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Unterwegs mit Grabräubern

Das von Kunsträubern besonders heimgesuchte Italien kämpft gegen den illegalen Kunsthandel. Dazu gehören ausgedehnte Razzien und der Prozess gegen die Kuratorin des Getty-Museums, Marion True. Aber wer einmal mit einem Kunsträuber unterwegs war, der weiß, dass das alles nicht so einfach ist.

Von Thomas Migge | 10.01.2006
    " Der Prozess in Rom sorgt unter uns Tombaroli schon für Interesse. Irgendwie soll es uns da ja auch an den Kragen gehen, denn wir sind es ja, die denen das Zeug beschaffen. "

    Aldo ist ein "Tombarolo", wie man im Italienischen einen professionellen Kunstdieb nennt. Das Wort kommt von "Tomba", Grab, und bedeutet wörtlich Grabräuber. Viele "Tombaroli" kümmern sich nicht nur um etruskische oder römische Gräber, sondern ganz allgemein um antike Kunst - egal, ob sie aus Gräbern kommt oder nicht. Aldo ist Kunstdieb - eine jener undurchsichtigen Gestalten, die vor allem nachts in ländlichen Gegenden auf die Suche nach antiken Gräbern gehen oder sich an Grabungsorten wie zum Beispiel in Pompeji zu schaffen machen. Gegen Zahlung von Schmiergeldern, die er seinen Kunden in Rechnung stellt, besticht er die jeweiligen Wachleute in archäologischen Grabungsgebieten, damit sie beide Augen zudrücken:

    " So funktioniert das hier. Schon mein Vater versorgte Händler mit antiken Gegenständen. Das ist mein Hauptverdienst und ich kann nicht klagen. Die meisten meiner Kunden sind Italiener. Die verkaufen das Zeug dann ins Ausland, vor allem in die Schweiz. "

    Aldo lebt in Apulien, aber sein Hauptarbeitsgebiet liegt im Großraum Neapel. In Pompeji und Herkulaneum, jener zweiten Stadt, die im Jahr 79 nach Christus in Folge des Ausbruchs des Vesuv unter einer Aschen- und Lavaschicht begraben wurde. Wie in Pompeji so wird auch in Herkulaneum immer noch gegraben. Nur Teile der beiden antiken Städte sind bisher aus dem Erdreich hervorgeholt worden. Nicht nur für Archäologen gibt es dort Arbeit. Auch professionelle Kunstdiebe wie Aldo haben alle Hände voll zu tun. Der junge Mann aus Apulien hat einige Semester Kunstgeschichte studiert bevor er wie sein Vater "Tombarolo" wurde.

    " Er nahm mit, da war ich vielleicht 15 Jahre alt, als er nachts im Norden Roms nach etruskischen Gräbern suchte, die von Archäologen noch nicht entdeckt und erforscht worden waren. Bei ihm lernte ich ganz vorsichtig mit der antiken Kunst umzugehen. Das ist ja unser Kulturgut! Und dann bringt ein komplett erhaltener Gegenstand auf dem Kunstmarkt mehr Geld ein als ein Objekt, das zerbrochen ist. "

    Aldo beliefert auch Kunden in Rom und in Neapel. In der Regel handelt es sich um wohlhabende Bürger. Oft sind es Rechtsanwälte und auch Politiker, die einen wertvollen antiken Gegenstand in ihrem Wohnzimmer ausstellen möchten: eine antike bemalte Vase aus der römischen Epoche, einen altgriechischen Marmortorso oder von Wänden abgenommene Freskenteile. Aldo versorgt seinen Kunden in der Regel persönlich mit Objekten, die er nachts allein ausgräbt, säubert und, wenn nötig, ein wenig restauriert. Er beliefert aber auch Zwischenhändler, die diese Raubkunst weiterverkaufen: an ausländische Sammler wie auch an Museen.

    Aldo ist davon überzeugt, dass eine Verurteilung der Angeklagten im Fall des Getty-Museums nicht viel an der Situation des weitverbreiteten Kunstdiebstahls ändern würde. Er weiß aus eigener Erfahrung, dass der illegale Kunsthandel wie geschmiert funktioniert: die von ihm unerlaubterweise aus dem Erdreich geholten antiken Kunstwerke oder aus Ruinen wie in Herkulaneum gestohlenen Objekte finden reißenden Absatz. In Italien wie auch im Ausland.

    " Das wird sich nicht ändern, wenn das jemand verurteilt wird. Sie haben ja gar keine Ahnung davon, wie viele Antiquitätenhändler unsere Sachen kaufen. Wie sollen die sonst auch an die antike Kunst kommen, wenn wir sie ihnen nicht besorgen würden?. "

    Eine Einschätzung, die auch von den Beamten der römischen Kunstpolizei geteilt wird, der weltweit einzigen Polizeieinheit, die sich auf die Aufdeckung von Antikendiebstählen konzentriert hat. Die Beamten wissen nur zu genau, dass sich tausende und abertausende von italienischen Grabungsstätten nicht umfassend kontrollieren lassen. Hinzu kommt, dass das wachhabende Personal unterbezahlt ist und deshalb die Geldspritzen der Kunstdiebe - die ihrerseit von Kunsthändler mit viel Geld versorgt werden - gut gebrauchen kann. Ein circulus vitiosus, den auch ein spektakuläres Gerichtsurteil wie im Fall des Getty-Museums nicht unterbrechen wird.
    Marion True, ehemalige Kuratorin des J.Paul Getty Museums in Kalifornien, verlässt einen Gerichtssaal in Rom.
    Marion True, ehemalige Kuratorin des J.Paul Getty Museums in Kalifornien, vor einem Gerichtssaal in Rom. (AP)