Dienstag, 30. April 2024

Archiv

Zum Tod von Ennio Morricone
Musik, die ausdrückt, was Bilder nicht erzählen können

Mit der Filmmusik zu Sergio Leones Western "Spiel mir das Lied vom Tod" wurde er weltberühmt. Nun ist der italienische Komponist Ennio Morricone im Alter von 91 Jahren gestorben. "Seine Musik ging eine Symbiose mit den Filmbildern ein", sagte die Filmkritikerin Katja Nicodemus.

Katja Nicodemus im Gespräch mit Michael Köhler | 06.07.2020
Der italienische Komponist Ennio Morricon im Kolloseum in Rom.
Sinn für Melodramatik: der italienische Filmkomponist Ennio Morricone (picture alliance / ZUMA Press / Cecilia Fabiano)
Das schicksalhafte Ausgesetztsein in der Weite des Weste(r)ns und die Brutalität, die in der flirrenden Hitze liegt: Der italienische Filmkomponist Ennio Morricone habe die Stimmung im Film "Spiel mir das Lied vom Tod" kongenial in Musik umgesetzt, so die Filmkritikerin Katja Nicodemus. Zentral sei hier auch die Mundharmonika, die Frank (gespielt von Henry Fonda) dem kleinen Jungen in den Mund steckt, der seinen Bruder auf den Schultern trägt. Dabei hat der Bruder den Hals in der Schlinge stecken.
Der Soundtrack für Sergio Leones Western-Klassiker sei für Ennio Morricone zum Markenzeichen geworden, so Nicodemus im Deutschlandfunk. Bei dem Film seien Musik und Bilder eine Symbiose miteinander eingegangen. Sergio Leone soll über seinen Kollegen gesagt haben:
"Morricone erzählt mit seiner Musik, was ich als Filmemacher dann nicht erzählen muss."
Auch in der Orchestrierung unterschied sich dessen Filmmusik von den herkömmlichen Italo-Western: Morricone arbeitete mit ungewöhnlichen Soundelementen: mit Maultrommeln und Pfiffen, Eulenrufen oder Glocken.
Glücksfall fürs Kino
Es wäre allerdings ein Fehler, Morricone auf Western festzulegen. Katja Nicodemus weist darauf hin, dass der Italiener für insgesamt 400 Filme die Musik komponierte. Nimmt man drei zentrale Motive pro Film, ergeben sich rund 12.000 Musikstücke, die der Komponist für Kinofilme geschrieben hat. Mit seinem "Vermögen, musikalisch völlig frei zu denken und die Essenz eines Filmes zu erfassen", sei Morricone ein Glücksfall für die Filmwelt gewesen.
Hervorzuheben ist für Katja Nicodemus auch die Filmmusik zu "Es war einmal in Amerika" - ebenfalls ein Film von Sergio Leone. Auch da habe sich Ennio Morricones "unfassbar feiner Sinn für Melodramatik" gezeigt und "für schicksalhafte Musikerzählungen, die sich mit einer opernhaften Filmerzählung verbunden haben".
Konzerte mit Luigi Nono
Das Fundament sei für den 1928 in Rom geborenen Komponisten seine Ausbildung gewesen: Er studierte Chormusik und Trompete und nahm an den berühmten "Internationalen Ferienkursen für Neue Musik" in Darmstadt teil, besuchte also das damalige Mekka der Avantgardisten Luigi Nono und John Cage. Er hätte einer von ihnen werden können, verdiente sein Geld aber mit Filmmusik. Für den Soundtrack zu Quentin Tarantinos "The Hateful Eight" erhielt Morricone 2016 auch endlich einen Oscar für die beste Filmmusik. 2007 war ihm die Auszeichnung bereits für sein Lebenswerk verliehen worden.
Geniale Filmmusik muss für Filmkritikerin Nicodemus präsent und zugleich geräuschlos sein, eigensinnig und eigenwillig - aber auch vollkommen bescheiden. All das habe die Musik von Ennio Morricone auf wunderbare Weise erfüllt.