Wettlesen am Wörthersee

Von Sigried Wesener · 01.07.2007
Nach mehreren Stichwahlen und heftigen Debatten wurde der Gewinner gekürt: Lutz Seiler ist Sieger des 31. Ingeborg-Bachmann-Preises. Vorausgegangen waren Unstimmigkeiten in der Jury und die Weigerung einiger Juroren, überhaupt abzustimmen. Der Vorwurf, der Wettbewerb sei eine literarische Parallelwelt, traf nicht zu.
Nach 18 Stunden Literaturperformance in Klagenfurt haben die Literaturkritiker und Zuschauer mit vielen Fragezeichen auf die Preisverleihung geschaut. Zwar hoben sich nach den Lesungen die Favoriten deutlich heraus, aber das Taktieren der Jury und schließlich das Abstimmungsprocedere haben immer wieder gezeigt, dass auch gute Texte ohne Preis am Wörthersee bleiben können. Nicht ohne Grund hat Jurorin Ursula März während des Wettbewerbs ihr Unbehagen artikuliert, dass sie sich bisweilen in einer literarischen Parallelwelt empfinde, weil Texte durchfallen, die außerhalb dieser Veranstaltung hoch geschätzt werden.

Dennoch, dass Lutz Seiler der Ingeborg-Bachmann-Preisträger 2007 heißt, hat Schieflagen in den Debatten der Jury wieder ausgeglichen.

Lutz Seiler hat bisher Gedichte und Essays veröffentlicht. Er las einen Auszug aus seiner ersten großen Prosaarbeit: Ein Spezialist für künstliche Städte - für Städte im Nichts - wie die russische Übersetzerin sagt, ist unterwegs mit der TurkSib, der Turkmenisch-Sibirischen Eisenbahn. Im Gepäck ein illegal aufgetriebener Geigerzähler, ein Hinweis auf den Zustand einer mythisch aufgeladenen und gleichzeitig realen Landschaft. Abgründe lauern im Schotter des Bahndamms. Höhepunkt dieses Textes ist eine Begegnung mit einem Heizer, der in dem Reisenden einen Deutschen erkennt und sich ihm aufdrängt.

Ijoma Mangold, erstmals Juror und überzeugend im Urteil, begeisterte sich über den Siegertext von Lutz Seiler, der den mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg Bachmann-Preis erhält.

Wie in den Vorjahren dominierten die Gäste aus Deutschland den Wettbewerb und: sie bestimmten auch das Finale. Bis auf Thomas Stangl. Der gebürtige Wiener hatte im Wettbewerb nur einen Teil der Juroren überzeugen können mit einem kunstfertig gebauten Text über einen Einzelgänger, der durch Raum und Zeit streift: eine österreichische Variante des Rimbaudschen "Ich ist ein anderer".

Thomas Stangl setzte sich erst in einer Stichwahl durch und wurde mit dem zweithöchsten Preis von der Telekom Austria ausgezeichnet. Die Schattenseiten der Existenz, Krankheit und Altersdemenz, Geschlechterkampf, der ungeborene Bruder, der Psychokrieg in einer Patchworkfamilie sind Stichworte für die Themen der hier vorgestellten Prosa. Die komischen Seiten des Lebens waren deutlich unterbelichtet, das Lachen blieb meist ausgesperrt oder im Halse stecken.

Und dann kam ein PeterLicht, der als Sänger und vor allem durch die Verweigerung, seinen Kopf im Fernsehen zu zeigen, Aufmerksamkeit erregt, und ließ seinen Erzähler sagen: "Es ging mir gut: obwohl die Wohnung, das Sofa, das Leben ins Rutschen geraten". "Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausend" brachte PeterLicht ebenfalls erst nach zweifacher Stichwahl den 3-sat-Preis und den Satz aus der Jury: "Hier ist ein Liedermacher in die Welt der Literatur gewechselt". Auch das Publikum lachte anhaltend über den fröhlichen Niedergang.
Dass allerdings im Wettbewerb gleich drei Juroren kein Urteil zu PeterLichts Text abgegeben haben, und wie Carl Corino erst im Nachhinein auf die Überschätzung des Urteils hinwiesen, gehört zu den ärgerlichen Momenten in Klagenfurt, weil weder Juryvorsitzende noch Moderator das Votum aller Kritiker einforderten.

Jan Böttcher aus Berlin, Sänger, Texter, Mitbegründer von kook-book, erhielt ebenfalls nach Stichwahlen den Ernst-Willner-Preis, der von Verlagen gestiftet wird. Er schreibt sich in seiner Erzählung "Freundwärts" zurück in die Provinz, in das ehemalige Zonenrandgebiet, einer Enklave, die inzwischen wieder zu Niedersachsen gehört. In den Biografien einer Restfamilie, die aus Enkel, Vater, Großvater besteht, zeigt sich deutsche Geschichte.

Der Verlierer des 31. Wettbewerbs ist Jochen Schmidt, Gewinner des open mike 1999, Protagonist der Berliner Lesebühne "Chaussee der Enthusiasten". Er hatte es endlich nach Klagenfurt geschafft mit "Abschied aus einer Umlaufbahn". Mehrfach in der Stichwahl, unterlag er dann doch dem Mehrheitsvotum. Und auch der junge Jörg Albrecht mit seiner Multi-Media-Schau hätte in den Entscheidungen nicht übergangen werden dürfen.

Denn auch der Publikumspreis ging an PeterLicht und möglicherweise ist hier die Parallelwelt der Literatur, die Ursula März befürchtete, aufgehoben, denn hier sprachen die Leser und Zuschauer per Mausklick.
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