Es ist der Satz von Christian Wulff, der weithin als Vermächtnis des im Februar von seinem Amt zurückgetretenen Alt-Bundespräsidenten gilt. Vor knapp zwei Jahren hatte Wulff in einer Rede am Tag der Deutschen Einheit gesagt: „Auch der Islam gehört inzwischen zu Deutschland.“ Wulffs Nachfolger, Joachim Gauck, hat dies jetzt in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ relativiert. Er erklärte, die Intention seines Vorgängers Wulff teile er. Doch würde er sagen, die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland.
Joachim Gauck hat für seine Äußerungen von den Unionsparteien viel Zustimmung geerntet. Anders die Grünen. Parteichef Cem Özdemir kritisierte, er könne die Unterscheidung zwischen Islam und Muslimen nicht nachvollziehen. Die SPD hält sich mit Kritik an Gauck zurück. Es gebe keinen großen Unterschied zwischen den Aussagen Wulffs und Gaucks, erklärt Kerstin Griese, religionspolitische Sprecherin der SPD Bundestagsfraktion. Ausdrücklich bekennen will sich Kerstin Griese allerdings zum Statement Wulffs:
„Ich sag eindeutig, wenn die Muslime zu Deutschland gehören, gehört eindeutig auch der Islam dazu, denn Muslime leben ihren Glauben, manchmal sogar intensiver als Christen, und deshalb würde ich sagen: Das kann man nicht auseinanderhalten.“
Die SPD-Politikerin möchte allerdings keine theoretische Debatte führen, sondern über praktische Konsequenzen sprechen.
„Seit über 50 Jahren leben Muslime in Deutschland, wir haben‘s zum Beispiel immer noch nicht flächendeckend geschafft, islamischen Religionsunterricht an allen Schulen anzubieten. (…) Darum geht es doch, dass die Menschen, die hier leben ihren Glauben leben können und das gleichberechtigt mit anderen und nicht in die Pausenhalle geschickt werden wie die Schüler, die muslimischen Glaubens sind oder in den Ethik-Unterricht, sondern auch eben Religionsunterricht haben können.“
Unter den in Deutschland lebenden Muslimen sind die Aussagen von Joachim Gauck unterschiedlich aufgenommen worden. Der Koordinierungsrat der Muslime, der Spitzenverband der größten islamischen Organisationen in Deutschland, bewertet Gaucks Äußerungen als – Zitat -„irritierend“. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mayzek dagegen, sieht keinen Bruch zwischen Gauck und Wulff. Der Bundespräsident führe die unter seinem Vorgänger begonnene Debatte als kluger Moderator fort.
Allerdings irritiert muslimische Theologen eine Detail-Äußerung Gaucks. Gauck spricht im „Zeit“-Interview von den „Instituten für Islamwissenschaft“, die schon bald islamische Religionslehrer ausbilden würden. Tatsächlich handelt es sich um Institute für Islamische Theologie. Ein großer Unterschied, betont Professor Abdullah Takim. Er lehrt an einem dieser Institute in Frankfurt am Main.
„Das sind nicht Einrichtungen für Islamwissenschaft, denn die existieren Mitte des 19. Jahrhunderts und auch früher. Das sind Einrichtungen, Institute, die aus der Binnenperspektive den Islam lehren. So einen Fehler dürfte ein Bundespräsident nicht machen.“
In seinen Äußerungen hat der Bundespräsident auch erneut die Frage aufgeworfen, was denn der Islam zu Europa beigetragen habe, und ob er eine Aufklärung oder eine Reformation erlebt habe. Dass sich die Diskussion im öffentlichen und interreligiösen Diskurs immer wieder auf diese Frage zuspitzt, bedauert Abdullah Takim.
„Ich kann nur dazu sagen, dass diese Begriffe wie Reformation und Aufklärung in der Geistesgeschichte Europas eine Epoche darstellen, und diese Entwicklung Europas kann man nicht auf andere Religionen, andere Kulturkreise anwenden, weil das etwas Eurozentristisches ist.
