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"Es sind noch sehr, sehr viele Fragezeichen"

Christian Schmidt (CSU), parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium, und Hellmut Königshaus (FDP), Wehrbeauftragten des Bundestags, nehmen Stellung zur Frage nach den Chancen für eine Abzugsperspektive und der Frage, ob die Bundeswehr überhaupt ausreichend ausgestattet ist.

Christian Schmidt und Hellmut Königshaus im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 20.07.2010
    Bis zum Jahr 2014 soll die Verantwortung für die Sicherheit in Afghanistan auf die örtlichen Behörden übergeben werden, fordert Außenminister Guido Westerwelle (FDP). Ist dieses Ziel erreichbar? Darum geht es unter anderem bei der ersten großen internationalen Konferenz, die in Kabul stattfindet.

    Dirk-Oliver Heckmann: Und am Telefon hat mitgehört Christian Schmidt von der CSU. Er ist der parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Guten Morgen, Herr Schmidt!

    Christian Schmidt: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Schmidt, NATO-Generalsekretär Rasmussen hat dieser Tage gesagt, man habe den Einsatz in Afghanistan unterschätzt, und der Verteidigungsminister zu Guttenberg, der hat gesagt, dass der Einsatz von Beginn an verharmlost worden sei, nicht vorsätzlich, sondern aus Überforderung. Haben auch Sie sich an dieser Verharmlosung beteiligt?

    Schmidt: Wir hatten zu Beginn, als wir in Afghanistan zu rot-grüner Zeit dorthin gegangen sind, wir hatten das unterstützt, aber dass der damalige Bundeskanzler Schröder ja die Vertrauensfrage bemühen musste, um überhaupt in seiner eigenen Fraktion und Koalition eine Mehrheit zu bekommen, das zeigt, wie innenpolitisch umstritten das war. Und da waren dann schon auch mehr symbolpolitische als wirklich entschlossene Entscheidungen da, das ist richtig.

    Heckmann: Der Juni war mit 102 Gefallenen der verlustreichste Monat seit Beginn des Einsatzes, auch gestern wieder gab es vier deutsche Soldaten, die leicht verletzt wurden, sechs afghanische Polizisten, zwei US-Soldaten wurden getötet. Die Zahl der zivilen Opfer ist auf einem Höchststand. Ist also Afghanistan auf einem guten Weg, kann man das wirklich sagen?

    Schmidt: Es ist ein durchwachsener Weg. Es sind noch sehr, sehr viele Fragezeichen, die ja gerade bei der Konferenz heute auch auf die Tagesordnung kommen. Das hat nicht nur mit Militär zu tun, sondern vor allem mit der Frage, wie eigentlich die afghanische Regierung selbst sich aufstellt und was sie dazu tut, um ihr Land auf dem rechten Weg zu halten. Ich glaube nicht, dass es in Afghanistan einen Wunsch danach gibt, der Bevölkerung, dass die Taliban wieder zurückkehren sollten, ganz im Gegenteil. Unsere Sorge ist ja eigentlich vor allem die, dass ein destabilisiertes Pakistan, Afghanistan – ich hab das Wort Pakistan schon genannt – dann auch Auswirkungen auf die Stabilität der Nachbarländer einschließlich Pakistan haben könnte. Da können wir überhaupt kein Interesse dran haben, schon allein deswegen, weil die Region an sich ja hoch kritisch ist. Ich möchte nur dran erinnern, dass wir mit Pakistan und Indien ja auch zwei Atommächte in der Nähe, in der Nachbarschaft haben.

    Heckmann: Herr Schmidt, im kommenden Jahr sollen schon erste Provinzen an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben werden. Eine dieser Provinzen soll auch im Bereich der Bundeswehr liegen, und ab 2014 – so jedenfalls stellt es sich die afghanische Regierung auch vor – sollen nur noch ein paar Tausend ausländische Soldaten im Land stehen, um Sicherheitskräfte auszubilden. Außenminister Guido Westerwelle hat gefordert, dass dieses Datum 2014 in das Abschlussdokument aufgenommen wird. Aber ist dieses Datum denn überhaupt realistisch oder wird den Menschen hier Sand in die Augen gestreut?

    Schmidt: Es ist zum einen eine Folge ja der Londoner Konferenz, die wir auch seitens der Bundesregierung und der Bundeskanzlerin angestoßen hatten im Frühjahr dieses Jahres, ein Follow-up, wie man sagt, und da müssen die Afghanen nun zeigen, dass sie auch die dortigen Versprechungen in der Lage waren und sind umzusetzen. Wir sprechen davon, dass bis zu 300.000 afghanische Sicherheitskräfte – sowohl Militär als auch Polizei zusammengerechnet – dann bis zum Ende diesen Jahres einsatzfähig sein sollen. Wenn man nicht einen Druck ausübt, der auch zeitlich sich Grenzen setzt, dann besteht die Gefahr, dass eher Lethargie sich fortsetzt.

