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Neue Heilige in Mexiko
Schutzpatronin gegen Gentrifizierung

Im katholisch geprägten Mexiko gehört die Verehrung von Heiligen zum Alltag. Doch es gibt auch Heilige, die nicht von der Kirche anerkannt sind. Zuletzt haben Künstler in Mexiko-Stadt eine neue Patronin erfunden. Sie soll helfen, die zunehmende Gentrifizierung der Metropole zu stoppen.

Von Stephan Lina | 11.01.2018
    Ein Marktstand in Mexiko, mit den Ikonen unzähliger Heiliger
    In Mexiko werden auch Heilige verehrt, die kirchlich nicht anerkennt sind (imago stock&people / Judith Haden)
    Prozessionen sind in Mexiko nichts Ungewöhnliches. Jedes Dorf hat einen Heiligen oder eine Schutzpatronin, die inbrünstig verehrt werden. Doch der Zug der Gläubigen, der sich an diesem Tag durch das Viertel Juárez in Mexiko-Stadt schlängelt, ist etwas Besonderes. Er sieht eher nach politischer Demonstration aus als nach einer religiösen Prozession. Es werden Rufe skandiert, gegen die Wohnungsnot und gegen die Vertreibung alteingesessener Mieter durch Immobilienkonzerne, die die Preise im Viertel in astronomische Höhen treiben. In der Mitte des Zuges wird eine puppengroße Figur getragen: Santa Mari La Juaricua. Es ist eine Heilige, die von einer Künstlergruppe erfunden wurde - als Schutzpatronin gegen die sogenannte Gentrifizierung, sagt Mitinitiator Jorge Baca:
    "Ich habe die Gentrifizierung satt. Ich habe es satt, dass die Immobilienhaie kommen und die Leute vertreiben. Deswegen habe ich eine Heilige erfunden."
    "Sie hat riesige Wellen geschlagen"
    Im Kanon der offiziellen katholischen Heiligen kommt Santa Mari La Juaricua nicht vor. Allerdings gebe es dort eben auch niemanden, den Menschen um Schutz bitten könnten, denen der Verlust der Wohnung drohe, so Baca. Deswegen sei die Figur sehr wichtig. Außerdem habe man es mit der erfundenen Heiligen geschafft, das Problem der Gentrifizierung in den Altstadtvierteln Mexikos öffentlich zu machen:
    "Sie ist eine profane Heilige, aber eine wundertätige Heilige. Sie setzt sich gegen die Gentrifizierung ein. Und sie hat riesige Wellen geschlagen. Santa Mari La Juaricua ist in den hiesigen und internationalen Medien. Ich habe zwei Prozessionen organisiert, und es kamen mehr als 1200 Menschen."
    "Die Jungfrau gibt uns Kraft"
    Was als politische Idee einer Künstlergruppe begann, ist inzwischen tatsächlich zu einem kleinen religiösen Phänomen geworden, das die katholische Kirche Mexikos mehr oder weniger schweigend toleriert. Den Verehrerinnen und Verehrern von Santa Mari La Juaricua sind die Unterschiede zwischen offiziellen und erfundenen Heiligen dem Anschein nach ohnehin egal:
    "Wenn wir hier gemeinsam sind, dann gibt uns das Kraft. Egal, was sonst noch passiert, genau das gibt uns Kraft: Gemeinsam an etwas zu glauben. In diesem Fall ist es die Jungfrau, die uns vereint und uns Kraft gibt."
    Heilige mit Hütchen und Schoßhund
    Für Mexiko ungewöhnlich ist allenfalls das Erscheinungsbild der erfundenen Heiligen. Die Künstlergruppe um Jorge Baca setzt nicht auf pausbäckigen Barock, sondern auf einen sehr modernen Look:
    "Santa Mari La Juaricua sieht sehr hipstermäßig aus. Sie hat eine Brille, ein Hütchen und einen kleinen Hund namens "Banqueta". Die Brille hatte ich eigentlich dazu genommen, um diesen bohemienhaften Look zu bekommen. Doch die Leute waren begeistert: Wie, eine Heilige mit Brille? Ja, logisch: So sieht sie wenigstens die Probleme!"
    Santa Mari La Juaricua ist bei weitem nicht die einzige inoffizielle Heilige, die in Mexiko verehrt wird. Es gibt noch zahlreiche andere Schutzpatrone, die nicht von der katholischen Kirche anerkannt werden. Darunter Santa Muerte, die als weibliches Skelett dargestellt wird, oder Jesús Malverde, der als Patron vor allem der Drogengangs gilt.