Aus den Feuilletons

Wer Tiere schützen will, muss sie essen

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Wursttheke in einer Metzgerei.
Nach dem Scheitern eines freiwilligen Tierwohllabels für Unternehmen plant CDU-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner nun eine Tierwohlabgabe für Konsumenten. © picture alliance / CHROMORANGE | Udo Herrmann
Von Tobias Wenzel · 20.06.2021
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Die Union will eine Tierwohlabgabe auf Fleisch. "Je mehr Fleisch also gegessen wird, umso besser geht es den Tieren", schreibt Hans Zippert in seiner satirischen "Welt"-Kolumne. Das bedeutet auch: "Wer sich vegan ernährt, der schadet den Tieren."
"In diesem Zirkus treten neben den Akrobaten – Hochseilartisten, Jongleure, Gaukler – eben auch Dompteure auf: Die Kritiker, die ihren Kopf ins Löwenmaul stecken und ihn durchaus verlieren können", erklärt Oliver Jungen in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG metaphernfreudig, was die "Tage der deutschsprachigen Literatur" in Klagenfurt sind.
Dass Nava Ebrahimi den Bachmannpreis für ihren Text "Der Cousin" gewonnen hat, diese Entscheidung der Jury loben alle Feuilletons. Aber an einigen Juroren gibt es sehr wohl etwas auszusetzen, was aber auch zu diesem alljährlichen "Zirkus" dazugehört. Kritiker kritisieren die Kritiken der Kritiker – überhaupt ein Thema in den Feuilletons vom Montag.

Selbstgerechte Schwurbeleien in Klagenfurt

Der Literaturkritiker Oliver Jungen kritisiert in der FAZ die Schriftstellerin Vea Kaiser, ein neues Mitglied der Bachmannpreisjury, als "glatte Fehlbesetzung, weil sie nur subjektive Geschmacksurteile parat" gehabt und "fast alles 'grandios'" gefunden habe.
Der Jurykollege Philipp Tingler habe eine ernste Auseinandersetzung mit literarisch anspruchsvollen Texten erschwert. Denn Tingler habe "in strammer Selbstgefälligkeit alle Diskussionen zu dominieren" versucht, sich "literaturtheoretischen Kategorien" entzogen und stattdessen "Schwurbeleien" hingegeben.
Inwiefern Juror Tingler ihrer Meinung nach schwurbelt, erläutert Marie Schmidt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG so: "Zum Running Gag wurde der Moment, in dem er gefragt wurde, was das denn heiße, wenn er Texte für 'durchscheinend' erkläre. 'Damit meine ich Transzendenz', sagte Tingler bedeutungsschwanger, nämlich, dass eine konkrete Geschichte auf eine allgemeinere gesellschaftliche Situation anspiele. Wie soll man da weiterreden? Ihm sagen, dass 'Transzendenz' etwas anderes bedeutet?"
Gerrit Bartels hat für den TAGESSPIEGEL allerdings beobachtet, dass sich das Publikum durchaus unterhalten fühlte: "Wenn das hie und da Oberlehrerinnenhafte der Jury-Vorsitzenden Insa Wilke auf den Selbstdarstellungsfuror von Philipp Tingler traf."

Aus Menschen werden Mischwesen

"Was der deutschen Literaturkritik fehlt, ist Lockerung. Lockerung, was die Blickrichtung betrifft, in die die Kritiker sich zu starren gewöhnt haben." Das ist kein Zitat zum Bachmannpreis dieses Jahres, sondern ein altes Zitat von Helmut Heißenbüttel. Der Dichter wäre am Montag 100 Jahre alt geworden. Die SZ erinnert unter anderem mit diesem Zitat an ihn. Denn zeitgenössischen Kritikern waren Heißenbüttels Texte oft zu modern.
Gegen "modern" hat der FAZ-Theaterkritiker Simon Strauß nichts einzuwenden. Aber die Leipziger Performance "The Shape of Trouble to Come" von Schauspielerin Sandra Hüller und ihrem Künstlerkollektiv konnte Strauß so gar nicht begeistern.
"Eine Welt, in der eine Bewegung dafür sorgt, dass immer weniger Kinder auf die Welt kommen, und immer mehr Menschen Symbiosen mit Insekten eingehen, also etwa Gene von Schmetterlingen aufnehmen. Nicht mehr das Sein ist wichtig, sondern nur noch das Werden", versucht Strauß in Worte zu fassen, was er da gesehen hat.
Für den Leser klingt es ein wenig, als wäre Strauß in eine Natursekte aufgenommen worden. Auf ihn selbst wirke die Performance "vor allem als wohlständiges Nebenprodukt eines selbstzufriedenen Theaterbetriebs", der "statt einer Geschichte zusammengesuchtes Grünzeug" präsentiere. Apropos Grünzeug und Tiere: Hans Zippert amüsiert sich in seiner satirischen Kolumne für die WELT über die von der Union geplante "Tierwohlabgabe". "Die Abgabe wird auf Fleisch, Wurst, Eier und Milchprodukte erhoben. Je mehr tierische Produkte also gekauft, je mehr Fleisch gegessen wird, umso besser geht es den Tieren", schreibt Zippert. "Damit steht fest, wer sich vegan ernährt, der schadet den Tieren, denn er zahlt keine Abgabe, mit der Folterviehställe zu Wellnessoasen umgebaut werden könnten."
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