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Umstrittene Holzlieferverträge
Nordrhein-Westfalens Wäldern droht Kahlschlag

Als Orkan Kyrill vor sieben Jahren für den großen Wald-Kahlschlag sorgte, schloss Nordrhein-Westfalen notgedrungen Lieferverträge mit zahlreichen Sägewerken. Das Sturmholz war nach zwei Jahren vermarktet, die Verträge laufen bis heute. Doch sie zu erfüllen, würde die Wälder unverhältnismäßig stark belasten.

Von Susanne Kuhlmann | 27.02.2014
    Als Kyrill sich ausgetobt hatte, lagen im Sauerland und im Siegerland komplette Fichtenbestände am Boden. Die damalige schwarz-gelbe Landesregierung in Düsseldorf schloss kurze Zeit später Holzlieferverträge mit einigen großen Sägewerken ab, um das Sturmholz schnell vermarkten zu können. Diese sogenannten Klausner-Verträge, benannt nach einem großen Sägeunternehmen aus Österreich, sehen vor, bis 2014 jährlich 500.000 Festmeter Holz zu festgelegten Preisen zu liefern. Diese Verträge ermöglichten, das Sturmholz zu verkaufen, bevor es verrottete.
    "Allerdings kann man sehr deutlich erkennen, dass dies nur ein Vorwand war, denn mit diesen Rahmenverträgen wurde eben nicht Kyrill-Holz verkauft, sondern zu 75 Prozent sogenanntes Frischholz für die nächsten Jahre, also Holz, was noch eingeschlagen werden musste."
    Peter Knitsch: So viel Holz steht nicht bei uns in den Wäldern
    Andreas Schulte ist Waldökologe und Professor am Waldinstitut der Universität Münster. Im Auftrag kleiner und mittelständischer Sägereien verfasste er 2008 ein vernichtendes Gutachten über die Holzlieferverträge. Nordrhein-Westfalen könne gar nicht so viel Holz liefern wie zugesichert, schreibt er darin. Die Landesregierung hätte die Verträge in dieser Form nicht abschließen dürfen. Die heutige rot-grüne Landesregierung sieht das auch so. Peter Knitsch, Staatssekretär im Umweltministerium, über die Verträge der Vorgängerregierung:
    "Klar ist, dass sie jedenfalls, was das Holz angeht, aus dem nordrhein-westfälischen Wald nicht erfüllt werden können. So viel Holz steht nicht bei uns in den Wäldern. Selbst wenn man – was wir nicht tun werden – gegen Prinzipien der Nachhaltigkeit verstoßen würde, würden wir dies Holz in dem Umfang, wie es damals versprochen worden ist, nicht liefern können."
    Was zu Schadenersatzforderungen geführt hat. Die österreichische Klausner-Gruppe gewann im vergangenen Herbst eine entsprechende Klage. Der Rechtsstreit dürfte aber noch geraume Zeit andauern, denn die Landesregierung versucht nun, die Lieferverträge für ungültig erklären zu lassen.
    "Aus unserer Sicht sind die Verträge, die damals beschlossen worden sind, rechtswidrig, beihilfewidrig und deswegen null und nichtig und vom Land nicht zu erfüllen."
    Das lässt Nordrhein-Westfalen zurzeit in Brüssel überprüfen. Bis über diese Frage entschieden ist, hat die Landesregierung die Holzlieferungen komplett ausgesetzt.
    Vor diesem Hintergrund sorgten kürzlich Baumfällaktionen im Nationalpark Eifel für Schlagzeilen. Die Landesregierung ließ eine Fläche von acht Hektar kahlschlagen, und schnell kam der Verdacht auf, dass die umstrittenen Lieferverträge mit diesem Holz doch erfüllt werden sollten. Tatsächlich steckt hinter dem Kahlschlag aber ein Projekt der Helmholtz-Gemeinschaft und des Forschungszentrums Jülich über Wälder in Bachtälern. Fichten mussten weichen, um Platz für die Entwicklung von Laubwäldern zu schaffen. Das Holz wird zwar zumindest zum Teil ebenfalls verkauft, allerdings unabhängig von den Kyrill-Lieferverträgen. Es geht überwiegend an kleine und mittelständische Unternehmen in Nordrhein-Westfalen, erläutert Umweltstaatssekretär Peter Knitsch.
    "Aber es sind vollkommen neue Verträge, die wir diskriminierungsfrei aus kartellrechtlichen Gründen mit diesen Firmen abschließen müssen, die nichts mit den alten Verträgen zu tun haben. Die neuen Verträge basieren auf heute üblichen Marktpreisen und nicht auf Konditionen, die damals vereinbart worden sind, die aus unserer Sicht auch schlechte Konditionen gewesen sind."
    Andreas Schulte vom Waldinstitut Münster hält einen Kahlschlag dieser Größenordnung allerdings für nicht zeitgemäß, auch nicht im Rahmen eines Forschungsprojektes.
    "Die Maßnahmen an sich sind aus waldökologischer Sicht absolut zu kritisieren. Kahlschläge mit der Zielsetzung des Naturschutzes – das ist seit etwa 100 Jahren überholt. Es gibt genügend Hinweise, dass diese Kahlschläge wesentlich mehr Schaden anrichten als gegebenenfalls eventuell zukünftig an Naturschutznutzen. Die wären auch durch das Landesforstgesetz nicht gedeckt."
    Aber auch er geht davon aus, dass die Forschungsfläche in der Eifel der einzige Kahlschlag dieser Größenordnung in Nordrhein-Westfalen bleibt. Der nächste droht, sollte die Landesregierung die Schadenersatzforderung des österreichischen Holzkonzerns erfüllen müssen – und zwar im Steuersäckel Nordrhein-Westfalens.