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Graham Nash über Trump
"Der Mann ist ein Verrückter!"

Graham Nash hat sich schon vor vielen Jahren politisch engagiert - damals sang er noch bei "Crosby, Stills, Nash & Young", und alle vier protestierten gegen den Vietnamkrieg. Heute sieht Nash das Erstarken politisch rechter Stimmen mit Sorge - genauso wie den Wahlkampf in den USA. Im Moment ist Graham Nash mit seinem Album "This Path Tonight" auf Tour.

Graham Nash im Gespräch mit Uli Kniep | 11.06.2016
    Sie sehen den englischen Sänger und Songwriter Graham Nash.
    Der englische Sänger und Songwriter Graham Nash - hier in Bilbao/Spanien (picture-alliance / dpa / Javier Zorrilla)
    Uli Kniep: In dem Song "Back Home" des neuen Albums heißt es: "Take Your Time, Cos Time Will Take You”. Was bedeutet Ihnen die Zeit?
    Graham Nash: Zeit ist unsere einzige Währung. Auch Bill Gates oder Mark Zuckerberg können keine Sekunde kaufen. Wir müssen jede Sekunde so gut wie möglich nutzen. Wir dürfen keine Zeit verschwenden! Sieh dir die Liste derer an, die wir jüngst verloren haben – von David Bowie über Glenn Frey bis Maurice Williams. Man kommt sich ziemlich zerbrechlich vor. Und man macht sich Gedanken über seine eigene Sterblichkeit und wie lange man selber noch hat.
    Kniep: Die Songs und das Coverfoto auf "This Path Tonight" wirken überwiegend melancholisch, eher herbstlich als frühlingshaft.
    Nash: Es ist ein sehr persönliches Album, das all die Veränderungen in meinem Leben reflektiert. Ich durchlebe gerade die Scheidung von der Frau, mit der ich seit 38 Jahren verheiratet war. Wir haben drei Kinder und vier Enkel. Gleichzeitig habe ich die neue Liebe zu Amy Grantham, einer Künstlerin aus New York, gefunden. Sie hat übrigens die Fotos zu meinem Albumcover geschossen. Sie entstanden am Neujahrstag 2015 in Woodstock. Ich war dort zum ersten Mal! Natürlich habe ich damals beim Festival gespielt, aber das war genau genommen nicht dort, sondern 60 Meilen entfernt in Bethel.
    Kniep: Der Song "Back Home" ist eine persönliche Widmung?
    Nash: Der Song ist Levon Helm gewidmet. Er war ein guter Freund, The Band hat damals im Vorgramm von CSN&Y auf unserer Stadiontour 1974 gespielt. Als ich hörte, dass er im Sterben liegt, beschlossen mein Produzent Shane Fontayne und ich, ihm dieses Stück zu schreiben. Wir fuhren später zu seinem Haus und Studio und spielten den Song dort in Anwesenheit seiner Tochter. Das war sehr ergreifend, sie hatte Tränen in den Augen.
    Kniep: Der Song "Encore" behandelt nur oberflächlich betrachtet eine Konzertzugabe.
    Nash: Für mich gibt es immer noch einen nächsten Song. In dem Text aber geht es nicht um eine Zugabe, sondern darum, wer man ist, wenn die Show zu Ende ist. Bist du ein guter Mensch, oder ein Scheißkerl? Wer bist du, wenn das Licht ausgeht? Darum geht es in "Encore".
    Kniep: Die Luxusausgabe des Albums enthält interessante Bonustracks.
    Nash: In "Watch Out For The Wind" geht es um Michael Brown, den jungen Schwarzen, der (2014, Anm. d. R.) in Ferguson erschossen wurde. Wir haben den Song morgens geschrieben, und schon abends zum ersten Mal mit Crosby & Stills live gespielt! Ein weiteres Stück ist "Mississippi Burning". Darin geht es um die Erschießung dreier junger Studenten, die 1966 in Mississippi protestierten und Schwarzen beim Wählen helfen wollten. Die Bonustracks passten allerdings nicht in den Kontext des normalen Albums.
    Kniep: Was ist Ihre Meinung zu den derzeitigen Vorwahlen in ihrer Wahlheimat, den USA, und speziell zu Donald Trump?
