Klimawandel

"Es ist sehr traurig"

Von Vanja Budde · 01.01.2014
Wegen der globalen Erwärmung schmelzen die Gletscher so schnell wie noch nie seit dem Ende der letzten Eiszeit vor mehr als zehntausend Jahren. Die junge isländische Glaziologin Helga Maria Heidersdottir erfüllt diese Entwicklung mit Trauer und Wut.
"Mein Name ist Helga Maria Heidersdottir. Ich bin Isländerin. Ich habe sechs Jahre lang Glaziologie studiert, und ich habe sieben Jahre lang auf Gletschern gearbeitet, als Tourguide. Ich bin gerade aus Oslo, wo ich meinen Master in Glaziologie gemacht habe, zurück nach Hause gezogen, um hier meinen Doktor in Geophysik der Gletscher zu machen."
Früher hat Helga Maria Heidersdottir Touristen auf den Sólheimajökull geführt, eine viele hundert Jahre alte Gletscherzunge im Süden Islands. Die Spikes ins Eis gekrallt und mit Eispickeln bewaffnet.
Seit sie ein Kind war ist Helga Maria Heidersdottir von den heimischen Gletschern fasziniert: Neun richtig große sind es und viele kleinere. Seit den Zeiten der Wikinger gehören sie zu Islands Kultur, inspirieren bis heute die unzähligen Menschen, die in den langen, dunklen Wintern auf dieser abgelegenen Insel Bücher schreiben oder Lieder dichten.
"Wenn ich mit meinen Eltern unterwegs war, haben wir bei den Gletschern Halt gemacht, um sie uns von Weitem anzusehen. Sie haben mich immer fasziniert, weil sie so verschieden sind. Mich fasziniert am meisten, dass sie so massiv wie Berge wirken, tatsächlich aber beweglich sind, durch riesige Täler kriechen und dabei viel Geröll mitschleppen. Gletscher und Ozeane sind die stärksten Naturkräfte im Universum. Den Ozean mag ich auch, aber Gletscher sind stiller."
"Ich muss mindestens ein Mal im Monat auf einen Gletscher fahren"
Noch ist das unter schwarzer Vulkanasche bläulich schimmernde Eis des Sólheimajökull 50 Meter dick. Doch die Gletscherzunge verliert an Masse: Um etwa einen Meter werden Islands Eisriesen flacher, Jahr für Jahr, erklärt Helga Maria Heidersdottir. Und wie sie alle schrumpft der Sólheimajökull auch in der Länge: Etwa hundert Meter zieht sich er im Jahr zurück.
"Isländische Wissenschaftler haben vorausgesagt, dass unsere Gletscher in 200 Jahren verschwunden sein werden, wenn die globale Erwärmung so weiter geht. Meine Enkel würden keine Gletscher mehr erleben und das ist wirklich traurig."
Risse und Löcher lauern im Eis, darunter gurgelt Schmelzwasser. Es rauscht über Wasserfälle in unbekannte Tiefen des Gletschers, durch Tunnel und Flüsse im Eis, bis es sich am Rand der Gletscherzunge in einer Lagune sammelt, um daraus in den nahen Nordatlantik zu fließen. Heidersdottir hat ihre Masterarbeit über dieses Fließsystem des Schmelzwassers geschrieben.
"Ich muss mindestens ein Mal im Monat auf einen Gletscher fahren. Ich nehme gerne Leute mit rauf, um ihnen das zu zeigen. Es fühlt sich so an, als laden die Gletscher meine Batterie wieder auf. Es ist wie ein Wellness-Tag in einem Spa für mich: Ich gehe auf einen Gletscher und komme glücklich nach Hause. Sie sind voller Energie. Sie machen mich glücklich, ich würde sie sehr vermissen, wenn sie verschwinden würden."
Helga Marias Vater war Fischer. Sie ist in Reykjavik aufgewachsen und hat ihre Tochter Alexandra allein groß gezogen. Dank Islands und Norwegens moderner Familienpolitik ließen das Kind und das Studium der Gletscherwissenschaften sich gut verbinden. Seit kurzem lebt die 31-Jährige wieder in einer Beziehung, ihr Partner hat auch zwei Töchter. Normalerweise arbeiten Glaziologen überall auf der Welt. Das geht mit Familie nicht, sagt Helga Maria Heidersdottir. Macht aber nichts. Sie streicht das lange, glatte, dunkelbraune Haar hinter die Ohren.
"Ich mag Islands Gletscher. Viele Leute arbeiten auf Grönland oder in der Antarktis, aber ich mag unsere Isländischen. Sie liegen in meinem Hinterhof, ich kenne sie, ich weiß, was sie beeinflusst. Ich kann es spüren."
Folgen des Klimawandels auf Island unmittelbar zu spüren
Neben der Arbeit an ihrem Doktortitel berät die Gletscherexpertin einen Stromkonzern bei der Energiegewinnung aus Wasserkraft: Island deckt seinen Strombedarf zu zwei Dritteln aus der Kraft der Gletscherflüsse. Seit mehr als zehn Jahren ist Helga Maria Heidersdottir vom Gletschervirus infiziert, wie sie es nennt: von dieser geheimnisvoll lebendigen Ausstrahlung der Eisriesen, dieser Massen aus Wasser und Schneekristallen.
"Als ich 20 war, vor elf Jahren, stieg ich zum ersten Mal auf einen Gletscher. Wir zogen unsere Steigeisen an und gingen raus aufs Eis. Es war im Winter, es war schon dunkel. Unser Lehrer sprach von Löchern und Rissen im Eis. Es war, wie auf einer Eierschale zu laufen. Ich wartete nur darauf, dass das Eis bricht und ich fallen würde, mehrere Hundert Meter tief."
Dass es immer noch Politiker und Lobbyisten gibt, die den Klimawandel leugnen, macht Helga Maria Heidersdottir fassungslos: Auf Island sind die dramatischen Folgen der globalen Erwärmung kein theoretisches Konstrukt, sondern unmittelbar zu spüren.
"Jedes neue Jahr, wenn ich zu den Gletschern gehe, erkenne ich sie nicht wieder, weil sie sich so stark zurück gezogen haben. Ich muss von der Straße aus immer weiter laufen, um sie zu erreichen. Es ist sehr traurig, diese majestätische Kraft der Natur einfach verschwinden zu sehen."
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