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"Die Abkopplung vom Volke beobachte ich doch mit einiger Sorge"

"In Wahrheit interessiere ich mich natürlich für Politik", sagt Beatrice von Weizsäcker, Journalistin und Autorin des Buches "Warum ich mich Nicht für Politik interessiere ... ". Sie stellt weniger eine Politik-, sondern eine Parteienverdrossenheit fest.

Beatrice von Weizsäcker im Gespräch mit Stefan Heinlein | 10.08.2009
    Stefan Heinlein: Steuersenkungen trotz Wirtschaftskrise, vier Millionen neue Arbeitsplätze in zehn Jahren, in diesen Wahlkampfzeiten geizen die Parteien nicht mit vollmundigen Versprechungen. Doch viele Bürger sind müde geworden, den Ankündigungen ihrer Volksvertreter zu glauben. Eine stetig steigende Zahl verweigert sich dem Urnengang, hat genug vom ewig gleichen Gezänk der Parteien. Nur wenige mischen sich aktiv ein. Wahlmüdigkeit und Politikverdrossenheit sind weit verbreitet. Dabei lebt eine Demokratie vom Engagement der Bürger. Die Münchener Autorin Beatrice von Weizsäcker, die Tochter des ehemaligen Bundespräsidenten, hat darüber ein Buch geschrieben mit dem Titel "Warum ich mich Nicht für Politik interessiere ... ". Es erscheint in dieser Woche im Gustav-Lübbe-Verlag. Guten Morgen, Frau von Weizsäcker.

    Beatrice von Weizsäcker: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Selten war es so einfach, eine Eingangsfrage zu stellen, Frau von Weizsäcker. Warum interessieren Sie sich nicht für Politik?

    von Weizsäcker: Um das zu beantworten, würde ich natürlich am liebsten haben, dass die Menschen das Buch lesen. Wenn Sie das Buch vor sich haben werden Sie sehen, dass nach dem Titel drei Punkte sind, also "Warum ich mich Nicht für Politik interessiere ... !". Das deutet schon so ein bisschen die Ironie an, die der Titel haben soll. In Wahrheit interessiere ich mich natürlich für Politik.

    Heinlein: Ist Ihr Buch also kein Beitrag zur Politikverdrossenheit?

    von Weizsäcker: Ich hoffe sehr im Gegenteil, denn ich unterscheide immer gerne zwischen dem Wort "Politikverdrossenheit" und dem Wort "Parteienverdrossenheit". Parteienverdrossenheit beobachte ich sehr. Das beschreibe ich auch in meinem Buch sehr. Politikverdrossenheit weniger, wenn man sich überlegt, was das Wort Politik bedeutet. Wenn man Politik mit dem Begriff "Parteienpolitik" gleichsetzt, dann ist auch die Politikverdrossenheit groß. Wenn man den Politikbegriff dagegen weiter nimmt, also auch das eigene Umfeld zum Beispiel einbezieht, dann kann ich Politikverdrossenheit eigentlich kaum erkennen.

    Heinlein: Aber nun leben wir einmal in einer repräsentativen Demokratie und dazu gehören die Parteien.

    von Weizsäcker: Das ist selbstverständlich und ich finde auch, dass die Parteien eine außerordentlich wichtige, ebenso wie sehr schwierige Aufgabe bekommen haben, nämlich die Politik zu bündeln und letztlich, nachdem die Wähler ihr Votum abgegeben haben, auch zu gestalten. Das ist sehr schwierig. Gleichwohl muss das ja nicht bedeuten, dass man nun sagt, es ist so, das Grundgesetz schreibt es vor, das ist das Wesen der Demokratie, also reden wir nicht darüber, ob es gut gestaltet wird oder nicht.

    Heinlein: Haben sich die Volksparteien Ihrer Meinung nach vom Volk abgekoppelt?

    von Weizsäcker: Ich finde, dass die Volksparteien sich etwas vom Volk abgekoppelt haben. Ja, das finde ich in der Tat, denn nun müssen wir auch sagen, gerade sind Wahlkampfzeiten und da wird das Wort Politik, da werden die Äußerungen immer sehr plakativ. Das interessiert viele Leute dann auch nicht. Aber die Abkopplung vom Volke beobachte ich doch mit einiger Sorge durch niedrigere Wahlbeteiligung, ein scheinbar geringeres Interesse. Ganz offensichtlich verlieren ja die Parteien auch Mitglieder. Das empfinde ich schon als kleine Abkopplung.

    Heinlein: Stehen die parteipolitischen Interessen - auch darüber schreiben Sie in Ihrem Buch - oftmals über dem Gemeinwohl? Ist das auch ein Grund für die Politikverdrossenheit vieler Bürger?

    von Weizsäcker: Es wirkt auf jeden Fall so. Es wirkt immer wieder so, dass das Interesse der Parteien auch dem Gemeinwohl dient, aber das, was sich äußert, dann doch immer wieder sehr stark den Eindruck erweckt, dass es eigentlich um die Parteien selbst geht, um die Parteien und darum, dass sie mit ihren Worten dann auch an der Macht bleiben. Ja, den Eindruck habe ich.