    Nash: Es ist unglaublich, es scheint so als werde die Rechte immer stärker – in Deutschland mit der AfD, in Frankreich mit Le Pen, in England mit Leuten wie Cameron und mit Sicherheit in Amerika! Ich lebe dort nun seit fast 50 Jahren, aber nie war es so schlimm! Die Kandidaten der Republikaner fingen an über Penisgröße zu sprechen. Wofür steht Donald Trump? Für eine 50 Meter hohe und 3000 km lange Mauer, die er an der Grenze zu Mexiko ziehen will, jeder dort sei ein Vergewaltiger, kein Moslem soll mehr einreisen dürfen. Der Mann ist ein Verrückter! Wenn er Präsident der Vereinigten Staaten werden sollte, weiß ich nicht, was ich tun werde.
    Kniep: Sie nahmen in den späten 60ern und Anfang der 70er-Jahre mit David Crosby, Stephen Stills und Neil Young an den Anti-Vietnamkriegsprotesten teil. Was hat sich seitdem geändert?
    Nash: Als wir damals gegen den Vietnam Krieg protestierten, gab es dieses Foto, das um die Welt ging und zum Symbol für den Protest wurde: Ein Mönch hatte sich mit Benzin übergossen und angezündet. Das Bild stand auf jeder Titelseite! Aber allein in den vergangenen eineinhalb Jahren verbrannten sich 148 tibetanische Mönche, um gegen die chinesische Politik zu protestieren, die das tibetanische Volk von der Erdoberfläche verschwinden lassen will. Wusstest du das? Nein, denn du sollst es nicht erfahren! Denn wenn du die Wahrheit weißt, dann stellst du den Status Quo infrage. Eine Hand voll Leute kontrollieren heute die Massenmedien. Die wollen keine Protestlieder. Sie wollen, dass du ein Schaf bist, du sollst ein weiteres Paar Sportschuhe kaufen, noch eine Cola trinken und den Mund halten, während sie dich ausbeuten. Das bedeutet Brot und Spiele!
    Kniep: Würden sie uns die interessante Geschichte des Songs "Ohio", der von den Studentenprotesten mit Todesopfern am 4.5.1970 handelt, erzählen?
    Nash: Wir hatten damals gerade meinen Song "Teach Your Children" als Single veröffentlicht und der ging in die Charts. Da rief mich David Crosby an und sagte: "Buch sofort ein Studio, den Toningenieur und die Band. Ich komme mit Neil Young nach Los Angeles. Er hat einen Song geschrieben, den du dir anhören musst!" Ich also machte alles klar und wir nahmen das Stück in kürzester Zeit auf, in nur 20 Minuten. Dann gaben wir das fertige Band dem Boss unserer Plattenfirma Ahmet Ertegun und sagten: "Bring das sofort raus." Er sagte: "Seid ihr verrückt? Ihr seid doch gerade mit einem Stück in der Hitparade!" Aber wir dachten, es sei viel wichtiger den Leuten da draußen zu sagen, dass in Amerika die eigene Jugend erschossen wird, als dass wir einen Top Hit haben! Das Cover zeigte übrigens die Amerikanische Verfassung, durchlöchert von Einschüssen.
    Kniep: Anders als etliche Musiker haben sie sich in den Anfangstagen ihrer Karriere nicht von Plattenfirmen und Managern übervorteilen lassen.
    Nash: Ich hatte immer Glück und war immer clever genug, die Kontrolle über meine Musik zu behalten. Zurzeit streitet Don Henley von den Eagles vor dem Kongress dafür, dass Musiker ihre Urheberrechte behalten und vererben dürfen. Es ist doch nicht einzusehen, dass die Rechte an unseren Kompositionen nach 75 Jahren ablaufen. Wenn ich einen Song wie "Our House" geschrieben habe, so habe ich das ganz alleine getan. Warum also kann ich das Werk nicht meinen Nachfahren vererben? Wir kämpfen dafür, dass uns die Songrechte für immer gehören!
    Kniep:: Wie fühlt man sich als "Ritter", Sir Graham William Nash, OBE seit 2010?
    Nash: Viele Leute denken sicher, dass die Monarchie veraltet ist und abgeschafft werden sollte. Das kann ich verstehen, aber als ich der Queen gegenüber stand, war ich überwältigt! Die Queen fragte mich, wie es den anderen Hollies geht – das ist doch unglaublich! Wer hätte gedacht, dass sie überhaupt die Hollies kennt? Meine Eltern wären so stolz auf mich gewesen. Es war ein großer Moment. Man bedenke, dass sie für 1000 Jahre Tradition englischer Könige und Königinnen steht. Ich möchte den sehen, der da nicht auch überwältigt wäre.
    Kniep: Danke für das Gespräch – sie werden wieder in Deutschland auftreten, auch wenn nicht viele Leute zu den Konzerten kommen sollten?
    Nash: Ich werde mir die Seele aus dem Hals singen – und wenn nur eine Person kommt!