Deutsche in Paraguay

Flucht vor der Corona-Politik

24:20 Minuten
Ein junger Mann sitzt auf einer Bank und schaut über ein großes grünes Tal.
Immer mehr Impfgegner flüchten vor den deutschen Coronaregeln nach Paraguay. © Getty Images / EyeEm / Viktor Kisman
Von Diana Hörger · 27.02.2022
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Das südamerikanische Paraguay ist zum Zufluchtsort vieler Impfskeptiker aus Deutschland geworden. Sie treffen in der neuen Heimat auf eine bestehende Gemeinde deutscher Auswanderer, die mitunter über die Neuankömmlinge staunen.
Der Flug von Sao Paulo in Brasilien nach Asunción in Paraguay dauert nur zwei Stunden. Aber der Vater, der mit seinem Kind einige Reihen hinter uns sitzt, mag seine Maske nicht aufsetzen. Er trägt sie demonstrativ unter der Nase.
Die beiden sind nicht die einzigen Deutschen im Flieger nach Paraguay.
Vor mir quasselt ein blonder Junge ohne Unterlass auf seine Eltern ein. Er ist offenbar fröhlich, dass es in den Urlaub geht- oder in die neue Heimat?
Wir – ein Team der ARD, Fernsehen und Radio – sind auf Recherchereise, weil wir wissen wollen, was so viele Deutsche derzeit nach Paraguay treibt. Nicht etwa in den Urlaub, sondern um dort dauerhaft zu bleiben. Es ist Januar, in Deutschland ist es kalt und grau, und die Corona-Pandemie bestimmt die Nachrichten. In Paraguay ist es heiß und sonnig, strenge Corona-Einreisebestimmungen gibt es nicht – noch nicht.

Turnschuhe werden gegen Sandalen getauscht

An dem kleinen Flughafen der paraguayischen Hauptstadt komme ich nach der Passkontrolle mit den Eltern des fröhlichen Jungen ins Gespräch. Die dunkelblonde Frau ist Mitte 40 und hat sich aus einer Art dünnem, weißen Krepppapier eine Mund-Nasen-Bedeckung gebastelt. Die Familie ist tatsächlich hergekommen, weil sie mit dem Gedanken spielt, ganz nach Paraguay auszuwandern, erzählt die Mutter:
„Weil es viel Freiheit verspricht, aber ob es so bleiben wird, weiß ich nicht. Da steht ein großes Fragezeichen dahinter, weil ich finde, die ganze Welt ist im Wandel. Und ich weiß nicht, ob noch mal ein Lockdown kommt. Keine Ahnung. Ich sehe halt nur, wie viele Läden bei uns dichtmachen. Und ich würde es schön finden, wenn die Leute nicht nur sich sehen, ihre Angst, sondern halt auch die Folgen.
Hier stimmt irgendwas nicht, aber wir können es nicht greifen. Und im Fernsehen, Radio läuft das auf Dauerschleife, und wir haben halt keine anderen Infos, die wir irgendwie dagegenhalten können. Viele verlassen sich halt darauf, dass wir in einem guten Staat leben. Man darf halt über bestimmte Sachen nicht nachdenken“
Die Familie tauscht jetzt erst mal die Turnschuhe gegen Sandalen aus, bevor es vom Flughafen aus weitergeht. Der 5½-Jährige ist der ausschlaggebende Grund, weshalb die beiden Eltern nach Paraguay wollen.  
„Für uns ist wichtig, dass der Kleine gut aufwächst psychisch, das ist für uns das Allerwichtigste. Und jetzt gucken wir einfach mal, ob wir hier erst mal die nächsten Jahre gut klarkommen können. Eigentlich mögen wir ja unser Land. Aber wir finden die Entwicklung halt nicht gut. Ich würde mich sehr, sehr gerne irren mit Blick auf die Zukunft, aber wir sehen das halt ein bisschen anders als die Masse der Leute“.
Ob sie wirklich hierbleiben? Die Auswanderin, die anonym bleiben will, ist gebildet, sicher keine Hetzerin. In Deutschland quälen sie Ängste, erklärt sie. Wird unsere Wasserversorgung sicher bleiben? Wird es hier wieder einen Krieg geben? Sie glaubt, darüber öffentlich nicht sprechen zu dürfen. Es fällt mir schwer, das zu verstehen. Wir müssten eigentlich das Gespräch vertiefen, aber die Familie will weiter.

