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EU-Gipfel
"Ein guter Tag für Europa"

Eine Wahl Jean-Claude Junckers zum neuen Kommissionschef könne als "Sieg der Demokratie" in Europa bezeichnet werden, sagte Manfred Weber, Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), im Deutschlandfunk. Dieses Mal sei die Entscheidung nicht in Hinterzimmern gefallen, die Bürger seien eingebunden worden.

Manfred Weber im Gespräch mit Christoph Heinemann | 27.06.2014
    EVP-Spitzenkandidat Jean-Claude Juncker, zu sehen auf einem Wahlkampffahrzeug in Brüssel
    EVP-Spitzenkandidat Jean-Claude Juncker, zu sehen auf einem Wahlkampffahrzeug in Brüssel (dpa / picture alliance / Olivier Hoslet)
    Europa brauche nach der schweren Finanzkrise dringend Reformen, und Jean-Claude Juncker, Spitzenkandidat der EVP bei der Europawahl, sei der richtige Mann, um diese durchzusetzen. Die Entscheidung für Juncker hätten erstmals auch die Menschen in Europa mit treffen können. Deshalb sei der heutige Tag ein "guter Tag für Europa", sagte EVP-Fraktionschef Manfred Weber im Deutschlandfunk.
    Den Streit mit Großbritannien um die Personalie Juncker bezeichnete er als "nichts Neues". Es sei üblich, dass bei "wichtigen Entscheidungen gepokert" werde. Er betonte jedoch, kein Land habe ein Veto-Recht in dieser Angelegenheit, auch Großbritannien nicht. Wichtig sei nun, dass alle Partner danach "wieder in eine normale Phase des Miteinanders kommen".
    Deutschland habe eine zentrale Führungsrolle in der EU, das liege auch an Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem "enormen Einfluss". Er gehe davon aus, dass die Bundesrepublik auch "in Zukunft gute Chancen" habe, deutsche Interessen "im Konsens" mit anderen durchzusetzen. Weber betonte zugleich, Europa brauche das "Miteinander".
    In Hinblick auf eine Osterweiterung der EU sagte Weber, die Länder an der Ostgrenze wollten in Richtung Europa. Dieser Wunsch dürfe nicht ausgeschlagen werden.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Vor einer Viertelstunde haben wir mit dem CSU-Politiker Manfred Weber gesprochen, dem Vorsitzenden der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, einem Zusammenschluss christdemokratischer und konservativer Parteien. Ich habe ihn gefragt: Geht die EU gestärkt oder geschwächt aus der Debatte um den Kommissionspräsidenten hervor?
    Manfred Weber: Die Wahl von Jean-Claude Juncker ist aus meiner Sicht ein Sieg der Demokratie in Europa, weil wir erstmals eine breite Diskussion über die Spitzenfrage in Europa vor den Wahlen hatten. Bisher war es üblich, dass das nach den Europawahlen zwischen den Mächtigen in Europa vereinbart wurde in den viel zitierten Hinterzimmern, und dieses Mal war es so, dass vor der Wahl Plakate aufgehängt wurden, dass die Menschen sich die Personen angeschaut haben und dann über die Wahl entschieden wurde, wer ins Amt kommt, und deswegen ist es ein guter Tag für Europa.
    Heinemann: Was erwarten Sie von Juncker?
    "Er bringt Erfahrung mit"
    Weber: Ich erwarte von Juncker ein engagiertes Reformprogramm, weil die Botschaft der Wähler war ...
    Heinemann: Ist er dafür der richtige?
    Weber: Absolut. Er bringt Erfahrung mit, Riesenerfahrung mit und er bringt das Bewusstsein dafür mit, dass Europa eine Reform braucht. Er ist sich der Aufgaben, die jetzt vor uns stehen, sehr, sehr wohl bewusst. Deswegen ist er der richtige. Aber die Reformagenda muss deutlich werden.
    Heinemann: Herr Weber, was sagen Frau Merkels Zaudern und die britisch-französisch-italienischen Erpressungsversuche rund um das Spitzenamt und die Schuldenregeln aus über den Zustand der EU?
    Weber: Na ja, gut, das ist ja nichts Neues, dass bei solchen wichtigen Entscheidungen – wir reden ja für den Kommissionspräsidenten von einer Amtszeit von fünf Jahren -, bei solchen zentralen Weichenstellungen, dass dort gepokert wird, dass man versucht, seine Inhalte auch mit zu verbinden. Das ist nichts Neues. Der entscheidende Punkt ist, dass wir den Lissabon-Vertrag ernst nehmen, das, was übrigens auch London intensiv fordert, und das heißt, wenn man einen Blick in den Lissabon-Vertrag wirft, dass kein Land ein Vetorecht hat, auch Großbritannien nicht. Alle dürfen sich beteiligen an der Zukunftsdebatte, welche Themen wir jetzt anpacken, aber es gibt kein Vetorecht.
