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Fußball, Formel 1 und die Folter

Der Sportsoziologe und -philosoph Gunter Gebauer sieht die Politik in der Pflicht, wenn internationale Sportereignisse an Staaten vergeben werden, die beispielsweise für ihre Menschenrechtsverletzungen bekannt sind. UEFA-Präsident Michel Platini kritisiert er für seine unklare Haltung in diesen Fragen.

Gunter Gebauer im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 28.04.2012
    Doris Schäfer-Noske: Formel-1-Rennen in Bahrain, Fußball-EM in der Ukraine, Schlager-Grand´-Prix in Aserbaidschan und vielleicht 2014 die Eishockey-WM in Weißrussland - immer wieder werden Großveranstaltungen an Orten geplant, an denen autoritäre Regime die Menschenrechte verletzen. Von den Verbandsfunktionären kommt dann regelmäßig der Verweis auf die politische Neutralität des Sports und seinen mangelnden Einfluss. Andererseits predigen gerade diese Funktionäre die Bedeutung des Sports für die Völkerverständigung.

    Nach dem brennenden Bahrain ist diese Woche die Diskussion um die Fußball-EM voll entbrannt. Dabei wandte sich Bundesinnenminister Friedrich gegen einen Boykott. UEFA-Präsident Platini schloss aber auch eine Einmischung in die Angelegenheiten der Ukraine aus. Frage an den Sportsoziologen und -philosophen Gunter Gebauer: Herr Gebauer, ist es denn nicht ohnehin viel zu spät für einen Boykott oder ein politisches Statement?

    Gunter Gebauer: Also für einen Boykott ist es natürlich zu spät. Das hätte man sich früher überlegen müssen. Aber bei der Vergabe hatte man ja die Hoffnung, dass man die Ukraine, indem man sie mit Polen beauftragte, die EM durchzuführen, auf dem Weg der Demokratie ein Stück begleiten könne, vielleicht sogar anschieben könne. Also die Hoffnung ist immer da bei den Sportfunktionären, dass man durch sportliche Großereignisse irgendetwas bewirken kann. Und hinterher, wenn sozusagen das Kind in den Brunnen gefallen ist, stehen sie da, schlagen die Hände überm Kopf zusammen und sagen, wir können nichts dafür, wir verbitten uns jede Art von Einmischung, der Sport ist neutral. Das ist so eine vollkommen ambivalente Position, die von den Sportfunktionären immer eingenommen wird.

    Schäfer-Noske: In Bahrain hat man dem Regime die Möglichkeit gegeben, sich zu präsentieren, und auch bei den Olympischen Spielen in Peking war das ja so. Wie kommt es denn, dass solche Großveranstaltungen immer wieder in solchen problematischen Ländern stattfinden? Ich denke, die Ukraine ist da ja auch ein bisschen ein Sonderfall mit der "Orangenen Revolution".

    Gebauer: Ja, eindeutig. Bahrain ist eben ein Staat mit besonderen geologischen Vorkommen, insofern auch strategisch sehr günstig gelegen, die Nahost-Flotte der Amerikaner liegt dort, strategisch alles ganz wichtig, in der Nähe der anderen Golfstaaten, die Erdöl und Erdgas produzieren. Das ist also ein Staat, der Geld hat, der Autorität hat und der dem Formel-1-Verband Sicherheit garantiert hat, und das ist das, was Sportverbände immer interessiert. Formel 1 ist ein Sonderfall, das ist eher so eine Art Konsortium, um Geld zu machen. Aber bei der UEFA ist es schon ein bisschen was anderes, da stecken ja auch die Amateurverbände, der Kinderfußball, der Frauenfußball, alles Mögliche mit drin. Aber Platini ist ein Sportfunktionär, der auf der einen Seite die politische Karte spielt, auf der anderen Seite in dem Moment, wo er die Konsequenzen tragen muss, zurückschreckt und so tut, als habe er nie auch nur ein Wort Politisches gesagt. Es liegt also auch an der Figur und der Eigenart dieses Fußballpräsidenten, der eigentlich immer noch ein großer Junge ist und mal begnadeter Fußballer war, aber irgendwie nicht wirklich in die Rolle hineingewachsen ist, so einen Verband zu lenken.