    Heckmann: Aber mit Verlaub, das hören wir schon seit einigen Jahren.

    Schmidt: Ja, ja, deswegen reden wir ja auch über das, was ich zu Beginn gesagt hatte: Am Anfang war man zu wenig, zu viel Symbol, zu wenig wirkliches Commitment der internationalen Gemeinschaft, die Afghanen mit einzubeziehen. Das hat sich geändert, und dass das nicht einfach ist, hat sich alleine ja gezeigt, nachdem wir sehen, dass die Regierung Karsai sagen wir mal mit vielen Fragezeichen von guter Regierungsführung verbunden ist. Das muss jetzt aufgelöst werden. Es wird nicht das Paradies auf Erden sein, aber allein die Tatsache, dass wir – Sie hatten es angesprochen, Herr Heckmann – durchaus in einigen Regionen uns es zutrauen, auf afghanische Schultern die Sicherheitsfrage zu übertragen, zeigt, dass die Situation durchwachsen ist. Es gibt Besseres und Schlechteres, und wir wollen gerade nun sozusagen den Druck erhöhen, den Druck im Kessel erhöhen, dass wirklich sich etwas ändert. Es kann nicht sein, dass wir in zehn Jahren den gleichen Befund haben wie heute.

    Heckmann: Herr Schmidt, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am Sonntag, da war von heftiger interner Kritik zu lesen. Die Ausrüstung der deutschen Soldaten in Afghanistan sei mangelhaft: Es gebe zu wenig Munition zum Üben, zu wenig geschützte Fahrzeuge, Nachtsichtbrillen, Wärmebildgeräte. Ist diese Kritik aus Ihrer Sicht an den Haaren herbeigezogen?

    Schmidt: Es ist nicht aus den Haaren herbeigezogen, sie ist eher oft überinterpretiert. Das sage ich nicht, um das irgendwie abzuglätten und abzuschleifen. Ich sage auch, ich will auch gar nicht das in Bezug setzen zu dem, was andere Heere und Armeen in Afghanistan an Ausrüstungsschwierigkeiten so melden, aber ich muss natürlich sagen, dass die Verbesserungen, die wir da machen, schon evident sind. Ich war gerade diese Woche in Hammelburg und habe mich da umgesehen über das, wie die vorbereitende Ausbildung für den Einsatz ist, und zum Beispiel die Kritik, dass der Dingo, eines unserer besten Fahrzeuge in Afghanistan, geschützten Fahrzeuge, nicht für die Ausbildung zu Hause vorhanden ist, diese Vorwürfe oder diese Kritikpunkte, die können wir doch sehr als abgehakt betrachten. Die Dinge sind besser geworden, aber das sind übrigens – auch wenn ich alleine an die Hubschrauber denke, die Sie nicht angesprochen haben, die uns aber schon eine gewisse Sorge bereiten – sehen wir in der Tatsache, dass es seit Jahren Hubschrauber eigentlich bestellt haben und auch bereit wären, sie zu bezahlen, sie leider noch nicht geliefert werden können, sodass wir dankbar sind, dass die Amerikaner uns unterstützen. Also das wird immer ein Prozess sein, den man nüchtern und ruhig, aber auch mit Entschlossenheit betrachten muss. Also ich ... das wird es immer wieder geben, das fehlt, das muss noch kommen. Aber ich glaube schon, dass wir unserer Verantwortung da sehr gerecht werden.

    Heckmann: Der parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Christian Schmidt von der CSU. Besten Dank für das Gespräch! Und auf der anderen Leitung hat mitgehört Hellmut Königshaus von der FDP. Er ist der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags. Guten Morgen, Herr Königshaus!

    Königshaus: Schönen guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Königshaus, ich hab die Kritik zusammengefasst, die am Wochenende zu lesen war in den Sonntagszeitungen – wie berechtigt sind aus Ihrer Sicht denn die Klagen, die da formuliert wurden? Oder sind diese Themen weitgehend abgehakt, wie Herr Schmidt gerade eben erwähnt hat?

    Königshaus: Also nach meinen Beobachtungen sind sie nicht vollständig abgehakt – es gibt Verbesserungen, es gibt Bemühungen, das ist vollkommen unbestreitbar –, aber es reicht natürlich noch lange nicht. Also was insbesondere die Möglichkeiten angeht, nun mit entsprechenden Fahrzeugen, mit denen die Soldaten dann im Einsatzgebiet fahren sollen, hier im Inland bei der Einsatzvorbereitung zu üben, muss ich sagen, ich habe gerade letzte Woche einen Truppenbesuch gemacht bei einem Kontingent, das demnächst oder bei einer Einheit, die demnächst nach Afghanistan geht, und die haben mir berichtet, sie fahren üblicherweise mit handelsüblichen, ganz normalen Fahrzeugen und sind dann nach Hammelburg mit einigen ihrer Soldaten kommandiert worden, die Kraftfahrer, aber wurden dann zum größten Teil wieder zurückgeschickt, weil eben nicht genügend Dingos zur Verfügung standen. Und das bedeutet eben nach wie vor Learning by Doing im Einsatzgebiet, das ist natürlich sehr problematisch.