    Heinlein: Frau von Weizsäcker, Sie schreiben in Ihrem Buch, in den Parteien hat nur Erfolg, wer sich den Regeln der Parteien auch beugt. Welche Regeln meinen Sie?

    von Weizsäcker: Ich meine die Regeln, die die Parteien in vielerlei Hinsicht vorschreiben. Ich glaube, es ist schwierig, als Parteineuling in eine Partei einzutreten und gleich die Dinge entscheidend mitbestimmen zu können, die einem selbst am Herzen liegen. Ich glaube, dass das sehr schwer ist. Ich glaube in der Tat, dass es, wenn man in die Partei kommt, wichtig ist, die Parteispitze gleich so zu kennen, dass man von der Parteispitze auch wahrgenommen und gehört wird. Das glaube ich in der Tat.

    Heinlein: Sind Politiker wie Philipp Mißfelder oder wie Matthias Wissmann, die Sie in Ihrem Buch erwähnen, für Sie abschreckende Beispiele, wie Politikkarrieren heutzutage in Deutschland gemacht werden?

    von Weizsäcker: Abschreckend würde ich nicht sagen, denn ich glaube, dass beide doch sehr ernsthaft ihren Weg gegangen sind oder gehen. Ich finde nur überzeugend, wenn jemand neben der Parteipolitik sich auch für Sachthemen interessiert und auch sachorientiert gearbeitet hat, im besten Fall einen bürgerlichen Beruf ausübt oder ausgeübt hat, also sozusagen ein bisschen aus dem Leben auch kommt, wo man das Gefühl hat, da ist jemand, dem geht es um ein bestimmtes Thema, und nicht, dem geht es darum, Politiker zu werden.

    Heinlein: Also viele Abgeordnete sind in Ihren Augen keine Volksvertreter, sondern Parteienvertreter?

    von Weizsäcker: In der Tat: so wirkt es, ja.

    Heinlein: Ist das das Phänomen, die da oben interessiert überhaupt nicht, was wir hier unten denken und wollen?

    von Weizsäcker: Die Folge des Phänomens ist jedenfalls umgekehrt, dass die da unten denken, die da oben machen sowieso was sie wollen.

    Heinlein: Ein Leben ohne Politik war in Ihrem Elternhaus wohl undenkbar, Frau von Weizsäcker. Wie haben Sie denn Politik erlebt als Kind und als Jugendliche in Ihrem Elternhaus?

    von Weizsäcker: Politik als Kind und Jugendliche hat in meinem Elternhaus eine kleine Rolle nur gespielt, weil ich bereits zum Studium ausgezogen war, als mein Vater bekannt wurde. Als mein Vater Regierender Bürgermeister wurde und später dann Bundespräsident, war ich längst im Studium: in meinem Jurastudium und während der Bundespräsidentenzeit in meinem Referendariat. Insofern sind wir Kinder sozusagen ganz normal aufgewachsen in einer normalen Familie, ohne dass das Thema Politik eine besondere Rolle gespielt hat. Wenn wir unseren Vater nach Themen gefragt haben, hat er immer geantwortet und dann haben wir darüber gesprochen, aber sonst ging es zu Hause um Themen, um die es wahrscheinlich in allen Familien geht: um die Schule, um den Sport, um die Freunde, um Kummer, um Freude, um diese Dinge.

    Heinlein: Ist Ihr Vater dennoch wie er Politik gelebt hat, wie er gehandelt hat, dann als Bürgermeister und später als Bundespräsident, ein Argument, sich doch für Politik zu interessieren?

    von Weizsäcker: Unbedingt! - Unbedingt! - Ich finde, dass mein Vater es sehr gut, überzeugend gemacht hat, weil er immer an Themen orientiert war. Das kann man darin erkennen: als er Kirchentagspräsident war, hat er sich elementar eingesetzt für die deutsche Ost-Politik. Er hat die Ost-Denkschrift der EKD mitgeschrieben. Und dann hat er das Bundestagsmandat angenommen und hat dann im Bundestag eben diese Themen verfolgt. Sie sehen also, er ist von den Themen herangegangen und ist nicht in die Politik gegangen - so habe ich es wahrgenommen -, um nun persönliche Macht zu bekommen, sondern um für bestimmte Themen einzutreten, und das, finde ich, hat er sehr gut gemacht und ist ihm auch, glaube ich, gut gelungen.

    Heinlein: Sind Merkel, Steinmeier oder Westerwelle auch Politiker, die sich für Themen interessieren?

    von Weizsäcker: Ganz bestimmt! Das müssen sie ja, sonst können sie ihre Politik ja gar nicht mit gutem Wissen vertreten. Sie müssen themenorientiert sein, aber dass sie natürlich parteienorientiert sind, das liegt nun wirklich auf der Hand, denn sie sind verantwortlich für ihre Parteien.

    Heinlein: Gehen Sie zur Wahl im Herbst?

    von Weizsäcker: Selbstverständlich und ich hoffe, dass möglichst viele, wenn nicht alle zur Wahl gehen.

    Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk die Autorin Beatrice von Weizsäcker über ihr Buch "Warum ich mich Nicht für Politik interessiere ... ". Es erscheint in dieser Woche im Gustav-Lübbe-Verlag. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach München.

    von Weizsäcker: Vielen Dank für das Gespräch. Auf Wiederhören!