Ramelow fordert Klage gegen die Steuersenkungspläne im Bund

Bodo Ramelow im Gespräch mit Marcus Pindur · 02.12.2009
Die Thüringer Linke hat von der Landesregierung des Freistaats gefordert, gegen die Steuersenkungspläne der Bundesregierung zu klagen. Bodo Ramelow, Fraktionschef der Linken im Thüringer Landtag, warnte vor den drohenden Ausfällen für die Landeskassen.
Marcus Pindur: Die Linke steht derzeit an vielen Fronten unter Druck. In Brandenburg sorgen neue Stasienthüllungen für Ärger in der Landesregierung. Der Koalitionspartner, die SPD, steht düpiert da und der brandenburgische Ministerpräsident Platzeck musste bereits verärgert einen Fehlstart seiner neuen Regierung eingestehen. Auch in Thüringen sorgen bei der der Linken immer wieder DDR-Nostalgie und Stasi-belastete Funktionäre für Unruhe. Ich habe darüber mit dem Oppositionsführer im Thüringer Landtag Bodo Ramelow von den Linken gesprochen. Zunächst aber habe ich ihn gefragt, ob er die amtierende thüringische Ministerpräsidentin Lieberknecht von der CDU darin unterstützt, sich gegen die Steuersenkungspläne der Bundesregierung zu sperren.

Bodo Ramelow: Das war unsere Forderung an Frau Lieberknecht, und Frau Lieberknecht hat für das Land entschieden, und ich finde, sie hat sich richtig entschieden. Wir gehen noch einen Schritt weiter und sagen, einfach Neinsagen im Bundesrat reicht nicht, wir würden gerne, dass unsere Landesregierung auch in Karlsruhe klagt, und zwar nicht gegen das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, sondern gegen Steuerausfälle, die Schwarz-Gelb auf den Weg bringt und die unsere Landes- und dann unsere Kommunalkassen ruinieren. Insoweit ist Schwarz-Gelb nicht berechtigt, einfach die öffentlichen Haushalte endgültig zu ruinieren, indem man Klientelpolitik macht. Das Beispiel der Hotellerie macht ja deutlich, die Hotels werden entlastet, die Gastronomie wird nicht entlastet. Das halten wir für einen unangemessenen Eingriff in diese Regeln. Und das Ganze soll dann bezahlt werden durch den Landeshaushalt in Thüringen, der bis zu 90 Millionen allein im kommenden Jahr Verluste schreiben wird. Und im darauf folgenden Jahr werden die schwarz-gelben Träume 400 Millionen Euro Steuerausfall für Thüringen ausmachen.

Pindur: Sie hätten also genauso gut eigentlich mit der CDU koalieren können in Thüringen.

Ramelow: Wenn es um solche Sachfragen geht, bin ich sehr überzeugt, dass wir auch da zustimmen, wo die CDU für das Land Interessen vertritt, und zwar richtige Interessen vertritt. Andererseits sage ich, die CDU wäre mit uns deswegen nicht koalitionsfähig, weil sie uns ideologisch bekämpft, und zwar nicht auf der Sachebene, sondern indem die CDU in Thüringen nicht über ihre Blockparteivergangenheit redet, aber uns immer die ganze SED-Verantwortung alleine zuschiebt.

Pindur: Da kommen wir direkt zu dem, was sie trennt. Beim Landesparteitag der thüringischen Linken am vergangenen Wochenende erklärte die Vizelandesvorsitzende Leukefeld, sie weigere sich, die DDR einen Unrechtsstaat zu nennen. Ein weiterer Delegierter ging dann noch weiter und erklärte – unter Applaus auch –, die DDR-Verfassung und das Parlament seien vom Volk gewollt gewesen. Kann man mit dieser Partei eine zukunftsgerichtete Oppositionspolitik machen?

Ramelow: Ja selbstverständlich, weil Frau Leukefeld den Satz auch fortgesetzt hat und gesagt hat, sie beteiligt sich nicht an den Ritualen der Delegitimierung der DDR. Und das meinte auch der andere Delegierte. Das hat was mit Empfindungen zu tun. Man kann nicht eine Vergangenheitssicht per Beschluss herstellen, sondern man muss eine Debatte aus den Biografien herleiten.

Pindur: Das hat ja auch niemand bestritten, dass man tatsächlich auch über Biografien reden muss. Das scheint doch so ein Abwehrargument zu sein, was immer wiederkommt, dass dort angeblich Biografien in Abrede gestellt würden.