    Heinemann: Also Erpressung gehört in der EU zum guten Ton?
    Weber: Ich sehe keine Erpressung. Ich sehe das Verhalten von London, aber ich sehe zum Beispiel im Rat eine Fülle von Staats- und Regierungschefs. Wir waren als EVP-Fraktion zum Beispiel letzte Woche in Portugal. Der portugiesische Regierungschef sagt eindeutig, wir haben einen Spitzenkandidaten gehabt und den wählen wir jetzt. Es gibt viele Ratsmitglieder, die sich heute treffen und über Juncker abstimmen, für die es das Normalste der Welt ist, dass man diesen Beschluss jetzt fasst.
    Heinemann: Angela Merkel hat Großbritannien Zugeständnisse bei der künftigen Ausrichtung der EU-Politik in Aussicht gestellt. Was könnte das konkret bedeuten?
    "Brücken bauen Richtung Großbritannien"
    Weber: London hat einerseits kein Vetorecht bei der Benennung der Persönlichkeiten, die jetzt Europa führen, aber London hat einen wichtigen Beitrag zu leisten bei der Ausgestaltung der Politik. Das möchte ich ausdrücklich unterstreichen, weil wir wollen Brücken bauen Richtung Großbritannien. Ganz konkret heißt das, die Fragen der Wettbewerbsfähigkeit, die London anmahnt, dass Europa fitter werden muss für die Globalisierung, sind zentral. Der Wohlstand auf dieser Welt wird in den nächsten Jahren, wurde schon in den letzten Jahren und wird in den nächsten Jahren in einer atemberaubenden Geschwindigkeit neu verteilt, und wenn Europa sich darauf nicht vorbereitet, dann geht unser Kontinent einen schwierigen Weg. Daran erinnert uns London und das ist gut.
    Heinemann: Wird Europa auch dadurch vorbereitet, dass Frankreich mehr Zeit eingeräumt wird, um das Haushaltsdefizit ins Lot zu bekommen?
    Weber: Die Europäische Union hat eine schwere Krise hinter sich, die Finanz- und Wirtschaftskrise, und eine der Lektionen war, dass wir aufhören müssen mit dem Schulden machen. Schulden schaffen keine Zukunft, Schulden zerstören Zukunft. Deswegen gilt es für uns als EVP, jetzt durchzusetzen, auch gegen Frankreich, auch gegen manche Wünsche aus Italien, die ja beide sozialistisch, sozialdemokratisch regiert sind, dass wir jetzt die Lektion wieder in den Schubladen verschwinden lassen. Die Spielregeln, die wir vereinbart haben, müssen umgesetzt werden.
    Heinemann: Halten Sie Frankreich für reformfähig?
    Weber: Frankreich tut sich objektiv mit Reformen schwer. Die Verantwortung liegt aktuell beim sozialistischen Präsidenten Hollande. Ich hoffe, dass Frankreich die Kraft hat, die Veränderungen vorzunehmen, die notwendig sind, um das Land fitt zu machen. Frankreich hat irres Potenzial, aber es liegt daran, die Kraft aufzubringen, die Reformen durchzuführen. Und aus Brüsseler Sicht muss ich sagen, wir hatten die letzten Jahre genug Ankündigungen aus Paris gehört, was man alles machen wolle, aber bisher leider Gottes zu wenig Aktionen gesehen.
    Heinemann: Der Premierminister Manuel Valls hat jetzt abermals vorgeschlagen, noch weitreichender, als das heute schon möglich ist, Investitionen aus dem Defizit herauszurechnen. Beginnt jetzt die Phase des Tricksens?
    "Gesetze und Spielregeln in Europa gelten für jeden"
    Weber: Wir haben große Lektionen gelernt mit der Finanzkrise. Ich wiederhole mich da, weil das so wichtig ist, dass Europa das versteht. Deswegen gilt es darum, die Spielregeln, den Stabilitätspakt eins zu eins anzuwenden. Übrigens: Es gab in den letzten Jahren viele kleinere Staaten, Portugal, Griechenland, Irland, die die Spielregeln anwenden mussten und ihren Bürgern viel zugemutet haben, und es kann ja jetzt wohl nicht der Fall sein, dass nur weil ein großes Land betroffen ist, ein G7-Staat betroffen ist, man jetzt plötzlich Spielregeln aufweichen will. Gesetze und Spielregeln in Europa gelten für jeden, auch für große Länder und auch für sozialistisch regierte Länder.
    Heinemann: Herr Weber, es wird heute eine förmliche Abstimmung geben, nicht den üblichen Kompromiss bei der Bestallung oder bei der Nominierung des Kommissionspräsidenten. Wird das Beispiel Schule machen? Das heißt, muss jetzt auch Deutschland damit rechnen, künftig überstimmt zu werden?