Lieber keinen Stress mit den neuen Deutschen

Vor dem Flughafen steigen wir in ein Auto. Wir wollen einen Deutschen besuchen, der schon lange in Paraguay lebt. Er will uns seine Sicht auf die neue Einreisewelle mitteilen.
Viele kleine, bescheidene Häuser ziehen an uns vorbei. Es ist heiß in der Mittagssonne, so um die 32 Grad. Im Auto läuft die Klimaanlage. An grünen Bäumen und Läden mit Töpfereiprodukten vorbei kommen wir zu Peter. So nennen wir ihn hier.
Er will sich nicht zu erkennen geben und bittet uns, dass wir seine Stimme verfremden, denn er fürchtet Stress mit den neuen Deutschen, die gerade einwandern. Mit den Impfgegnern. Schließlich ist er geimpft, zweimal, so wie 40 Prozent der paraguayischen Bevölkerung. Er beobachtet nicht erst seit Corona, dass immer mehr Deutsche kommen.
„Als das losging mit der Flüchtlingswelle, da sind die ersten aus diesen Gründen gekommen. Es hieß, die Merkel muss weg und es geht alles den Bach runter in Deutschland, das Land wird islamisiert. Und jetzt kam dann die zusätzliche Welle durch Covid.“
Peter ist Anfang 60 und schon in den 80er-Jahren allein nach Paraguay ausgewandert. Vorher hat er in Pforzheim gewohnt. Jetzt sitzen wir bei einem Glas Wasser auf seiner Veranda an der Dorfstraße, ungefähr eine Stunde südlich von Asunción, und er erzählt von Paraguay. Es sei ein wunderschönes Land, wenn man keinen Luxus erwarte.
Er sei damals ohne viel Geld ausgewandert. Heute, sagt er, sei die Einwanderung nach Paraguay ein richtiges Geschäftsmodell geworden. Rund 1000 neue Deutsche haben laut Einwanderungsbehörde 2021 hier einen Personalausweis beantragt. Aber genaue Zahlen über Neuankömmlinge gibt es nicht, sagt Peter.
„Es ist relativ einfach hier legal einzuwandern, die Papiere zu bekommen – da gibt’s Dutzende Profis hier in Asuncion, die machen dir, wenn du bezahlt hast, in zwei Wochen alles fertig. Das ist ein richtiges Business“.

Was ist, wenn einer krank wird?

Peter ist hier zu Hause. Das merkt man. Die Moskitos im Garten können ihm nichts anhaben. Ich hingegen habe lauter rote Punkt auf den Beinen nach unserem Gespräch. Anpassen, das muss man sich hier, sagt Peter. Nicht nur an die Hitze müsse man sich gewöhnen. Auch an die buckligen Straßen. Und die Landessprache Spanisch müsse man lernen, um richtig anzukommen.
Viele Neueinwanderer haben falsche Vorstellungen, glaubt Peter. Paraguay, das sei nicht nur ein anderes Land. Das sei ein anderer Planet.
„Was ich unverantwortlich finde: Es kommen in letzter Zeit wegen der Impfgeschichte auch viele mit kleinen Kindern. Und die gehen ins Landesinnere, kaufen sich da im Busch eine Anlage und irgendwann müssen die Kinder ja mal in die Schule.
Und da ist einfach im Umkreis keine Schule, höchstens eine paraguayische Dorfschule. Was haben die für ‚ne Chance, für ‚ne Zukunft? Was ist, wenn mal irgendwer krank wird? Dann haben sie keine Krankenversicherung hier. Ein vernünftiger Arzt ist nicht in der Gegend. Die gehen ein Risiko ein. Das kann ich nicht nachvollziehen“.
Eine Krankenversorgung wie in Deutschland gibt es in Paraguay nicht. Medikamente zahlt man grundsätzlich selbst. Wer richtig gut behandelt werden will, der zahlt gern mal viel Geld im privaten Krankenhaus, sagt Peter. Sonst bleibt nur ein staatliches Krankenhaus.

