Vor 40 Jahren starb Jacques Brel

Lieder voller Wut und Verzweiflung

Der Sänger und Schauspieler Jacques Brel in dem Film L'AVENTURE, C'EST L'AVENTURE aus dem Jahr 1972.
Der Sänger und Schauspieler Jacques Brel in dem Film L'AVENTURE, C'EST L'AVENTURE aus dem Jahr 1972. © dpa / Courtesy Everett Collection
Von Laf Überland · 09.10.2018
Er packte die ganz großen Dramen des Lebens in ein Drei-Minuten-Chansonformat und sang an gegen die Bigotterie der Spießer: Jacues Brel war eigentlich Belgier, gilt aber als der französische Chansonier schlechthin. Vor 40 Jahren starb er mit gerade mal 49.
Schlaksig, fahrig, immer ein bisschen hilflos: Jacques Brel hatte mehr von einem amerikanischen Beatnik als von den düster gedankenverhangenen Existentialisten, die in den Sechzigern in den Pariser Kneipen hockten.
Jacques Brel - der französische Chansonnier, der eigentlich Belgier war, ein Flame vom platten Land, das er hasste, weil aus seiner Plattheit so deutlich sichtbar die Bigotterie, die Verlogenheit und Bösartigkeit der Spießer aufragte. Die konnte Jacques Brel nicht ertragen.
Brel war ein Sohn aus gutem Hause, studierte, stieg in die Kartonfabrik seines Vaters ein: Und dann, eines Tages, mit 24, ging er weg - verließ sein Erbe, seine Frau und die drei Kinder und stand dann plötzlich in Paris mit einer Gitarre in der Hand.
Er sang sich durch Bistros und Avantgardeclubs, jahrelang, denn zwar wollte er ja eigentlich nur schreiben, aber niemand außer Juliette Gréco und Gilbert Bécaud wollte seine schrecklichen Lieder singen: zu bitter und doch voll von zu viel Wut und Liebe und Verzweiflung und Hoffnung!
Der belgische Chanson-Sänger Jacques Brel bei einem Auftritt im Olympia in Paris im  Oktober 1966.
Der belgische Chanson-Sänger Jacques Brel bei einem Auftritt im Olympia in Paris im Oktober 1966.© dpa / AFP
Jacques Brel schrie nach Leben, während er davon sang, was es kaputt macht: Einsamkeit, Resignation, Scheinheiligkeit, Feigheit, Egoismus, Ungerechtigkeit der Herrschenden. Und von der proletarischen Aufrichtigkeit noch im Elend sang er - von ehrlichen Huren und besoffenen Matrosen im Hafen von Amsterdam.

Konzerte wie Gottesdienste

Und das waren Gottesdienste, wenn er seine Lieder sang: Drei Sprünge auf die Bühne, dann bleckte er einmal kurz sein Pferdegebiss, und dann spuckte er die Texte ins Mikrophon; von seiner Stirn rannen Schweißbäche in den weißen Hemdkragen, er fuchtelte mit den Armen, verbog sein Gesicht; er sang voller Pathos, dann plötzlich frivol und salopp, dann aggressiv und bösartig sogar, voll von schwarzem Humor.
Er sang gegen die Bürger, die Bigotten, und stellte sie hämisch mit dem ganzen Körper dar: Die Bourgeois sind wie die Schweine, sang Jacques Brel.
Die klaren Sätze der ersten Strophe begannen in der zweiten dann zu wuchern - und wucherten alles zu, schwindelerregend! Der Gesang drehte durch, das Orchester versuchte eine Weile mitzuhalten, dann gab es auf, während Brels Stimme sich überschlug, das Ende der Lieder war oft gar nicht mehr auskomponiert. Die Stücke waren zu Ende, wenn Brels körperliche Kraft aufhörte. Und nach 45 Minuten waren Jacques Brel, das Orchester und das Publikum gleichermaßen ausgepowert.
Bei jeder Soiree - zuletzt absolvierte er 300 im Jahr und legte dabei eine Strecke zurück wie von der Erde zum Mond: Bei jeder Soiree verlor er 600 Gramm, die er sich durch vier Flaschen Bier, direkt nach jedem Konzert schnell weggehauen, wieder draufschaffte, damit er nicht zu dünn wurde.

Rückzug nach Polynesien

Aber das ging nicht ewig so weiter: 1966 zog er sich von der Bühne zurück, und 1974, nachdem die Ärzte bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert hatten, ging er dann ganz - dahin, wo er das Paradies vermutete, auf die Marquesas-Inseln, nach Polynesien, wo der Maler Gauguin sein Paradies gefunden hatte.
Aber Brel kam dann doch noch mal zurück, der Nestbeschmutzer: Und während die Jugend aus ihm inzwischen einen Mythos fabriziert hatte, hassten die Bürger und Kleinbürger ihn noch mehr – besonders in Belgien, seinem Geburtsland, auf das er am heftigsten draufgehauen hatte in seinen Liedern.
Als seine letzte Platte rauskam, die er sterbenskrank aufgenommen hatte, hängten deshalb viele Plattenhändler, noch bevor die Platte überhaupt rausgekommen war, das Schild raus: Brel ist ausverkauft! Und am Tag, nachdem er gestorben war, malte ein Unbekannter auf eine Brücke zwischen Lüttich und Antwerpen in großen Lettern: "Hurra! Brel ist tot!"
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