Ich sag aber nicht, dass der Islam keine Aufklärung durchgemacht hat, denn der Koran ist eine Schrift, die sich mit anderen Religionen rational auseinandersetzt. (…) und das wird auch den Muslimen aufgetragen, (…) in dieser Hinsicht kann man sagen, dass die Aufklärung eine Auseinandersetzung mit der Kirche ist, und diese Auseinandersetzung hat im Islam nicht stattgefunden, weil der Islam von Anfang an mit der Ratio keine Probleme hatte. Ich denke, dass Aufklärung, wie Kant das formuliert, ein Prozess ist, und nicht eine bestimmte Epoche bezeichnet.“
Christliche Religionshistoriker wie der Frankfurter katholische Professor Joachim Valentin halten das Verhältnis des Islams der Gegenwart zur Vernunft dagegen für zwiespältig. Die Zeit der rationalen islamischen Theologie sei eine vergangene Epoche des Islam. Sie habe im damals islamisch besetzten Spanien zur Zeit des europäischen Mittelalters vorgeherrscht. Eine Theologie, so Valentin,
„…die sich dem griechischen Denken verdankt, Aristoteles, die sich kritisch mit Glaubensinhalten auseinandergesetzt hat, im Islam leider nur wenig Echo gefunden hat, wenig Geschichte gehabt hat, die aber über die theologische Fakultät von Paris über Thomas von Aquin und andere christliche Theologen zur Entstehung einer systematischen Theologie und damit letztlich auch der Aufklärung im christlich – und jüdisch geprägten Europa beigetragen hat.“
Für den heutigen Islam fordert Joachim Valentin ein neues Verhältnis zur Rationalität ein. Auch müsse der Koran, wie die Bibel, stärker als historischer Text betrachtet werden, der menschlichem Einfluss ausgesetzt war.
„Schriftkritik ist eine Form von Rationalität. Eine andere ist die, eine Religion mit den Inhalten der aufgeklärten Philosophie zu konfrontieren, (…) da reden wir von den Menschenrechten, da reden wir von der Trennung von Staat und Religion. Das wäre aber eine Rationalität die an den Islam auch nicht von außen herangetragen würde, sondern die an die Tradition der aristotelisch geprägten Theologie im Mittelalter anknüpfen könnte.“
Für Valentin sind die Verständigungsprobleme zwischen Islam und europäischer Moderne ohne Beschäftigung mit der Ideengeschichte und ohne Auseinandersetzung mit dem Begriff der Rationalität nicht zu lösen. Was Rationalität für eine Religion bedeutet – diese Debatte steht im Hintergrund, wenn es darum geht, ob und wie der Islam zu Deutschland gehört.
Joachim Gauck hat für seine Äußerungen von den Unionsparteien viel Zustimmung geerntet. Anders die Grünen. Parteichef Cem Özdemir kritisierte, er könne die Unterscheidung zwischen Islam und Muslimen nicht nachvollziehen. Die SPD hält sich mit Kritik an Gauck zurück. Es gebe keinen großen Unterschied zwischen den Aussagen Wulffs und Gaucks, erklärt Kerstin Griese, religionspolitische Sprecherin der SPD Bundestagsfraktion. Ausdrücklich bekennen will sich Kerstin Griese allerdings zum Statement Wulffs:
„Ich sag eindeutig, wenn die Muslime zu Deutschland gehören, gehört eindeutig auch der Islam dazu, denn Muslime leben ihren Glauben, manchmal sogar intensiver als Christen, und deshalb würde ich sagen: Das kann man nicht auseinanderhalten.“
Die SPD-Politikerin möchte allerdings keine theoretische Debatte führen, sondern über praktische Konsequenzen sprechen.
„Seit über 50 Jahren leben Muslime in Deutschland, wir haben‘s zum Beispiel immer noch nicht flächendeckend geschafft, islamischen Religionsunterricht an allen Schulen anzubieten. (…) Darum geht es doch, dass die Menschen, die hier leben ihren Glauben leben können und das gleichberechtigt mit anderen und nicht in die Pausenhalle geschickt werden wie die Schüler, die muslimischen Glaubens sind oder in den Ethik-Unterricht, sondern auch eben Religionsunterricht haben können.“
Unter den in Deutschland lebenden Muslimen sind die Aussagen von Joachim Gauck unterschiedlich aufgenommen worden. Der Koordinierungsrat der Muslime, der Spitzenverband der größten islamischen Organisationen in Deutschland, bewertet Gaucks Äußerungen als – Zitat -„irritierend“. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mayzek dagegen, sieht keinen Bruch zwischen Gauck und Wulff. Der Bundespräsident führe die unter seinem Vorgänger begonnene Debatte als kluger Moderator fort.