Geburtstagsfeier bei gefühlt 40 Grad

Wir sollen weiter nach Süden fahren, rät uns Peter. In die kleine Stadt Hohenau. Dort ziehen derzeit die meisten Deutschen hin. „Der Bürgermeister dort macht sich schon Sorgen“, meint Peter. Das habe er in den paraguayischen Medien gelesen.
Wir fahren weiter. Nach 45 Minuten erreichen wir einen kleinen Kiosk an einer Straße bei Ypacarai. Hier lebt und arbeitet Manfred Popp. Ursprünglich kommt er aus der Nähe von Stuttgart. Er lädt uns ohne Umschweife ein, Platz zu nehmen. Damit hatten wir nicht gerechnet. Die deutsche Presse ist nicht beliebt bei Impfskeptikern wie Manfred.
Aber wir dürfen bleiben. Manfred hat graues, strubbeliges Haar, trägt kurze Hosen und ein lila T-Shirt. Durch seinen Kiosk läuft er barfuß und bietet uns selbstgekochtes Chili an. Früher war er Schlachter. Seit 15 Jahren lebt er schon in Paraguay.
Seine paraguayische Frau kehrt während unseres Gesprächs draußen unermüdlich den Boden der Veranda. Bei gefühlt 40 Grad. Heute Abend ist Manfreds 70. Geburtstag, die beiden Eheleute stecken mitten in den Vorbereitungen. Es haben sich viele Gäste angekündigt.
„Ja, heute Abend werden hier 100 Personen auftauchen. Die Bude wird voll. Und da hat keiner eine Maske auf. Und da ist auch keiner geimpft. Und es fürchtet sich auch keiner, sich anzustecken.“

Deutschland spontan verlassen

Manfred Popp vermutet, dass Deutschland bald Konsequenzen ziehen wird, um die Ausreise nach Paraguay zu erschweren. Die Bundesrepublik werde Paraguay damit drohen, die Entwicklungshilfe zu streichen, um den massenhaften Weggang von arbeitsfähigen Deutschen zu unterbinden.
Er spricht auch davon, dass das Virus erschaffen wurde, um die Weltbevölkerung zu dezimieren. Das sei ein abgekartetes Spiel. Er jedenfalls werde sich nicht impfen lassen.
Manfred Popp. Ein älterer Herr.
Für Manfred Popp ist Corona keine Bedrohung: "Es fürchtet sich auch keiner, sich anzustecken.“© Deutschlandradio / Diana Hörger
Am Abend ist die Stimmung ausgelassen. Auf weißen Plastikstühlen rund um kleine Tische, sitzen etwa 50 Menschen. Offenbar fast alles Deutsche. Niemand hält Abstand, niemand trägt Maske. Es gibt Würstchen vom Grill und deutsche Schlager.
Etwas abseits komme ich ins Gespräch mit einem jungen Paar, Joana und Christian. Die beiden sind seit seit Jahren zusammen und erst vor ein paar Wochen in Paraguay angekommen. War alles recht spontan, erklären sie.
„Vorbereitung gab es eigentlich gar nicht. Uns hat ein sehr guter Freund angerufen, der auch irgendwann die Schnauze voll hatte von Deutschland. Ob wir nicht Lust hätten, mit auszuwandern. Und das war schon immer ein Traum, Corona war nur der Beschleuniger. Weil es uns in Deutschland zu stressig war auf Dauer.“
Der einzige Nachteil für die beiden in Paraguay: Es gibt kein Meer. Trotzdem wirken sie unverdrossen und scheinen davon überzeugt, dass es in Paraguay gut für sie laufen wird. Auch wenn sie kein Wort Spanisch sprechen.  

Paraguay war schon immer beliebt bei Deutschen

Optimistisch sind die Auswanderer, das werden wir auch in Hohenau erfahren, der Ort, an den uns Peter geschickt hat. Fünf Stunden Fahrt Richtung brasilianische Grenze. Beide Länder trennt dort der Fluss Paraná.
Der Kleinwagen ruckelt über bucklige Landstraßen. Autobahnen gibt es hier nicht. Die Sonne sticht. Ab und zu traben Kühe über die Fahrbahn. Es geht langsam voran. Sehr langsam. Zeit zum Nachdenken.
Peter hatte erzählt, dass viele Deutsche – aber nicht alle – in Paraguay rechtsnationale Ansichten pflegen. Das hat Tradition. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg haben Deutsche hier Siedlungen gegründet. Zum Beispiel „Nueva Germania“ – der Name deutet auf eine bessere Version der eigentlichen Heimat hin.
Deutsches Kulturzentrum auf der Feria De Las Colectividades in Hohenau. Ein Haus auf einer Farm.
Deutsches Kulturzentrum auf der Feria De Las Colectividades in Hohenau.© Deutschlandradio / Diana Hörger
Die Siedlung gibt es noch heute unweit der Hauptstadt Asunción. Die Stadt Hohenau im Süden hingegen, zu der wir hinfahren, wurde 1900 von einem Brasilianer mit deutschen Wurzeln gegründet. Paraguay war damals ein großes, unterbevölkertes Land mit sehr fruchtbaren Böden und niedrigen Preisen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg flohen dann auch einige Nazis hierher: „Dr. Tod“ – der KZ Arzt Josef Mengele zu Beispiel. Er kam wie andere Nazis über die sogenannte „Rattenlinie“ unter dem Namen Helmut Gregor nach Südamerika und lebte auf seiner Flucht vor den Behörden einige Jahre in der Nähe von Hohenau.
Auch der ehemalige paraguayische Diktator Alfredo Stroessner hatte deutsche Wurzeln. Sein Vater war aus dem fränkischen Hof ausgewandert und hatte sich in Encarnación niedergelassen – nur etwa 50 Kilometer weiter westlich von Hohenau.
Ein Grabstein auf dem Friedhof in Hohenau.
Spuren deutscher Einwanderung auf dem Friedhof in Hohenau.© Deutschlandradio / Diana Hörger
In Hohenau angekommen fallen uns erst einmal viele Überseecontaine zwischen den kleinen, meist einstöckigen Häusern im Ortskern auf. In Weiß, Braun und Hellblau stehen sie überall verteilt herum: in Wohngebieten und auf offenem Gelände. Tonnenschwere Überbleibsel deutscher Einwanderer.
Die kleine Stadt Hohenau hat ein lebhaftes Zentrum. Mehrere Grillimbisse bieten Hühnchen, Rind oder frittierte Teigtaschen an. Die Erde entlang der geteerten Straßen ist rot und fruchtbar. Es gibt drei kleine Hotels und einen Friedhof, auf dem die deutschen Wurzeln der Stadt sichtbar werden. Auf den Marmorplatten mit Plastikblumen lesen wir Müller, Wolff, Lindemann.