    Schäfer-Noske: Nun könnte man ja auch frühzeitig absagen, wie es nun bei der Eishockey-WM in Weißrussland erwoben wird. Da ist natürlich wieder die Frage: Wo zieht man bei den Menschenrechtsverletzungen die Grenze?

    Gebauer: Na ja, da kann man sich ja verständigen. Da gibt es ja genügend Kriterien, die man bereits vorfindet, bei den NGOs oder auch bei den Menschenrechten und so weiter, und ich denke, es wäre doch möglich, so etwas zu beschließen wie eine Charta der Vergabe, aus der hervorgeht, unter welchen Bedingungen man welchem Land ein sportliches Großereignis geben könnte, oder auch ein kulturelles Großereignis, wie den Song Contest in Aserbaidschan. Aber so etwas existiert nicht und deswegen sehen wir immer ein großes Ringen um die Veranstaltungsorte - wir haben das jetzt gerade wieder gesehen um die Olympischen Winterspiele, wer bekommt es, natürlich nicht München, das ist ein kontroverser Standort gewesen, in dem es auch mal andere Meinungen gegeben hat, bunte Vielfalt, demokratische Verhältnisse; nein, es bekommt natürlich Südkorea mit der großen Firmenunterstützung durch die Staatskonsortien.

    Schäfer-Noske: Die Sportverbände agieren da ja auch autonom. Muss da jetzt nicht die Politik auch manchmal Zeichen setzen? Ich sage mal, wenn Deutschland ins Finale käme, sollte dann Bundeskanzlerin Merkel ihren Besuch aus Protest absagen?

    Gebauer: Ich finde, ja! Gauck hat ja im Grunde genommen das Handeln vorgegeben. Das wäre sehr gut, wenn Frau Merkel mal ihren Wunsch, in die Kabine der Fußballer zu kommen, zügeln würde, und ich denke auch, es wäre wichtig, dass der Bundesinnenminister sich mal ganz klar positioniert. Das ist ja in Deutschland der Sportminister. Warum sagt er nicht einmal ganz klar, welche Bedingung er verwirklicht sehen möchte, wenn er deutsche Mannschaften ausrüstet und hinschickt? Er gibt ja eine Menge Geld für diese ganzen Fälle. Und wo ist eigentlich die Aktion des Sportausschusses des Bundestages, frage ich mich? Es werden alle möglichen Leute interviewt, ich habe bis jetzt noch kein einziges Mal ein Statement von der Vorsitzenden des Sportausschusses gehört. Der könnte ja hinfahren, der Sportausschuss, und könnte dort sehr eindeutig eine politische Position zugunsten einer Demokratisierung der Ukraine abgeben. Aber davon habe ich nichts gehört.

    Schäfer-Noske: Wie viel politisches Bewusstsein darf man denn von den Sportlern selbst erwarten?

    Gebauer: Da, finde ich, setzt man eigentlich sozusagen beim schwächsten Glied ein und außer, dass sie Sportstätten sehen, bekommen sie eigentlich von den Veranstaltungsorten so gut wie gar nichts mit. Natürlich kann man erwarten, dass ein Sportler auch ein Staatsbürger ist, aber sicher nicht in dem Moment, wo er in der Trainingsvorbereitung ist, wo er, wie Sebastian Vettel, in seinem Formel-1-Wagen sitzt und auf die Tausendstelsekunde genau funktionieren muss. Also in dieser Lebenswelt des Spitzensports ist im Moment eines Wettkampfs, glaube ich, kaum Platz für politische Überlegung.

    Schäfer-Noske: Das war der Sportphilosoph Gunter Gebauer über das Unterhaltungsgeschäft und die Menschenrechte.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.