Afrikanischer Widerstand

"Meine Waffen sind die Ehrfurcht vor Gott"

Diese Terrakotta-Köpfe aus der heiligen Stadt der Yoruba in Nigeria gehören zu den Höhepunkten einer Ausstellung über afrikanische Kunst im Völkerkundemuseum in Berlin-Dahlem.
Terrakotta-Köpfe aus der heiligen Stadt der Yoruba in Nigeria. © picture-alliance / ZB
Von Étienne Roeder · 15.02.2014
Der Historiker Cheikh Anta Mbacke Babou deutet den religiösen Charakter des afrikanischen Widerstands gegen die Kolonialmächte. Im Kontext der Unterdrückung habe es nicht viel Raum für Widerspruch gegeben.
Vor 50 Jahren wurde in den USA der Civil Rights Act verabschiedet und die Rassentrennung de jure aufgehoben. Der Traum, den Martin Luther King noch ein Jahr zuvor träumte, speiste sich nicht nur für ihn, sondern auch für viele Anhänger der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung aus der tiefen religiösen Überzeugung der Gleichheit vor Gott. Und egal ob in den Songs der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, in Predigten Desmond Tutus in Südafrika oder im Roots Reggae aus Jamaika, die Vertreter schwarzer Kulturen haben sich im Widerstand gegen ihre Verleumdung stets religiöser Inhalte bedient.
Gerade in der afrikanischen Kulturgeschichte finden sich zahlreiche Beispiele religiöser Kulturformen, in denen sich Widerstand mal versteckt und mal ganz offen ausdrückte. Und das nicht nur in der Diaspora wie in den USA, wo man alljährlich den Black History Month in Andenken an diese Geschichte feiert. Der Historiker Cheikh Anta Mbacke Babou lehrt an der Pennsylvania University afrikanische Geschichte und hat sich eingehend mit religiöser Kultur in Westafrika zur Zeit der französischen Kolonialherrschaft beschäftigt.
Als Fellow des Berliner Wissenschaftskollegs stellt er dieser Tage in einer Vortragsreihe dar, welchen Einfluss afrikanische religiöse Botschaften auf den Widerstand gegen die Kolonialmacht hatten:
"Religion war eine Art Gegenkultur. Denn im Kontext kolonialer Unterdrückung gab es ja nicht viel Raum für Widerspruch. In Ermangelung demokratischer Rechte wurde dabei die Religion der Kanal, durch den sich politische Gefühle und Unzufriedenheit manchmal Bahn brechen konnten. Man kann meiner Meinung nach daher nicht von schwarzer Geschichte sprechen ohne dabei Religion als Ursprungselement afrikanischer Kultur zu betrachten."
"Woher kommen wir? Warum leiden wir?"
Die vielleicht bekannteste traditionelle Kosmologie Afrikas ist die vielgestaltige Religion der Yoruba Kultur. Darin treten die Orixás hervor, die als Naturkräfte die göttlichen Aspekte eines übermächtigen Schöpfers darstellen. Der Mensch, in dessen Körper sie sich in Trancetänzen offenbaren, steht als Glied der Gemeinschaft im Kräftestrom der Ahnen, die das Wissen um die Anbetung der Orixás an nachfolgende Generationen weitergeben.
"Wie alle Religionen fragt auch die traditionelle Yoruba Religion nach den größeren Sinnzusammenhängen des Lebens. Woher kommen wir? Und was geschieht, wenn wir sterben? Warum leiden wir? Es gibt einen komplexen Götterpantheon, in dem jeder Orixá für einen anderen Aspekt des Lebens verantwortlich ist. Die Ahnen, mit denen die Lebenden in enger Beziehung stehen, sind in der Yoruba Religion - ganz anders als in der monotheistischen Tradition – nicht tot. Sie sind nur versteckt und man kann sie um Hilfe bitten, die sie dann auch leisten."
Die enge Verbindung zu den Ahnen wurde auch durch Verschleppung und Versklavung nicht gekappt. Und so finden sich die Götter aus dem Sudan und Nigeria heute auf Cuba in der Santería, im haitianischen Vodoo und im brasilianischen Candomblé fast unverändert wieder. Auch, weil hinter der Verehrung der neuen, die Geister der alten Religionen überlebten.
"Die Afrikaner sahen gar kein Problem darin religiöse Vorstellungen aus dem Christentum oder dem Islam zu entlehnen. Im Kontext der Diaspora war es sogar sehr einfach im Vodoo, der Santería oder dem Candomblé christliche Heilige zu entlehnen und sie anzubeten. Die afrikanischen Götter wurden einfach hinter den christlichen Heiligen versteckt und konnten so überleben. Das hat allerdings nichts mit Synkretismus zu tun, der eine Verschmelzung zweier Elemente suggeriert. Die afrikanische Kultur wurde ja während der Sklaverei vollkommen unterdrückt. Dieser nach außen gelebte Götzendienst fiel den Afrikanern nur deshalb relativ leicht, weil es keine Eigenart traditioneller afrikanischer Religionen ist, ein Monopol über die Gotteswahrheit zu erheben. Es ist einfach nicht üblich zu sagen, meine Religion ist wahr und Deine ist falsch."
