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Protestwochenende in Frankreich
Mit Wut und Hass gegen das System

Die einen protestieren gegen Polizeigewalt, andere gegen Korruption und wieder andere stellen das ganze politische System infrage: An diesem Wochenende sind Tausende Franzosen in Paris auf die Straße gegangen, um ihrem Ärger Luft zu machen. Manche der Demonstranten fühlen sich mittlerweile sogar wie Fremde im eigenen Land.

Von Anne Raith | 20.02.2017
    Ein Demonstrant gegen Polizeigewalt stellt sich den Sicherheitskräften entgegen
    Ein Demonstrant gegen Polizeigewalt stellt sich den Sicherheitskräften entgegen (Deutschlandradio / Anne Raith)
    "Gebt uns unser Geld zurück!". Immer wieder ist dieser Aufruf zu hören, während die Demonstranten auf ihre Kochtöpfe hämmern. Es ist klar, wer damit gemeint ist.
    "Ich finde es beschämend, dass jemand, der so etwas macht, immer noch glaubt, kandidieren zu können."
    Empört sich Carlos, ein kleiner Mann mit Halbglatze und randloser Brille. "Fillon Tartuffe" hat er in großen blauen Buchstaben auf sein Pappschild gemalt. "Fillon Heuchler". Auf der anderen Seite steht ein Zitat:
    "Fillon hat es selbst einmal gesagt: Man kann keine Autorität ausüben, wenn man nicht mit gutem Beispiel vorangeht. Das sagt doch alles!"
    Und doch hat Francois Fillon eben erst angekündigt, bis zu den Wahlen Ende April durchhalten zu wollen, egal was passiert. Und 70 Prozent der republikanischen Wähler unterstützen ihn dabei.
    Werte der Republik schützen
    Wenige Meter weiter steht Olivier in der Menge, in der Hand die Trikolore, die ein wenig müde auf seiner Schulter hängt. Auch er ist der Aufforderung in den sozialen Netzwerken gefolgt. Auf Facebook hatte ein junger Mann aufgerufen, an diesem Nachmittag auf der Place de la République gegen Korruption zu demonstrieren. Die Werte der Republik seien in Gefahr.
    Demonstration gegen Korruption auf der Place de la République
    Demonstration gegen Korruption auf der Place de la République (Deutschlandradio / Anne Raith)
    "Die Trikolore steht für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Das bedeutet doch, dass sich alle an die Gesetze halten müssen, dass wir alle gleich sind. Die Leute sind wütend und das wird übel enden, für die Politiker, aber auch für uns."
    "Die Politiker" sagt Olivier und meint: Korruption kennt in Frankreich keine Parteigrenzen, Fillon ist nur der aktuellste Fall. Die Fünfte Republik hat einen konservativen Staatspräsidenten gesehen, der nach seiner Amtszeit verurteilt wurde, sie kennt einen sozialistischen Haushaltsminister, der sein Geld an der Steuer vorbei im Ausland geparkt hatte und eine rechtsextreme Präsidentschaftskandidatin, die - unter anderem - Gelder des Europaparlaments veruntreut haben sollen. "Marineblau ist keine vertrauenswürdige Farbe" ist dann auch auf einem der Plakate zu lesen.
    Dem Ärger eine Stimme geben
    Für Létitia ist Korruption keine Frage der Partei, sondern eine Frage des Systems
    Für Létitia ist Korruption keine Frage der Partei, sondern eine Frage des Systems (Deutschlandradio / Anne Raith)
    "Es geht hier um das ganze System, in dem Geld die Welt regiert. Und wir, das Volk, sitzen in der Scheiße." Echauffiert sich Létitia. Sie hat sich gleich mehrere Protestschilder an die Kleidung gepinnt, viel ist von ihr hinter der dunklen Sonnenbrille nicht zu erkennen. Dass es auch Konsequenzen gegeben hat, aus den Fällen der Vergangenheit, dass Mandatsträger ihre Einkommensverhältnisse offenlegen müssen und in diesem Jahr zum ersten Mal die Vermögensverhältnisse aller Präsidentschaftskandidaten öffentlich gemacht werden sollen, das interessiert die Pariserin nicht. Das Vertrauen, dass sich grundlegend etwas ändert an diesem "System", wie sie es nennt, ist an diesem Nachmittag ebenso wenig zu spüren wie 24 Stunden vorher, an gleicher Stelle.
    Denn der Protest gegen Korruption ist nur eine Facette des Vertrauensverlustes vieler Franzosen in jene, die sie politisch repräsentieren sollen.
    "Ich fühle mich durch niemanden repräsentiert. In der Nationalversammlung sind die Minderheiten nicht repräsentiert, da sind dann die Leute aus den Eliteschulen, wozu soll das gut sein?"
    Fragt Enki. Er habe die Schnauze voll, ras-le-bol. Wie so viele in den Banlieues, den Vorstädten, in denen die Bewohner nach der brutalen Polizeikontrolle eines jungen Mannes seit über zwei Wochen auf die Straße gehen. Deswegen ist auch Enki an diesem Wochenende mit seinem Transparent auf den Platz der Republik gekommen. "Aux armes, citoyens" ist darauf zu lesen. "Zu den Waffen, Bürger". Die Zeile der Marseillaise ist Zitat und Aufruf zugleich.
    Die Demonstration in Paris gegen Polizeigewalt fand unter großen Sicherheitsvorkehrungen statt
    Die Demonstration in Paris gegen Polizeigewalt fand unter großen Sicherheitsvorkehrungen statt (Deutschlandradio / Anne Raith)
    "Ich bin so wütend, ich bin so voller Hass. Ich hab so die Schnauze voll. Wollen die, dass das so wird wie in den USA? Wo Schwarze auf Polizisten zielen? Das wird hier bald passieren! Ich möchte nicht, dass meinem Sohn das Gleiche passiert, wie den jungen Leuten hier."
    "Ihr behandelt uns wie Fremde"
    Auch Enki trägt eine dunkle Sonnenbrille, dazu eine Mütze, den Schal tief ins Gesicht gezogen. Er sei selbst schon einmal grundlos von einem Polizisten angegriffen worden, sagt er, mit Tränengas. Während Enki von dannen zieht, um sein Plakat aufzuhängen, stellt sich eine kleine zierliche Frau den Polizisten entgegen, die alle Zufahrtsstraßen zum Platz abgesperrt haben.
    "Ihr behandelt uns wie Hunde!" schreit sie, völlig außer sich gegen die dunkle Wand Uniformierter an. "Ihr behandelt uns, als seien wir Fremde!"
    Als am Folgetag die Demonstranten gegen Korruption auf den Platz strömen, ist wenig Polizei zu sehen. Vereinzelt klemmen noch Schilder vom Vortag am Sockel der Mariannen-Statue. Auch Paris und die Banlieues sind sich nach wie vor fremd.