    Heckmann: Aber Herr Königshaus, das sind ja Kritikpunkte, die schon seit Jahren eigentlich immer wieder angeführt werden von Ihnen, aber auch von Ihrem Vorgänger Herrn Robbe.

    Königshaus: Ja, richtig. Nun muss man allerdings auch einräumen, dass es Dingos und andere geschützte Fahrzeuge nicht einfach bei Aldi an der Ecke zu kaufen gibt, sondern die muss man langfristig vorher bestellen. Und insofern kann ich jetzt dem parlamentarischen Staatssekretär schon zustimmen, dass man sich jetzt bemüht hat, dort möglichst bald und möglichst schnell diese Menge auszugleichen. Aber wie gesagt, das bedeutet ja noch nicht, dass man etwas bestellt oder etwas anordnet, dass es damit schon umgesetzt ist. Die Probleme für die Soldaten im Einsatz sind nach wie vor vorhanden. Und deshalb erhebe ich ja auch immer mahnend den Finger, auch gerade in diesem Punkt. Wir dürfen in dem Punkt eben nicht nachlassen, wir müssen dort auch mehr, auch mehr Geld in die Hand nehmen, mehr tun. Und das ist ja auch der Grund, warum ich mich in erster Linie auch an das Parlament und an den Haushaltsausschuss und den Verteidigungsausschuss wende. Es geht nicht nur darum, Kritik zu üben am Ministerium und an der Verwaltung, die sich natürlich immer auch in dem Rahmen bemühen muss und bewegen muss, den ihr das Parlament und den ihr die Haushälter vorgeben.

    Heckmann: Das Verteidigungsministerium räumt Mängel ein, aber es sagt auch, es gibt keine richtige, keine reale Sicherheitslücke. Das heißt also, niemand kommt zu Schaden, weil die Ausrüstung nicht stimmt und die Ausbildung?

    Königshaus: Also ich habe den Eindruck, dass es doch durchaus noch einige Punkte gibt, an denen wir nicht nur real verbessern können, sondern real auch verbessern müssen. Der parlamentarische Staatssekretär hat eben auch schon angesprochen die Frage der Hubschrauber. Es geht ja nicht nur darum, dass nun die Amerikaner dort Hubschrauber selbst zur Verfügung stellen, sondern es geht ja auch darum, dass unsere Soldaten dann das Zusammenspiel mit diesen Hubschraubern dann auch üben müssen. Und genau daran fehlt es bei uns ja auch. Ich hab das ja auch angesprochen in meinem Zwischenbericht ans Parlament kürzlich, dass es eben auch an Flugstunden fehlt, um die Hubschrauberbesatzung zu trainieren, aber eben auch die Soldaten, die an diesen Hubschraubern und mit diesen Hubschraubern dann arbeiten sollen. Und auch daran fehlt es. Das sind oftmals im Übrigen auch eher kleinere Sachen, die damit zusammenhängen, dass man deutsche Normen, die für das Zivilleben gestaltet sind, erfüllen muss, obwohl sie eigentlich im Einsatz im Gelände keine oder keine wesentliche Rolle spielen, die aber verhindern, dass man eben wesentliche Schutzeinrichtungen dann dort auch einbauen kann. Nur als Beispiel: Mir wurde gesagt, dass man nach deutschen Normen eben Druckbehälter in den Fahrzeugen, in den Arztfahrzeugen in Griffnähe haben muss. Das macht Sinn, wenn man über den Kurfürstendamm fährt mit einem Verletzten, im Einsatz, wo man eben auch gegebenenfalls von Waffen beschossen wird, von panzerbrechenden Waffen, möchte man Druckbehälter möglichst nicht in Griffnähe haben, sondern möglichst weit weg von sich und vom Verletzten.

    Heckmann: Über die Afghanistankonferenz – an dieser Stelle müssen wir leider einen Punkt machen, Herr Königshaus, weil die Nachrichten kommen. Über die Afghanistankonferenz haben wir gesprochen mit Hellmut Königshaus, dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestags, und über die Kritik daran, dass die Bundeswehr möglicherweise nicht richtig ausgestattet ist. Herr Königshaus, danke Ihnen für das Gespräch!

    Königshaus: Sehr gerne!
    Der neue Wehrbeauftragte des Bundestags, Hellmut Königshaus (FDP)
    Hellmut Königshaus (FDP), Wehrbeauftragter des Bundestages. (AP)