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Königshaus als gesellschaftliches Schmiermittel

Das Königshaus ist bei vielen Niederländern beliebt, viele billigen ihm eine wichtige Funktion für ihre Gesellschaft zu. Heute besteigt nach 123 Jahre erstmalig wieder ein Mann den Thron: Willem-Alexander.

Von Annette Riedel | 30.04.2013
    Sonja Blok ist ein bisschen stolz auf die Oranje-Woche, die ‚Orange Woche’ in Weert, einer knapp 50.000-Einwohner-Stadt im Südosten der Niederlande, fünf Kilometer von der belgischen Grenze entfernt. Vor zwei Jahren hat die königliche Familie hier ein paar Stunden selbst mitgefeiert. Aus diesem besonderen Anlass wurde in Weert erstmals nicht nur der traditionelle Königinnentag am 30.April und die Königinnennacht am Abend davor gefeiert, sondern rund um den Tag gab es fast eine ganze Woche lang Programm. Sonja Blok organisierte oder koordinierte damals wie heute alle Aktivitäten: Sport, Ausstellungen, Modenschauen, den traditionellen Flohmarkt auf der gesamten Ringstraße um die Innenstadt, viel Live-Musik auf mehreren Bühnen in der Fußgängerzone, usw., usw. Das Motto über allem:

    "Weert wird orange."

    ATMO Stadt Aktivitäten

    Weert wird Orange, Weert ist orange – die Farbe des Königshauses. Ein bekannter niederländischer Basketballspieler gibt gerade am Sonntagnachmittag auf dem Marktplatz für Kinder einen kleinen Workshop – in einem orangefarbenden T-Shirt, versteht sich. In der ganzen Stadt spätestens seit Samstag: Wimpel, Fahnen und Luftballons in Orange – mit stilisierter Krone. Viele Schaufenster sind ‚königlich’ geschmückt, manche Modegeschäfte haben ausschließlich orangefarbende Kleidungsstücke im Schaufenster oder die Schaufensterpuppen zumindest einen Hut auf in Orange. In den Geschäften zu kaufen: Sonnenbrillen – orange. Brotaufstrich – orange. Kuchen, Kekse oder zumindest der Zuckerguss auf dem Gebäck – orange.

    "Es gibt alles Vorstellbare in Orange. Wenn Du dieser Tage etwas verkaufen willst, mach es orange!"

    Sagt René Slajhek, Manager in einem Unternehmen nahe von Weert. Dass die Königin - oder ab heute der König - eine wichtige Funktion hat für die niederländische Gesellschaft, bestätigen fast alle, die man fragt.

    "Wir sind dann auf einmal alle orange. Das bringt uns zusammen. Das macht Einheit ein wenig – wie komisch es auch ist in 2013."

    "Das Königshaus ist wichtig für unser nationales Bewusstsein. Es verbindet uns Niederländer, gibt uns ein Wir-Gefühl."

    Das Königshaus sozusagen als gesellschaftliches ‚Schmiermittel’. Oder Bindemittel. 80 bis 90 Prozent aller Niederländer sehen das so. Nur wenige denken, wie die jungen Männer aus einem Sportverein, für die der Königinnentag bestenfalls ein Anlass für Partys, denen die Monarchie egal ist. Oder abgeschafft gehört, schon allein, weil sie zu teuer ist.

    "Auch unter Gebildeten gibt es solche Stimmen. Viele stoßen sich daran, dass die Position des Staatsoberhauptes vererbt wird und an seinem Jahreseinkommen von 850.000 Euro. Wenn man aber dieselben Leute nach einer Alternative fragt, dann werden auch die meisten Kritiker zugeben, dass es gar nicht so schlecht ist, einen König zu haben."

    Seine Frau, Marleen Dreesens, die sich noch heute mit Begeisterung daran erinnert, wie sie die Königsfamilie vor zwei Jahren in Weert erstmal in ihrem Leben mit eigenen Augen gesehen hat, sieht das ähnlich:

    "Natürlich gibt es Kritiker, die glauben, der König bekommt zu viel Geld; die Monarchie kostet zu viel. Aber im Großen und Ganzen mögen die Leute sie."

    Vor allem mögen sie die Frau des neuen Königs Willem-Alexander, die aus Argentinien stammende Màxima.

    "Sie hat eine Menge Scharm in die Familie gebracht. Sie hat aus Willem-Alexander einen entspannteren, spontaneren und glücklichen Menschen gemacht."

    Volksnah ist er ja und ganz ok, der neue König, sagen sie. Aber seine Frau ist klüger als er und liebenswerter.

    Anton Kinkels kann das verstehen. Bis vor wenigen Tagen war er stellvertretender Bürgermeister von Weert. Die Umstellung nach 123 ununterbrochenen Jahren Königinnen zu einem Mann auf dem Thron wird durch Königin Maxima an Willem-Alexanders Seite nicht so spürbar sein, sagt er beim Treffen in der Brasserie Oude Markt neben der Kirche von Weert.

    "Gut wir haben dann jetzt wieder mal einen König, aber neben ihm steht eine sehr, wichtige, sehr schöne, sehr interessante, kluge Frau."

    Kinkels hat lange in Deutschland gelebt, kennt das deutsche politische System aus eigenem Erleben – ein König oder eine Königin als Staatsoberhaupt, hat aus seiner Sicht Vorteile.

    "In Deutschland hat es mal ein paar ‚Besonderheiten’ gegeben. Das ist hier nicht der Fall, weil ein König 25, 30 Jahre lang im Durchschnitt ist. Die Regierungen wechseln, Koalitionen wechseln. Kontinuität ist das Staatsoberhaupt."

    Damals, 1980, erinnert er sich, als Beatrix Königin wurde, gab es lautstarke Proteste von Hausbesetzern, die gegen den Mangel an bezahlbarem Wohnraum demonstrierten.

    "Das hat damals nicht gepasst. Und es wurde damals auch noch viel mit Wohnungen spekuliert. Das ist heute Gott sei Dank natürlich nicht mehr möglich. Dafür gibt es Gesetze, die das unterbinden."

    Und die aktuelle Krise in halb Europa, unter der auch die Niederländer leiden, lasten die Menschen der Politik an – nicht dem Königshaus. Im Gegenteil, je mehr der Ruf der Politik leidet, desto mehr scheinen die Menschen die königliche Familie zu schätzen.

    "Das Königsmärchen verkauft sich immer noch ganz gut – auch im Ausland."

    René Slajheck und Marleen Dreesens jedenfalls werden die heutigen Feierlichkeiten wie Hunderttausende Niederländer vor dem Fernseher verfolgen. Sie werden sicher mehr sehen als die meisten Zuschauer in Amsterdam.