Allerdings irritiert muslimische Theologen eine Detail-Äußerung Gaucks. Gauck spricht im „Zeit“-Interview von den „Instituten für Islamwissenschaft“, die schon bald islamische Religionslehrer ausbilden würden. Tatsächlich handelt es sich um Institute für Islamische Theologie. Ein großer Unterschied, betont Professor Abdullah Takim. Er lehrt an einem dieser Institute in Frankfurt am Main.
„Das sind nicht Einrichtungen für Islamwissenschaft, denn die existieren Mitte des 19. Jahrhunderts und auch früher. Das sind Einrichtungen, Institute, die aus der Binnenperspektive den Islam lehren. So einen Fehler dürfte ein Bundespräsident nicht machen.“
In seinen Äußerungen hat der Bundespräsident auch erneut die Frage aufgeworfen, was denn der Islam zu Europa beigetragen habe, und ob er eine Aufklärung oder eine Reformation erlebt habe. Dass sich die Diskussion im öffentlichen und interreligiösen Diskurs immer wieder auf diese Frage zuspitzt, bedauert Abdullah Takim.
„Ich kann nur dazu sagen, dass diese Begriffe wie Reformation und Aufklärung in der Geistesgeschichte Europas eine Epoche darstellen, und diese Entwicklung Europas kann man nicht auf andere Religionen, andere Kulturkreise anwenden, weil das etwas Eurozentristisches ist.
Ich sag aber nicht, dass der Islam keine Aufklärung durchgemacht hat, denn der Koran ist eine Schrift, die sich mit anderen Religionen rational auseinandersetzt. (…) und das wird auch den Muslimen aufgetragen, (…) in dieser Hinsicht kann man sagen, dass die Aufklärung eine Auseinandersetzung mit der Kirche ist, und diese Auseinandersetzung hat im Islam nicht stattgefunden, weil der Islam von Anfang an mit der Ratio keine Probleme hatte. Ich denke, dass Aufklärung, wie Kant das formuliert, ein Prozess ist, und nicht eine bestimmte Epoche bezeichnet.“
Christliche Religionshistoriker wie der Frankfurter katholische Professor Joachim Valentin halten das Verhältnis des Islams der Gegenwart zur Vernunft dagegen für zwiespältig. Die Zeit der rationalen islamischen Theologie sei eine vergangene Epoche des Islam. Sie habe im damals islamisch besetzten Spanien zur Zeit des europäischen Mittelalters vorgeherrscht. Eine Theologie, so Valentin,
„…die sich dem griechischen Denken verdankt, Aristoteles, die sich kritisch mit Glaubensinhalten auseinandergesetzt hat, im Islam leider nur wenig Echo gefunden hat, wenig Geschichte gehabt hat, die aber über die theologische Fakultät von Paris über Thomas von Aquin und andere christliche Theologen zur Entstehung einer systematischen Theologie und damit letztlich auch der Aufklärung im christlich – und jüdisch geprägten Europa beigetragen hat.“
Für den heutigen Islam fordert Joachim Valentin ein neues Verhältnis zur Rationalität ein. Auch müsse der Koran, wie die Bibel, stärker als historischer Text betrachtet werden, der menschlichem Einfluss ausgesetzt war.
„Schriftkritik ist eine Form von Rationalität. Eine andere ist die, eine Religion mit den Inhalten der aufgeklärten Philosophie zu konfrontieren, (…) da reden wir von den Menschenrechten, da reden wir von der Trennung von Staat und Religion. Das wäre aber eine Rationalität die an den Islam auch nicht von außen herangetragen würde, sondern die an die Tradition der aristotelisch geprägten Theologie im Mittelalter anknüpfen könnte.“
Für Valentin sind die Verständigungsprobleme zwischen Islam und europäischer Moderne ohne Beschäftigung mit der Ideengeschichte und ohne Auseinandersetzung mit dem Begriff der Rationalität nicht zu lösen. Was Rationalität für eine Religion bedeutet – diese Debatte steht im Hintergrund, wenn es darum geht, ob und wie der Islam zu Deutschland gehört.