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Nordkorea
"Gnadenloseste Diktatur unserer Zeit"

In Ostasien steht der Weltfrieden auf dem Spiel. Nordkorea könnte bald über Atomraketen verfügen, die bis nach Nordamerika reichen. US-Präsident Donald Trump will das unbedingt verhindern – notfalls mit militärischen Mitteln. Die Hintergründe dieses Konflikts analysiert Matthias Naß in seinem Buch "Countdown in Korea".

Von Martin Fritz | 27.11.2017
    Der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un inspiziert angeblich den Sprengkopf einer Wasserstoffbombe. Das Foto wurde von der Regierung in Pjöngjang verbreitet.
    Der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un inspiziert angeblich den Sprengkopf einer Wasserstoffbombe. Das Foto wurde von der Regierung in Pjöngjang verbreitet. (dpa / picture-alliance / KCNA)
    In Korea tickt die Uhr: Zwischen der Supermacht USA und ihrem Herausforderer Nordkorea droht eine Konfrontation bis hin zum Krieg, womöglich mit Atomwaffen. Daher ist das Bild vom "Countdown" im Titel des Buches gut gewählt: Nur noch maximal zwei bis drei Jahre braucht Nordkorea nach Ansicht von Analysten für einsatzfähige Langstreckenraketen mit Atomsprengköpfen.
    Dadurch würde sich das militärische Gleichgewicht in Ostasien zuungunsten der USA verschieben. Bisher lagen nur die US-Verbündeten Südkorea und Japan in Reichweite von Nordkoreas Waffen. Künftig wären auch die USA direkt bedroht. Dies will Präsident Trump unbedingt verhindern, notfalls mit militärischen Mitteln. Doch birgt dies die Gefahr eines zweiten Korea-Krieges mit allen seinen katastrophalen Folgen. Dieses Dilemma stelle die USA vor schwierige Fragen, analysiert Naß:
    "Müssen wir also mit der nordkoreanischen Bombe leben? Müssen wir Nordkorea als neunten Atomstaat [...] akzeptieren? Gilt auch für Nordkorea die Logik des Kalten Krieges: Abschreckung und Eindämmung? Oder muss jetzt gehandelt werden, da der Bestand Nordkoreas an Nuklearwaffen noch gering ist und atomar bestückte Raketen die USA noch nicht erreichen können?"
    Das Buch beantwortet diese Fragen nicht, aber es gibt dem Leser eine Fülle von Informationen an die Hand, um den seit Langem schwelenden Konflikt zwischen Nordkorea und den USA zu verstehen.
    National-Stalinismus
    Auf knapp zweihundert Seiten untersucht Naß ausführlich alle Aspekte der komplexen Beziehungen zwischen Nordkorea und den USA - einschließlich ihrer geschichtlichen Dimension und einer intensiven Betrachtung von Südkorea als Kontrastprogramm zum Norden. Schnell wird dem Leser klar, dass der heutige Kim-Herrscher und sein Vater eben nicht "Irre mit der Bombe" sind, wie sogar "Der Spiegel" einmal titelte. Stattdessen erläutert Naß:
    "Fragt man sich, was [Kim] antreibt, dann landet man bei zwei Erklärungen: Da ist einmal die [...] Annahme, der Besitz von Atomwaffen werde ihn vollends unangreifbar machen, werde ihn vor dem Schicksal Saddam Husseins und Muammar al-Gaddafis bewahren. Da ist zum anderen die ständige Beschwörung einer Bedrohung von außen, um die Unterdrückung im Inneren zu rechtfertigen."
    Der Schwerpunkt des Buches liegt auf Nordkoreas Griff nach der Bombe und dem Charakter des Kim-Regimes. Dabei kann der Autor, im Hauptberuf internationaler Korrespondent der Wochenzeitung "Die Zeit", auf seine zahlreichen Gespräche in der Region mit vielen wichtigen Akteuren und Experten zurückgreifen. Seine dreißig Jahre Berichterstattung über die Region verleihen dem Buch sein eigentliches Gewicht. Daher wird diese sachliche, differenzierte Analyse des Konfliktes über die Tagesaktualität hinaus Bestand haben, zumal sie wichtige Wahrheiten über die Natur dieses Regimes ausspricht. So vermeidet Naß das journalistische Klischee von der "kommunistischen Diktatur" und spricht lieber von "National-Stalinisten".