Ramelow: Es wird ja umgekehrt, Frau Leukefeld zum Beispiel wird ihre Biografie im regelmäßigen Abstand wieder vorgehalten, ohne dass überhaupt zur Kenntnis genommen wird, dass Frau Leukefeld sich ihrer Vergangenheit öffentlich gestellt hat, sich in die Öffentlichkeit bewegt hat, sogar ihre Stasiakte mitgenommen hat und anschließend dafür sogar noch eine Anzeige von der Stasiunterlagenbeauftragten gekriegt hat, weil Frau Leukefeld den Mut hatte, sich zu ihrer Vergangenheit zu stellen. Und das nenne ich diese reflexartige Verurteilung, die immer wiederkehrend kommt, ohne dass ein Mensch eine Chance hat, mal auch Vergebung zu bekommen, also Vergebung im Sinne, dass die Dinge ...

Pindur: Vergebung setzt Reue voraus.

Ramelow: Ja, wenn jemand seine eigene Vergangenheit auf den Tisch legt und sagt, ich bin bereit, darüber zu reden und meine Schuld auf mich zu nehmen, und das hat Frau Leukefeld getan. Bitte schauen Sie auf ihre Internetseite. Ich kann darauf verweisen, dass sie mit den betroffenen Menschen persönlich geredet hat. Und das ist das, was unsere Bischöfin in Thüringen, Ilse Junkermann, angemahnt hat. Es muss einen Umgang geben, damit man sich Biografien erzählen kann und auch Biografien aushält, ohne dass die Stasiakten immer wieder als Keule rausgeholt werden, um die Linke in Gänze zu schlagen.

Pindur: Die Delegitimierung der Linken passiert aber auch schon von selbst. Wir sehen das derzeit in Brandenburg. Dort musste die stellvertretende Parlamentsvorsitzende dann ihren Rücktritt ankündigen. Eine weitere Abgeordnete hat auch ihr Mandat niedergelegt. Wie sehen Sie das denn?

Ramelow: Ja, es ist ein schwieriger Prozess, dass ... Die von mir sehr geachtete Parlamentsvizepräsidentin hat in den 90er-Jahren schon ihre Akte auf dem Tisch liegen gehabt, und jetzt gibt es Bewertungsunterschiede, die im Laufe von 15, 18 Jahren dazukommen. Und die Frage ist, nach welchen Maßstäben gehen wir damit um. Und die zweite Geschichte ist, eine Abgeordnete hat sich ja jetzt aus dem Parlament auch abgemeldet, konsequenterweise, weil wir immer als Partei gesagt haben, jeder bei uns muss seine Biografie offenlegen, muss sie dem Gremium mitteilen, das zu entscheiden hat, ob jemand für uns kandidieren kann oder nicht. Wenn es mitgeteilt ist und getragen wird, dann hat man auch Solidarität verdient. Wenn man es aber verschweigt, kann man nicht hinterher kommen, wenn die Stasiroutineüberprüfung eingesetzt hat, und dann sagen, ja, ich war daran nicht beteiligt, ich habe dazu nie was gesagt. Also insoweit achte ich die Menschen, die auch ihre Verstrickung aus der Zeit der DDR offen dargelegt haben, achte ich ausgesprochen, weil sie mutig sind, weil sie deutlich zeigen, diejenigen, die gelitten haben in der DDR, und diejenigen, die auch an dem Leid, wenn nicht persönlich, aber eben doch auch beteiligt waren, indem man das System akkurat unterstützt hat und auch willfährig Berichte geschrieben hat, darüber muss man reden. Und darüber bleibt die Vergangenheit, was im Namen des Sozialismus an menschenrechtsverachtenden Praktiken praktiziert worden ist, muss bei uns in der Partei immer weiter Gegenstand der Beachtung, der Betrachtung und der Debatte sein.

Pindur: Herr Ramelow, können Sie sich vorstellen, als Bundesvorsitzender der Linken zu kandidieren?

Ramelow: Ich kann mir derzeit erst mal vorstellen, dass Oskar Lafontaine gesund wird, dass wir schnellstens unsere Programmdebatte führen. An dieser Programmdebatte werde ich mich intensiv beteiligen. Und man soll nie nie sagen. Was also nach 2013 sein wird, das wird die Zukunft zeigen. Deswegen habe ich für mich entschieden, dass ich 2009 komplett in Thüringen den Wahlkampf geführt habe, jetzt meine Rolle als Oppositionsführer kraftvoll und lustvoll auch spielen werde, gleichzeitig mit meiner Partei im Landesverband Thüringen einen Prozess der Umorganisation anschieben werde – und das alles zusammen wird im Moment meine Kraft binden – und die Programmdebatte, dort werde ich mich bundesweit einmischen.

Pindur: Herr Ramelow, vielen Dank für das Gespräch!

Ramelow: Bitte gerne!