Ein deutsches Haus mit Bunker

Der Bürgermeister, der sich in den paraguayischen Medien noch Sorgen gemacht hatte, weil so viele Deutsche ungeimpft kämen, will nicht mit uns sprechen. Dafür aber seine rechte Hand. Noemi Jarra.
Bei einer Fahrt durch die 15000 Einwohner-Gemeinde bestätigt die Tourismusbeauftrage der Stadt, dass sehr viele neue Bundesbürger in den letzten Monaten gekommen sind. Sie zeigt mit der Hand aus dem Fenster ihres Jeeps in Richtung der vielen neuen Häuser, die die Deutschen gebaut haben.
„Hier rechts sehen wir ein Haus, das mit einem Bunker gebaut wurde. Im Falle eines Atomkrieges. Und auf der anderen Seite sehen wir das Haus eines Deutschen, der vor vier Jahren hergezogen ist.“
Baustelle für eine neues Haus in Hohenau.
Eins der zahlreichen Häuser, die in Hohenau von Deutschen neu gebaut werden.© Deutschlandradio / Diana Hörger
Der Bauboom, der hier ausgebrochen ist und der Region auch Arbeitsplätze verschafft hat, sorgt auch dafür, dass die Grundstückspreise steigen. Noemi hat die Befürchtung, dass das auf Dauer zu Konflikten führen könnte.
Von schlechter Stimmung gegenüber den Einwanderern ist bisher aber noch nichts zu spüren. Einige Bauarbeiter, die wir ansprechen, während sie zwischen den rotgebackenen Ziegelsteinen eine Mittagspause unter den schattigen Bäumen machen, geben sich einigermaßen zufrieden.
„Im Moment kommen viele Deutsche und brauchen alle neue Häuser, deshalb haben wir genug zu tun.“
Der andere hat ein bisschen Angst vor so viel Ungeimpften.
„Jetzt kommen viele ohne Impfung. Mal sehen, was die Regierung dazu sagt, aber ich finde das ein bisschen schwierig. Wenn jetzt viele Menschen zusammenkommen und die Ausländer sind dabei, das ist schon schwierig.“
Schwierig auch deshalb, weil sich die Unngeimpften davor fürchten müssen, gar nicht behandelt zu werden, erklärt Noemi.
„Die Ausländer sollten sich auch impfen lassen. Denn hier in der Region ist die medizinische Versorgung nicht sehr gut. Und hier bei uns werden im Krankenhaus die Menschen bevorzugt behandelt, die geimpft sind.“