    "Nordkorea ist kein sozialistisches Land. Seine Führerideologie, der vollkommen übersteigerte Nationalismus und ein kaum verhüllter Rassismus lassen den Staat der Kims dem Faschismus näher sein als dem Kommunismus. [...] Nordkorea dürfte die gnadenloseste Diktatur unserer Zeit sein. Nirgendwo greift der Staat brutaler in das Leben der Menschen ein, unterwirft den Einzelnen so rigoros dem Macht- und Kontrollanspruch des Staates."
    Äußerer Feind für innere Stabilität
    In diesen Einschätzungen wurzelt wohl auch die Skepsis des Autors bezüglich eines Handels von Abrüstung gegen Sicherheitsgarantie und Wohlstandsversprechen. Das Misstrauen zwischen Nordkorea und den USA sei einfach zu groß, auch wenn der Geschäftsmann Trump mehr zu einem "Deal" bereit sei als seine Vorgänger George W. Bush und Barack Obama, meint Naß. Schließlich hätten die Nordkoreaner alle Abkommen umgangen und am Ende verworfen.
    Dies kann man sicher auch anders sehen: Denn die USA haben das Regime immer von oben herab behandelt und es stets spüren lassen, wer der wahre Sieger im Korea-Krieg gewesen ist. Die Atom- und Raketenrüstung lässt sich daher auch als Versuch der Kim-Herrscher verstehen, auf Augenhöhe zu den USA zu kommen und als ebenbürtig akzeptiert zu werden. Ihre Bereitschaft zum Kompromiss steigt dadurch jedoch nicht, denn sie brauchen einen äußeren Feind für die innere Stabilität, wie Naß zu Recht schreibt.
    "Der Hauptgrund für die gegenwärtigen Spannungen ist der Charakter des Regimes in Pjöngjang. Es muss um sein Überleben fürchten, nicht weil es von außen bedroht wird, sondern weil es seinen Bürgern Wohlstand, Freiheit und Gerechtigkeit verweigert. Dieses Regime hat keine Legitimität. Mit großer Grausamkeit verfolgt es jedes abweichende Denken und Handeln. Der Repression im Inneren entspricht die Aggression nach außen."
    Chinas Interessen in Nordkorea
    Richtig liegen dürfte Naß auch mit seinen Zweifeln an der Strategie von Trump, Nordkorea mit Hilfe von China zum Einlenken zu bewegen. Verschärfte Sanktionen würden durch die Schattenwirtschaft entlang der Grenze zwischen China und Nordkorea unterlaufen. Vor allem werde sich China nur von seinen eigenen Interessen leiten lassen. Seine Führung hätte eine tief sitzende Furcht vor Chaos jeder Art und wolle einen Kollaps der Kim-Herrschaft vermeiden, meint Naß.
    "Die Volksrepublik will keine Unruhen im Nachbarland, keine Flüchtlingsströme in die eigenen nordöstlichen Provinzen, in denen schon heute eine beachtliche koreanische Minderheit lebt. Sie will vor allem kein unter Führung Seouls wiedervereinigtes Korea, in dem womöglich auch noch amerikanische Soldaten nahe der Grenze zu China stationiert sind."
    Daher bleibt beim Leser nach dem Zuklappen des Buches das mulmige Gefühl, dass diese Krise jederzeit aus dem Ruder laufen könnte. Der nächste nordkoreanische Raketentest ist nur eine Frage der Zeit. Das könnte eine neue Runde von Sanktionen auslösen. Es wird auch spekuliert, dass Trump es nicht mehr bei Wortgefechten über Twitter belassen, sondern die nächste Rakete abschießen will.
    Matthias Naß: "Countdown in Korea. Der gefährlichste Konflikt der Welt und seine Hintergründe"
    C. H. Beck, 192 Seiten, 14,95 Euro.