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Eisberge im Labor

Umwelt. - Auch die größte Physikertagung des Jahres, das Märztreffen der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft in Denver, steht im Zeichen des Klimawandels. So demonstrierten Wissenschaftler zahlreiche Umweltsimulationen, darunter auch ein Modell schwitzender Gletscher.

Von Ralf Krauter | 06.03.2007
    Das Städtchen Boulder liegt im US-Bundesstaat Colorado, am Fuß der schneebedeckten Gipfel der Rocky Mountains. Wie so viele ihrer Kollegen in der Region hat die Physik-Professorin Meredith Betterton eine Schwäche für naturnahe Aktivitäten wie Skifahren und Bergsteigen. Ihre aktuellen Studienobjekte findet sie im Hochgebirge vor ihrer Haustür allerdings nicht: Es sind riesige Gletschergebiete, die mit meterhohen Nadeln aus Eis gespickt sind. In den südamerikanischen Anden entstehen solche bizarr geformten Eisnadelwälder jeden Sommer aufs Neue.

    "Auch im Himalaya gibt es solche Eisnadeln. Dass sie in den Anden viel häufiger sind, liegt daran, dass es dort zugleich sehr kalt und trocken ist. Diese Bedingungen führen dazu, dass der Schnee auf der Gletscheroberfläche direkt verdampft, wenn die Sonne darauf scheint. In den Alpen dagegen ist es normalerweise viel wärmer und feuchter. Deshalb schmilzt der Schnee dort und es bilden praktisch nie solche Eisnadeln."

    Penitentes heißen die Eisnadelwälder im Fachjargon. Erstmals beschrieben wurde das geologische Phänomen 1835 von Charles Darwin, der an Bord der Beagle vor Südamerika kreuzte. Auf Gletschern in den chilenischen Anden bilden sich jeden Sommer hunderttausende der gefrorenen Nadeln, mit Höhen von bis zu vier Metern. Im Winter deckt der Neuschnee die gezackten Strukturen dann wieder zu.

    "Diese Eisnadelwälder entstehen durch die Reflexion von Sonnenlicht. Da das einfallende Licht gleichmäßig in alle Richtungen reflektiert wird, sammelt es sich automatisch in winzigen Vertiefungen auf der Gletscheroberfläche und verdampft dort weiteren Schnee. Das heißt: Einmal entstandene Dellen werden durch einen sich selbst verstärkenden Prozess ständig weiter ausgehöhlt."

    Diese theoretisch einleuchtende Erklärung ist nicht ganz neu. Dass sie tatsächlich richtig ist, konnte Meredith Betterton kürzlich in einer Reihe von Laborexperimenten beweisen, die sie gemeinsam mit Forschern in Paris gemacht hat.

    "Wir haben künstlichen Schnee hergestellt, ganz ähnlich wie das auch die Schneekanonen an einer Skipiste machen, und diesen Kunstschnee dann mit dem Licht einer ganz normalen Glühbirne bestrahlt. Wenn es in der Versuchskammer mit dem Kunstschnee kalt genug war, bildeten sich dabei tatsächlich eine Menge dieser Eisnadeln, die teils bis zu sieben Zentimeter groß wurden."

    Weil das sommerliche Nadelkleid der Andengletscher eine Menge Schatten wirft, schmilzt ihr Eis langsamer als es die intensive Sonneneinstrahlung in großer Höhe eigentlich erwarten ließe. Die Penitentes bilden also eine Art natürlichen Sonnenschutz. Da Kälte der Schlüssel für ihre Entstehung ist, dürfte die Effektivität dieses Schutzes durch die Erderwärmung allerdings zunehmend beeinträchtigt werden. Aber immerhin: Die Laborversuche zeigen im Prinzip einen Ausweg aus dem drohenden Dilemma.

    "In einem Experiment haben wir die Schneeoberfläche gezielt verschmutzt, indem wir etwas Toner von einem Laserdrucker darauf streuten. Dabei stellten wir fest, dass sich die Eisnadeln trotzdem bilden, sofern die Schmutzschicht nicht zu dick ist. Und sie bildeten sich sogar schneller als bei sauberem Schnee. Die dunklen Partikel absorbieren mehr Sonnenlicht und beschleunigen dadurch den Aufbau der schattenspendenden Schutzschicht."

    Während die Ablagerung von Luftschadstoffen auf einem Eispanzer normalerweise sein Abschmelzen beschleunigt, bewirkt sie in den Hochlagen der Anden also offenbar genau das Gegenteil. Eine gezielte Verschmutzung könnte deshalb helfen, die Überlebenschancen der dortigen Gletscher zu erhöhen. Ob und wie sich diese Erkenntnis jemals in die Praxis umsetzen lässt, ist allerdings noch völlig unklar.