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Nachruf auf Zygmunt Bauman
Vom Funktionär zum Skeptiker

Er war Opfer und Täter: Als Kind eines jüdischen Kaufmanns floh Zygmunt Bauman mit seiner Familie aus Polen. Später bekämpfte er dort den antikommunistischen Untergrund. Als Wissenschaftler wurde er öffentlich angepöbelt , boykottiert und als "Kanaille" bezeichnet. Nun ist der Sozialphilosoph im Alter von 91 Jahren gestorben.

Von Martin Sander | 10.01.2017
    Zygmunt Bauman (1925−2017) im März 2013 bei einer Buchvorstellung in Barcelona
    Zygmunt Bauman (1925−2017) im März 2013 bei einer Buchvorstellung in Barcelona (dpa / picture alliance / EPA / Toni Albir)
    Als Zygmunt Bauman einem breiten internationalen Publikum bekannt wurde, hatte er bereits die 60 überschritten. Erst nach seiner Emeritierung als Soziologieprofessor in Leeds sei er zum Arbeiten gekommen, bemerkte er einmal. Ganz ernst gemeint war das wohl nicht, denn auch vorher hatte er so manches Feld beackert – von Lenins Zentralismus über die angelsächsische Arbeiterbewegung bis zur Kultur als Praxis.
    Internationales Aufsehen aber erregte er dann 1989 mit seiner Studie "Die Moderne und der Holocaust". Im Gegensatz zum wissenschaftlichen Mainstream kam die Ermordung der europäischen Juden bei ihm nicht als Sonderfall der Geschichte, als Atavismus oder als ein aus antisemitischer Tradition erwachsenes Völkerverbrechen vor, sondern als logische, wenn auch nicht zwangsläufige Folge einer aufgeklärten Moderne. Bauman:
    "Es wäre gewiss eine unzulässige Übertreibung, den Holocaust als notwendiges Produkt der Moderne zu bezeichnen. Dennoch: Der Holocaust war ein legales Kind der Moderne, kein Bastard. Er geschah in Übereinstimmung mit dem Geist dieser Zivilisation."
    Der moderne Staat agiere wie ein Gärtner, dem es um die immer perfektere Trennung des Nützlichen vom Nutzlosen gehe. Wen dieser gärtnernde Staat zum Unkraut verdamme, hänge von den Umständen ab. Genozide seien immer möglich und nicht an eine bestimmte Opfergruppe gebunden – der Holocaust somit wiederholbar.
    Mehr noch: Auch die bürgerlichen Demokratien gärtnerten fleißig, nur schreckten sie vor den letzten inhumanen Konsequenzen ihres Tuns zurück – im Gegensatz zu den sich auf die Macht der Masse berufenden Diktaturen. Zygmunt Bauman, der 1925 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Posen zur Welt kam, war selbst in das System der gärtnernden Moderne verstrickt – als Opfer und als Täter.
    Stationen eines Lebens: Flucht – Kampf - Wissenschaft
    Baumans Familie floh nach dem Überfall Hitlers auf Polen in die Sowjetunion. Zygmunt Baumann diente in der Roten Armee und kehrte 1945 nach Polen zurück. Dort bekämpfte er als politischer Offizier des Sicherheitsdienstes den antikommunistischen Untergrund und war zudem einige Jahre als Agent des Militärgeheimdienstes registriert. 1953 gab man ihm wegen politischer Unzuverlässigkeit den Laufpass. Bauman widmete sich fortan der Wissenschaft. Er habilitierte an der Universität Warschau, leitete dort den Lehrstuhl für Soziologie, bis die Parteioberen ihn 1968 im Rahmen ihrer antisemitischen Kampagne hinauswarfen. Über Israel gelangte Bauman nach Leeds in Großbritannien.
    Wenn Zygmunt Bauman in den letzten Jahren Polen als Gastvortragender besuchte, musste er mit Pöbeleien und Boykott durch die rechtsnationale Szene rechnen. Auf die Verleihung einer Ehrendoktorwürde in Breslau verzichtete er vorsorglich – unter dem Beifall seiner Gegner. Mehrfach wurde er öffentlich als Kanaille geschmäht, auch durch den prominenten nationalkonservativen Publizisten Bronisław Wildstein:
    "Wir kennen viele hervorragende Intellektuelle, die Kanaillen waren, die Schreckliches taten, dennoch lohnt die Auseinandersetzung mit ihrem Denken. Andererseits: Wenn jemand eine Rolle im gesellschaftlichen Leben spielt, dann müssen wir von ihm verlangen, dass er sich seiner Vergangenheit stellt."
    Zygmunt Bauman hat sich zu seiner stalinistischen Vergangenheit bekannt, wenn auch spät, knapp und ohne Demut. Was seine Gegner jedoch meist ignorieren: Bauman hat als Sozialphilosoph seit vielen Jahren Totalitarismus und totalitäre Gesellschaftsstrukturen analysiert – aus einem sozialdemokratischen und Nationalismus kritischen Blickwinkel. Als Grundproblem der klassischen Moderne erscheint bei ihm die Ablehnung von Ambivalenz, erkennbar etwa an dem Beharren auf Assimilation des Fremden. Bauman:

    "Man muss der Wahrheit ins Auge sehen. Die Welt wird jetzt schon und sie wird in Zukunft noch viel mehr zu einem Archipel der Diasporen werden."
    Mit Zygmunt Bauman starb einer der großen Sozialphilosophen unserer Zeit.