Einfach mal was Neues ausprobieren

Gut einen Kilometer Luftlinie weiter im Freizeitpark der Stadt Hohenau im Parque Manantial toben die frisch eingetroffenen deutschen Kinder mit den einheimischen um die Wette.
An der Tischtennisplatte neben dem Pool liefern sich zwei junge Männer, Boris und Kevin, in der gleißenden Sonne gerade ein Match. Sie sind neu in der Stadt, sagt Kevin. Erst kürzlich sind sie mit Eltern und Großeltern nach Paraguay ausgewandert.
„Ja, wir haben unsere Jobs hingeschmissen, gekündigt, alles liegen lassen. Wir haben unser Haus verkauft. Aber wir bereuen es nicht. Wir sind glücklich, wir haben immer Sonne hier. Und es ist sehr, sehr herzlich hier, was man so in Deutschland gar nicht mehr kennt.“
Kevin ist Anfang 20, rotblond mit Sommersprossen und Vollbart. Er sprüht vor Energie und glaubt daran, dass alles hier gut geht für ihn und seine Familie.
Kevin Neugum. Ein junger Mann mit Bart.
„Ja, wir haben unsere Jobs hingeschmissen, gekündigt, alles liegen lassen", sagt Kevin Neugum.© Deutschlandradio / Diana Hörger
Ich hingegen kann nur staunen. Alles zurücklassen, ohne ein Wort Spanisch zu sprechen, und hier komplett neu anfangen ohne Sicherheitsnetz? Sein Bruder Boris hat sogar die Schule kurz vor dem Abitur abgebrochen. Wie will seine Familie hier künftig leben?
„Das ist eine gute Frage“, lacht Kevin, „Wir wollen etwas Land kaufen und Farmer werden, Eigenversorgung. Wir kennen das eigentlich gar nicht, aber wir wollen einfach mal was Neues ausprobieren.“
Da ist er also tatsächlich. Der Traum vom Selbstversorger. Vom Leben in der Natur in Freiheit. Aber auch vom Leben ohne Covid-Impfung. Ich frage Kevin, weshalb viele hier die Impfung kritisch sehen. Er antwortet:
„Wir sind ein bisschen vorsichtig, wir hinterfragen lieber, lesen viel, fragen nach, was das wirklich alles bedeutet.“
Als wir uns mit Kevin für ein weiteres Interview gemeinsam mit seinen Eltern verabreden wollen, kommt ein Mann in blauer Badehose auf uns zu, schimpft über die deutsche Presse. Kevin sagt den Termin wieder ab.

Würste vom deutschen Metzger

Auf dem Wochenmarkt in einer kleinen überdachten Halle in der Stadtmitte versuchen wir am nächsten Tag, mit weiteren Deutschen ins Gespräch zu kommen. Mit offenen Armen werden wir auch hier nicht empfangen.
Auf einem Tisch mit blauer Tischdecke türmen sich runde Käselaibe, selbstgeräucherte Würste und welche im hellen Darm. Gutes vom deutschen Metzger. So was gibt’s in Paraguay eigentlich nirgends zu kaufen. Nur hier. Alles hergestellt von deutschen Auswanderern.
Evelyn Behles steht mit einer Stoffmaske am Gemüsestand. Auch sie kam schon in den 80ern nach Paraguay und ist ungeimpft. Sie traue dem Impfstoff nicht. Man wissen nicht, was er mit der DNA mache. Sie glaubt allerdings auch, dass die neuen Deutschen nicht wissen, worauf sie sich hier einlassen.
Deutsche Wurst auf dem Wochenmarkt in Hohenau.
Wurst auf dem Wochenmarkt in Hohenau – hergestellt von deutschen Auswanderern.© Deutschlandradio / Diana Hörger
„Paraguay ist jetzt nicht das Land, das man von heute auf morgen richtig lieben kann. Man ist akzeptiert, aber man bleibt immer Ausländer. So oder so. Wissen Sie ganz ehrlich gesagt: Viele Deutsche, die haben das Problem sich anzupassen. Sie denken, sie kommen aus Deutschland, bringen viele Euros mit und können jetzt den fetten Mann raushängen.
Man muss lernen, ruhig und zufrieden zu leben. Es gibt nicht jeden Luxus, wie es das in Deutschland gibt. Vieles vermisst man. Mir ging es früher genauso. Dass eine Frau allein weggehen kann auf ein Bierchen oder einen Kaffee – das gibt’s hier halt nicht. Die Frauen sitzen daheim bei den Kindern und sind ans Haus gebunden.
Und dann leben wir hier mitten in der Natur. Man muss sich an die Tierwelt gewöhnen. Spinnen, Schlangen, Wanderameisen. Also ich kenn viele, da sind nur die Männer geblieben und die Frauen sind wieder nach Deutschland zurückgekehrt.“
Evelyns abgeklärte Worte sind deutlich. Nur ein Teil der Deutschen, die heute als Glücksritter kommen, werden wohl dauerhaft in Paraguay bleiben. Und es werden wohl auch weniger kommen. Denn Paraguay bleibt zwar nach wie vor ein Land, das die Einwanderung leicht macht, aber seit Mitte Januar gibt es eine neue Vorschrift: Eine Einreise ist nur noch mit einer vollständigen Covid-Schutz-Impfung möglich.

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