Beeindruckendes Beispiel religiösen Widerstands
Dieses Monopol der Gotteswahrheit brachten erst islamische und christliche Missionare nach Afrika und griffen damit geistig der späteren Kolonisierung voraus. Ein beeindruckendes Beispiel religiösen Widerstands wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Kongo Dona Beatriz Kimpa Vita. Sie deutete die gesamte Heilsgeschichte um, machte Jesus kurzerhand zum Kongolesen und bezichtigte die Kirche der Hexerei.
"Dona Beatriz war, was in der Sprache des Kongo Nganga marinda bezeichnet wurde. Eine Priesterin, die darauf spezialisiert war, die Gesellschaft zu heilen. Sie war getaufte Christin, behauptete allerdings eines Tages vom heiligen Antonius besessen zu sein. Noch dazu erschien ihr dann der Leibhaftige, der sie wissen ließ, dass er sehr verärgert war über die Missionare, die tief in den Sklavenhandel und die Ausbeutung der Menschen verstrickt waren. Als sie die weiße Narrative des Christentums umzudeuten begann und die heilige Familie in den Kongo verlagerte, gewann sie immer mehr Anhänger. Sie versuchte die traditionelle afrikanische Orientierung auf die Harmonie im Diesseits mit der christlichen Jenseitsorientierung zu versöhnen. Nachdem Dona Beatriz in einer sehr protestantischen Haltung die Kirche selbst der Hexerei und des Götzendienstes bezichtigte, wurde sie leider auf dem Scheiterhaufen verbrannt und gilt heute als Johanna von Orléans des Kongo."
Die geistige Nachfolgerin dieser mutigen Frau ist in gewissem Sinne heute die Kimbanguistenkirche des Kongo. Sie stellt eine unabhängige christliche Denomination dar, deren Anhänger den Propheten Simon Kimbangu als Märtyrer verehren. Kimbangu hatte - ähnlich wie Dona Beatriz - Visionen, die traditionelle afrikanische Elemente mit dem Christentum zu versöhnen versuchten und die Bibel afrozentrisch auslegten.
Die Figur des Propheten, der im kolonialen Kontext aus Unrecht und Unterdrückung einen Weg weist, trat zu verschiedenen Zeiten immer wieder auf, so auch im Jahre 1905, als Deutsche Besatzer im damaligen Tanganyka den Maji Maji Aufstand blutig niederschlugen.
"Zauberwasser für alle"
"Kinje Ketile, der den Aufstand anführte war weder Christ noch Muslim, sondern ein Prophet, der sich der Sprache traditioneller afrikanischer Religionen bediente. Die Ahnen hätten ihm geheißen die Patronen der Besatzer würden sich in Wasser verwandeln, außerdem hätte er Zauberwasser - Maji Maji - für alle. Und auch, wenn viele ihn nicht direkt verstanden, begriffen die Leute, was er sagte, denn sie wussten was ein Medium ist und hörten auf den vermeintlichen Rat der Ahnen. Leider wurden sie zu Tausenden dahin gemetzelt. Doch es waren ihre gemeinsame Kosmovision, die sie für einen Moment vereinte, über sprachliche und ethnische Grenzen hinweg."
Professor Babous Forschungsschwerpunkt sind die senegalesischen Mouridiya. Diese Suffi Bruderschaften, deren geistige Ursprünge in der arabischen Mystik wurzeln, beziehen sich auf Cheikh Amadou Bamba, der zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts als erster schwarzer Muslim einen Suffiorden gründete. Er predigte nicht weniger als einen heiligen Krieg. Professor Babou hat den Widerstand gegen die französischen Kolonialherren, der sich in einer religiösen Sprache ausdrückte, in seinem Buch Fighting the greater Djihad beschrieben:
"'Bomben und Gewehre sind nicht meine Waffen', schrieb er einst an die Franzosen gerichtet. ''Meine Waffen sind die Ehrfurcht vor Gott, mein Stift und meine Zunge, denn das sind die Waffen des großen Djihad. Lasst die Menschen doch für Euch arbeiten, erhebt Steuern. Aber ich werde in den Herzen dieser Menschen sein und dort werdet ihr niemals hinkommen. Nehmt die Körper und ich nehme die Seele und ich werde Euch doch in Ewigkeiten besiegen.'"
Chekh Amadou Bambas Botschaften der Liebe und der harten Arbeit als Gottesdienst werden in arabischer Versform heute als Qasida gesungen. Früher wussten nur die Alten diese Verse zu rezitieren, heute genießen sie jedoch auch unter jungen Senegalesen große Beliebtheit. In der weiten senegalesischen Diaspora schlagen die gesungenen arabischen Gedichte von Cheikh Amarou Bamba eine Brücke zum kulturellen Erbe des Widerstands in Afrika. Ein kultureller und stolzer Widerstand, der - ebenso wie die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung vor 50 Jahren - den Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit in einen größeren religiös-spirituellen Sinnzusammenhang stellte.
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