    Weber: Deutschland hat eine zentrale Rolle in der Europäischen Union und das liegt vor allem auch an der Führungskraft von Angela Merkel. Trotzdem muss man darauf hinweisen, ...
    Manfred Weber
    geboren 1972 in Niederhatzkofen, Landkreis Landshut (Bayern), ist CSU-Politiker und seit 2004 Europaabgeordneter. Im Juni 2014 wurde er vom stellvertretenden Vorsitzenden (seit 2009) zum Vorsitzenden der EVP-Fraktion gewählt. Von 2002 bis 2004 war der Ingenieur für Physikalische Technik Mitglied des Bayerischen Landtags. Vier Jahre lang (2003 bis 2007) war Weber Landesvorsitzender der Jungen Union Bayern. (Quellen: Wikipedia, www.manfredweber.eu)
    Manfred Weber
    Manfred Weber (Deutschlandradio - Bettina Straub)
    Heinemann: Die ja nicht unumstritten ist.
    Weber: Keiner ist unumstritten und trotzdem nehme ich wahr, auch in den direkten Gesprächen, dass Angela Merkel aufgrund der Sachlichkeit, aufgrund ihrer Art enormen Einfluss für uns Deutsche ausübt, und ganz zentral ist der Blick in den Lissabon-Vertrag. Er ist die Arbeitsgrundlage für uns in Europa. Dort ist definiert, wie wir funktionieren in Europa, und dort ist festgelegt, dass nicht ein einziger Staat Europa blockieren kann, und das ist gut so. Wir brauchen ein Miteinander, wir brauchen Denken im Konsens und nicht in Rechthaberei.
    Heinemann: Das heißt, Deutschland muss damit rechnen, auch künftig überstimmt zu werden?
    Weber: Deutschland wurde in der Vergangenheit nicht überstimmt, weil wir gute Verhandler sind, weil wir uns gut einsetzen, und ich gehe auch davon aus, dass wir in Zukunft gute Chancen haben, deutsche Interessen in einem fairen Ausgleich mit anderen durchzusetzen.
    Heinemann: Könnte aber auch anders kommen.
    "Ich finde es gut, dass wir in Europa viele Sprachen haben"
    Weber: Es kann immer anders kommen, das ist richtig. Aber ich gehe davon aus, dass wir gute Chancen haben, dass die deutsche Stimme stark erhalten bleibt. Der zentrale Gedanke ist, nicht nur Deutsch zu denken, sondern der zentrale Gedanke ist, Deutsch zu denken, weil man in Europa gestaltet.
    Heinemann: Wer sagt es Herrn Kauder, der ja immer sagt, in Europa wird jetzt Deutsch gesprochen?
    Weber: In Europa wird auch Deutsch gesprochen, aber Gott sei Dank nicht nur Deutsch. Ich finde es gut, dass wir in Europa viele Sprachen haben. Das ist Vielfalt, das ist Unterschiedlichkeit, das sind verschiedene Perspektiven und da können viele in Europa was von uns Deutschen lernen, aber wir Deutschen können auch manchmal was von anderen lernen. Das muss die Einstellung sein.
    Heinemann: Kann sich David Cameron zu Hause noch blicken lassen?
    Weber: David Cameron vertritt klar britische Positionen. Auch die Skepsis gegenüber dem Konzept der Spitzenkandidaten ist in Großbritannien stark vorhanden, auch in anderen Parteien. Deswegen ist es seine Aufgabe, das einzubringen. Ich würde mir nur wünschen, dass er, wenn die Entscheidung jetzt heute gefallen ist, dass wir dann wieder in eine normale Phase des Miteinanders kommen. Wenn es um die Ausgestaltung der Programmatik für Europa geht, der Ziele für Europa geht, ist die britische Stimme sehr willkommen.
    Heinemann: Herr Weber, zum Schluss noch eine andere Frage. Heute soll ja ein Partnerschaftsabkommen mit der Ukraine, mit Moldau, mit Georgien unterzeichnet werden. Muss das in Moskau nicht als weitere Provokation aufgefasst werden?
    Weber: Die Länder an unserer Ostgrenze in Europa wollen Richtung Europa und wenn dort die ausgestreckte Hand kommt, bitte, wir wollen mit euch zusammenarbeiten, dann darf Europa diese ausgestreckte Hand nicht ausschlagen. Wir wollen die Partnerschaft mit unseren Freunden, wir wollen auch die Partnerschaft mit Russland und wir bieten jedem eine faire Partnerschaft an, der sie will.
    Heinemann: Das Gespräch mit dem CSU-Europapolitiker Manfred Weber – er ist der Vorsitzende der EVP-Fraktion – haben wir vor einer halben Stunde aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.