: Er greift die Argumente seiner Kritiker auf, zeigt Verständnis – und nimmt den Gegnern so den Wind aus den Segeln. Unternehmenssprecher Norbert Stahlhut:

    "Wenn ich Bilder sehe aus den USA von brennenden Wasserhähnen, dann kann ich diese Sorge durchaus nachvollziehen. Ich wohne auch in Niedersachsen, ich habe auch Familie, und wir wollen alle letztendlich sauberes Wasser trinken. Insofern sind auch die Interessen, die hier bestehen, durchaus gleichgerichtet. Auch als Unternehmen haben wir kein Interesse daran, nachhaltig Grund- oder Trinkwasser führende Schichten zu kontaminieren."

    Wer an Norbert Stahlhut eine Interviewanfrage stellt, muss Geduld und Hartnäckigkeit mitbringen. Eine Mitarbeiterin der Pressestelle will vorab nicht nur die Fragen wissen – sondern erkundigt sich auch nach den Namen der anderen Gesprächspartner, die im Bericht auch zu Wort kommen sollen. Bis das Interview mit dem Sprecher von ExxonMobil zustande kam, vergingen drei Wochen, es waren mehrere Telefonate und fünf E-Mails nötig. Paul Berlage ist der Bürgermeister von Drensteinfurt im Münsterland. Er bekam im vergangenen Herbst Besuch von ExxonMobil:

    "Zuerst habe ich eigentlich gedacht: Das könnte eine Chance für die Region sein für Arbeitsplätze und möglicherweise sogar ein regionales Energiekonzept. Natürlich auch für die Stadt, für Gewerbesteuern. Das waren so meine ersten Gedanken, denn mit Gasförderung habe ich eigentlich immer ein völlig unproblematisches und auch umweltfreundliches Verfahren verbunden. Die Gefahren habe ich so im ersten Moment nicht gesehen. Ich bin mir nicht sicher, ob das Wort ‚Fracking' mal gefallen ist oder chemische Behandlung, aber über das Gefahrenpotenzial ist nicht gesprochen worden."

    Für den Bürgermeister besonders ärgerlich: Er wird weder gefragt noch darf er ein Wörtchen mitreden – wenn Probebohrungen und möglicherweise Fracking in seinem Ort genehmigt werden. Denn das Bergrecht, ein Bundesgesetz, das auch die Suche nach Erdgas regelt, sieht bisher keine Beteiligung der Kommune vor. Genauso wenig wie eine Überprüfung des Vorhabens auf Umweltverträglichkeit. Zuständig für die Erteilung sogenannter "Aufsuchungserlaubnisse" ist in Nordrhein-Westfalen die Bezirksregierung Arnsberg. Und die fand vor ein paar Jahren nichts dabei, Exxon und andere Unternehmen die Suche nach Erdgas zu erlauben. Wohlgemerkt die Suche, nicht die Förderung. Volker Milk ist der Krisen-Kommunikator der Bezirksregierung. Er soll aufklären und den Schaden begrenzen, nachdem es in den vergangenen Monaten heftige Kritik am Vorgehen der Behörde gab.

    ""Das Problem ist, dass es hierzu eigentlich keine Veröffentlichungspflichten gibt. Das Bundesberggesetz sieht dieses bisher nicht vor, und so ist leider der Eindruck entstanden, dass dieses quasi hinter verschlossenen Türen im Hinterzimmer entschieden worden ist."'"

    In Düsseldorf verhält sich die rot-grüne Landesregierung bislang auffallend ruhig. Schließlich wäre Deutschland sein Energieproblem auf einen Schlag los, wenn im Münsterland das wohl zweitgrößte Erdgasfeld Europas angebohrt werden könnte. Nach dem massiven Protest der Bürgerinitiativen kündigte Wirtschaftsminister Voigtsberger immerhin an, bis Ende des Jahres ein Gutachten zu den Risiken des Fracking zu erstellen. Seither ist fast ein halbes Jahr vergangen, das versprochene Gutachten ist aber immer noch nicht in Auftrag gegeben.